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Wenig Gas in den Speichern: "Zu früh für Entwarnung"


"Zu früh für Entwarnung"
Geht Deutschland jetzt das Gas aus?

Von Frederike Holewik

31.01.2022Lesedauer: 5 Min.
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Einfahrt zum Erdgasspeicher Rehden (Symbolbild): Betreiber des Speichers ist die astora GmbH, ein Tochterunternehmen von Gazprom.Vergrößern des Bildes
Einfahrt zum Erdgasspeicher Rehden (Symbolbild): Betreiber des Speichers ist die astora GmbH, ein Tochterunternehmen von Gazprom. (Quelle: Hauke-Christian Dittrich/dpa-bilder)

Erdgasspeicher spielen eine wichtige Rolle bei der Gasversorgung im Winter. Aktuell sind sie deutlich leerer als sonst im Januar. Nun will die Politik eingreifen.

Der Winter ist noch nicht vorbei und trotz aktuell milder Temperaturen stehen für viele Deutsche noch einige Wochen des Heizens an. Die Füllstände der deutschen Gasspeicher sind dabei so niedrig wie noch nie – gleichzeitig geht der Gaspreis durch die Decke.

"Der Füllstand liegt aktuell knapp über 37 Prozent. Es war bereits absehbar, dass der Füllstand zu Beginn des Februars unter 40 Prozent fallen würde", sagt Sebastian Bleschke, Geschäftsführer des Branchenvereins INES. Er beobachtet die Lage genau, Entwarnung bezüglich Versorgungsengpässen kann er aktuell nicht geben.

Zum Vergleich: Vor drei Jahren lag dieser Wert noch bei 70 Prozent, 2020 sogar bei über 90 Prozent. Bei unseren Nachbarn in Österreich sieht die Situation ähnlich aus, auch dort sind die Füllstände der Gasspeicher dieses Jahr besonders niedrig.

t-online erklärt, was das für Verbraucher bedeutet und welche Rolle der Ukraine-Konflikt spielt.

Warum ist der Füllstand so niedrig?

Dafür gibt es mehrere Gründe: Zum einen war es im April 2021 ungewöhnlich kalt, dadurch wurde zu Beginn der Auffüllsaison noch einmal viel Gas entnommen. "Zudem wurde in Deutschland im ersten Halbjahr 2021 mehr Erdgas verbraucht als in den Vorjahren", teilt der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft mit. Durch die konjunkturelle Erholung sei die Nachfrage aus der Industrie gestiegen.

Daraufhin stiegen dann im Sommer – anders als in den Vorjahren – die Preise. Eine unattraktive Situation zum Einkauf. Das rächt sich nun.

"Das Kernproblem ist: Eine Reihe von Marktakteuren hat offenbar zu wenig für den Winter vorgesorgt und zu stark auf kurzfristige Beschaffungsmöglichkeiten gesetzt", sagt Bleschke t-online.

Zusätzlich belaste die Ukraine-Krise den Markt. Denn Russland hat Gaslieferungen nach Europa, die durch Belarus und die Ukraine führen, stark eingeschränkt, die Lieferungen über Nord Stream 1 sind hingegen hoch. Das sei kein marktrationales Verhalten, so Fabian Huneke vom Beratungsunternehmen Energy Brainpool.

Wofür gibt es die Speicher überhaupt?

Die Speicher bilden eine Art Puffersystem für den Gasmarkt und sollen Schwankungen beim Verbrauch ausgleichen. Sie können aber nicht den gesamten Bedarf an Gas abdecken. Laut Bundesverband der deutschen Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) lag der Erdgasverbrauch 2021 in Deutschland bei 1.003 Terawattstunden. Zum Vergleich: Laut INES können die deutschen Gasspeicher derzeit maximal 255 Terawattstunden Erdgas speichern.

Doch besonders an kalten Tagen kommen die Speicher zum Einsatz. Dann macht das eingelagerte Gas bis zu 60 Prozent der Energieversorgung aus.

Insgesamt gibt es in Deutschland 47 Untertagespeicher, die von 25 Unternehmen betrieben werden. Damit machen die deutschen Speicher ein Viertel der Kapazitäten der Europäischen Union aus. Dabei gibt es zwei Arten: Kavernenspeicher in Salzstöcken, in denen das Gas in Hohlräumen lagert, und Porenspeicher, in denen das Gas in durchlässigen Gesteinen gespeichert wird.

Welche Rolle spielt Russland?

Russland ist zwar nicht der einzige Gaslieferant, aber der größte. 2020 kamen laut einem Monitoring-Bericht von Bundesnetzagentur und Bundeskartellamt gut zwei Drittel des nach Deutschland importierten Gases aus Russland. Gut 20 Prozent entfielen auf Norwegen, knapp 12 Prozent auf die Niederlande. In Deutschland selbst gefördertes Gas machte 5 Prozent aus.

Der russische Staatskonzern Gazprom betreibt zudem über eine Tochtergesellschaft zwei Gasspeicher in Deutschland, darunter den bundesweit größten im niedersächsischen Rehden. Auf ihn entfällt rund ein Fünftel der deutschen Speicherkapazität. Seit vielen Monaten ist sein Füllstand sehr niedrig.

An den russischen Gasimporten hängt also ein beträchtlicher Teil der deutschen Versorgung und damit auch des Gaspreises. So teilte Gazprom in einer Meldung zu den deutschen Gasspeichern gleichzeitig mit, dass sie Rekordmengen nach China exportierten. An den Märkten wurde das als klares Signal verstanden, dass sich Russland von Europa als großem Abnehmer unabhängig machen will. Der Gaspreis stieg daraufhin deutlich an.

Sollte der Konflikt um die Ostukraine eskalieren, könnte das den Gasfluss aus Russland nach Deutschland bedrohen. Zum einen, da der Westen bereits Sanktionen angedroht hat, was dann auch die stark ausgelastete Pipeline Nord Stream 1 beträfe; zudem befürchten die Betreiber der Pipelines in der Ukraine, dass ihre Leitungen im Kriegsfall gezielt angegriffen würden.

Interessant ist hierbei: Die Ukraine selbst hat ein hohes Gasvorkommen. In einem Beitrag für die "Neue Zürcher Zeitung" beschrieben Mitarbeiter des Ukrainischen Instituts für die Zukunft in Kiew unlängst, welches Potenzial für Förderung und Speicherung vor Ort bestünde. Eine engere Vernetzung zwischen der EU und der Ukraine sei nicht nur im Krisenfall eine interessante Option.

Droht ein Versorgungsengpass?

Experten wollen das zumindest nicht ausschließen. Solange die russischen Gaslieferungen nach Europa weitergehen, dürfte es zu keinem Engpass kommen, so Huneke von Energy Brainpool. Sollte es hier aber zu Unterbrechungen kommen, könne daraus eine Mengenkrise werden.

Auch Bleschke hält den Ausfall aller russischen Gaslieferungen für "sehr unwahrscheinlich". Sagt aber auch: "Um Entwarnung zu geben, ist es sicherlich noch zu früh."

In den vergangenen Monaten sei es bereits zu Problemen gekommen: "Mindestens im Dezember sahen sich Industriekunden aufgrund der hohen Preise gezwungen, ihre Anlagen zu drosseln oder ganz abzuschalten. Eine ordentliche Versorgung, insbesondere der Industrie sieht sicherlich anders aus", so Bleschke.

"Insbesondere Haushaltskunden sind zudem im unwahrscheinlichen Fall eines Engpasses durch gesetzliche Bestimmungen besonders geschützt", betont der BDEW.

Wie reagiert die Politik?

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck will für den kommenden Winter Lösungen finden und sieht einen politischen Handlungsauftrag. Bei der Regierungsbefragung in der vergangenen Woche sagte er: "Zum Winter nächsten Jahres muss das Thema gelöst werden."

"Wir können nicht noch einmal in so eine Situation reinlaufen, wie wir sie jetzt erlebt haben. Das wäre wirklich fahrlässig", so Habeck weiter. Es gebe deswegen nur wenige Möglichkeiten für staatliche Eingriffe. Für die Zukunft sei die Einrichtung einer nationalen Gasreserve denkbar oder auch eine Vorschrift für Lieferanten, wie sie Italien kenne, wonach zu einem bestimmten Datum ein gewisser Stand in den Gasspeichern erreicht sein muss.

"Vor diesem Hintergrund der bisherigen Winterversorgung lassen sich die Aussagen von Minister Habeck durchaus nachvollziehen", sagt Beschke vom Branchenverein INES. Er spricht sich für den zweiten Vorschlag aus: "Die Kosten für eine Lieferantenverpflichtung sind deutlich niedriger als für die Einrichtung einer nationalen Gasreserve."

"Beide Wege haben Vor- und Nachteile", sagte Habeck. In jedem Fall handle es sich um Markteingriffe, die Fragen nach Kompensation oder Garantien aufwerfen.

Auch Bundeskanzler Olaf Scholz beschäftigt die Abhängigkeit von russischen Pipelines. Am Montag teilte Regierungssprecher Steffen Hebestreit mit, dass Scholz Pläne unterstütze "einen oder mehrere" Terminals für das Anlanden von Flüssiggas in Deutschland zu bauen.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Gespräch mit Sebastian Bleschke
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