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Mögliche Sanktionen: Deutschland bestraft Russland – und sich selbst


Ukraine-Konflikt
Die Sanktionen würden nicht nur eine Seite empfindlich treffen

MeinungEine Kolumne von Ursula Weidenfeld

Aktualisiert am 08.02.2022Lesedauer: 3 Min.
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Ein Tanker für Flüssiggas: Sogenannte LNG-Lieferungen sind deutlich teurer als russisches Pipeline-Gas – zumal Deutschland keine LNG-Terminals hat.Vergrößern des Bildes
Ein Tanker für Flüssiggas: Sogenannte LNG-Lieferungen sind deutlich teurer als russisches Pipeline-Gas – zumal Deutschland keine LNG-Terminals hat. (Quelle: Sergei Krasnoukhov/Tass/imago-images-bilder)

Im Ukraine-Konflikt stellt sich Deutschland nun deutlich an die Seite der USA und droht Russland mit harten Sanktionen. Doch die würde nicht nur Russland empfindlich spüren – sondern auch der deutsche Bürger.

"Sehr sehr hohe Kosten" werde ein Einmarsch der russischen Armee in der Ukraine haben, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz gestern Abend bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem amerikanischen Präsidenten Joe Biden. Da sei man sich "sehr, sehr einig" unter den Alliierten.

Was Scholz nicht sagte: Auch auf der anderen Seite werden die Kosten sehr, sehr hoch sein, unabhängig vom Schicksal der Ostseepipeline Nordstream 2. Wenn die Wirtschaftssanktionen gegen Russland wirken sollen, werden auch Europa und die Weltwirtschaft sie empfindlich spüren.

Bisher waren Wirtschaftsstrafen gegen Russland wie der Scheinriese Turtur im Kinderbuch "Jim Knopf und Lucas, der Lokomotivführer". Aus großer Entfernung betrachtet, erschienen sie riesengroß und bedrohlich. Schaute man genauer hin, schrumpften sie auf das Format eines freundlichen alten Männleins.

Börsen könnten in Alarmstimmung geraten

Nach der Annexion der Krim im Jahr 2014 schrumpfte die Handelsbilanz Europas mit Russland zwar. Doch der Rückgang wurde in den folgenden Jahren wettgemacht, Russland selbst intensivierte den Austausch mit seinen unmittelbaren Nachbarländern der eurasischen Zollunion und vor allem mit China.

Als dann im vergangenen Jahr die Preise für Öl und Gas, Metalle und Rohstoffe durch die Decke gingen, entstand in Russland kurzzeitig der Eindruck, es gebe gar keine Sanktionen mehr – abgesehen davon, dass die Oligarchen noch immer einen Weg gefunden haben, ihre Geschäfte mit dem Westen zu machen.

Diesmal aber soll es anders kommen. Wenn Russland die territoriale Integrität der Ukrainer verletzt, werden die entscheidenden Handelsverbindungen gekappt. Der neue Ernst wird die Weltwirtschaft dämpfen, die Börsen in Alarmstimmung versetzen, und die Energieversorgung in Europa kurzfristig gefährden.

Europa ist abhängig vom russischen Gas

Denn jetzt geht es nicht mehr um Industriegüter, die auch militärischen Zwecken dienen können, oder um einzelne Konten, die eingefroren werden. Es geht um Energie, Rohstoffe, Metalle, die internationale Abwicklung von Finanzgeschäften. Das alles wird zu einem Zeitpunkt passieren, zu dem die wichtigsten russischen Exportgüter ohnehin knapp und teuer sind.

Zwar ist die russische Volkswirtschaft weltweit eher unbedeutend, sie erreicht mit umgerechnet knapp 1,45 Billionen Dollar (2020) nicht einmal die Größe Italiens. Gerade einmal zwei Prozent des deutschen Außenhandelsumsatzes entfallen auf Russland.

Doch Europa bezieht 40 Prozent seines Erdgases aus Russland, 20 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union sind von russischem Erdgas abhängig, schätzt die EU-Kommission. Bisher war man sich in Europa immer sicher, dass Wladimir Putin seinen Lieferverpflichtungen schon nachkommen werde. Schließlich sei Russland auf die Devisen angewiesen.

Gas-Boykott könnte Inflation weiter anheizen

Doch nun könnte es sein, dass der Westen selbst die Verbindungen unterbrechen muss, um Russland wirtschaftlich in die Knie zu zwingen. Dabei wird die umstrittene Nordseepipeline Nord Stream 2 nicht einmal das größte Problem sein. Bisher arbeitet die Pipeline ja noch nicht – wenn der Westen jetzt den Stecker zieht, beeinträchtigt das zwar die wirtschaftlichen Aussichten der Zukunft, aber nicht die der Gegenwart.

Selbst wenn der Winter mild bleiben sollte und das Gas in den Speichern noch reicht, um die Wohnungen Europas bis März oder April zu heizen, befeuert das die ohnehin schon zu hohe Inflation noch einmal.

Dazu kommt: LNG-Lieferungen, also das mit Schiffen angelieferte Flüssiggas, sind wesentlich komplizierter und teurer als das russische Pipeline-Gas. Selbst wenn es gelingen sollte, ausreichend Gas zu bestellen und anzulanden – Deutschland hat bisher kein einziges LNG-Terminal –, wäre der Ersatzstoff nicht nur notfallbedingt teurer. Er würde es immer sein und müsste mit langfristigen Lieferverpflichtungen abgesichert werden.

Ein Ausschluss des Swift-Systems würde Banken treffen

Auch ein Ausschluss Russlands vom internationalen Zahlungsverkehrssystem Swift würde nicht nur das Land selbst verheerend treffen. Könnte Russland weder seine Rechnungen im Ausland bezahlen noch seine Außenstände eintreiben, käme der gesamte Handel mit dem Westen über kurz oder lang zum Erliegen.

Der Iran, Nordkorea und Afghanistan haben in der Vergangenheit erlebt, was es heißt, von Swift abgeschnitten zu werden. Doch diese Länder sind kleiner, ihr Außenhandel war schon in den vergangenen Jahren zu vernachlässigen.

Ein Ausschluss Russlands dagegen würde nicht nur die Grundsatzfrage nach der Neutralität des Swift-Systems neu auf die Tagesordnung bringen. Er würde Banken und Börsen empfindlich treffen, die Crash-Gefahr würde noch einmal steigen.

Außenministerin Annalena Baerbock sagte gestern bei ihrem Besuch in der Ukraine, man sei bereit, den "sehr, sehr hohen" Preis für die Sanktionen zu bezahlen. Es ist höchste Zeit, das auch denen zu vermitteln, die diese Rechnung empfindlich spüren werden: den Bürgern, den Banken, den Unternehmen.

Ursula Weidenfeld ist Wirtschaftsjournalistin in Berlin. Ihr neues Buch heißt: Die Kanzlerin. Porträt einer Epoche.

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