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Weltwirtschaftsforum in Davos: Krieg in der Alpenidylle


Weltwirtschaftsforum
Krieg in der Alpenidylle

  • Florian Schmidt
Von Florian Schmidt, Davos

Aktualisiert am 25.05.2022Lesedauer: 5 Min.
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Blick auf das Alpenstädtchen Davos (Symbolbild): Der Ukraine-Krieg überschattet das Weltwirtschaftsforum.Vergrößern des Bildes
Blick auf das Alpenstädtchen Davos (Symbolbild): Der Ukraine-Krieg überschattet das Weltwirtschaftsforum. (Quelle: Westend61/imago-images-bilder)

Die Stimmung beim Weltwirtschaftsforum ist gedrückt. Die Gespräche in Davos kennen nur ein Thema: Putins Angriff auf die Ukraine.

Maria ist die Furcht anzuhören. Sie spricht langsam und leise, überlegt sich jedes Wort genau. Trotzdem versagt ihr manchmal die Stimme.

Noch bis vor drei Monaten verdiente die 24-Jährige ihr Geld als Make-up-Expertin, erklärte jungen Frauen im Netz, wie sie sich am besten schminken. Jetzt steht sie, ein blau-gelbes Schild in der Hand, im Schweizer Luftkurort Davos und erzählt vom Krieg in ihrer Heimat, der Ukraine.

"Mein Freund hat bis zuletzt in Mariupol gegen die Russen gekämpft, er war Teil der eingekesselten Soldaten im Asow-Stahlwerk, die sich vor Kurzem ergeben haben", sagt sie. "Er lebt noch. Aber wo er jetzt ist, weiß ich nicht."

Das Weltwirtschaftsforum als Kriegsgipfel

Die Russen haben ihn als Kriegsgefangenen verschleppt, seit Ende vergangener Woche hat Maria nichts mehr von ihm gehört. "Ich habe große Angst um ihn", berichtet sie. "Umso mehr jedoch denke ich, dass ich etwas tun muss. Ich will, dass die Menschen von seinem Schicksal erfahren. Deshalb bin ich hier."

Mit "hier" meint Maria dabei weniger Davos selbst als vielmehr das Weltwirtschaftsforum (WEF), zu dem diese Woche rund 2.500 Entscheider aus Politik und Wirtschaft in das kleine Städtchen reisen. Es ist das erste richtige Treffen der globalen Eliten seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie. Eigentlich hätte es eine große Feier werden können, ein Wiedersehensfest.

Davon jedoch ist vor Ort nur wenig zu spüren. Das WEF gleicht in diesem Jahr eher einem Kriegsgipfel. Die Diskussionen und Gespräche stehen ganz im Zeichen des russischen Überfalls auf die Ukraine.

Der Krieg beherrscht die Gespräche

Deutlich wird das zuallererst im offiziellen Programm des Treffens, in den Reden und Podiumsdebatten, abgehalten im hölzernen Konferenzzentrum. Die Macher des WEFs um ihren Gründer Klaus Schwab haben der vergleichsweise großen ukrainischen Delegation viel Platz im Ablauf eingeräumt.

Zu verschiedenen Anlässen richten sich Regierungsangehörige und Parlamentsabgeordnete mit Appellen an die Teilnehmer. Zudem kommt kaum ein Redner, der nicht selbst aus der Ukraine stammt, ohne einen Verweis auf die Situation in dem Land aus – fast jede Diskussion streift die wirtschaftlichen Konsequenzen des Kriegs.

Und so sind auch die am meisten beachteten Ansprachen dieses Jahr nicht die der Staats- und Firmenchefs großer Wirtschaftsmächte, sondern die Reden jener Akteure, die im aktuellen Konflikt besonders im Fokus stehen:

"Wir kämpfen jeden Einzelnen von euch!"

Wolodymyr Selenskyj, der zu "maximal wirksamen Sanktionen" gegen Russland aufruft und bei den Wirtschaftskapitänen für Investitionen zum Wiederaufbau seines Landes wirbt. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen, die tags darauf verspricht: "Wir werden der Ukraine Hand in Hand helfen, sich aus der Asche zu erheben!"

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, der warnt: "Freiheit ist wichtiger als Freihandel." Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko, der sein Handy ans Mikro hält, um den Anwesenden das alltägliche Geräusch des Luftalarms vorzuspielen, und ihnen ins Gewissen redet: "Wir verteidigen in der Ukraine euch. Wir kämpfen für jeden Einzelnen von euch!"

Der Krieg hat es bis in die Alpenidylle von Davos geschafft. Und er belastet die Stimmung.

Fotos zeigen russische Kriegsverbrechen

Das zeigt sich auch abseits des von Zäunen und Polizisten gut abgeschirmten Veranstaltungsgeländes. Der warme Sonnenschein, die fürs WEF ungewohnt grüne Berglandschaft und die zum Teil locker sitzenden Krawatten der Teilnehmer täuschen kaum darüber hinweg: Im Dorf hat sich ein Gefühl der Beklemmung breitgemacht.

Besonders eindrücklich wird das in einem Haus mit roten Fensterläden, gelegen an der Straße "Promenade", die einmal quer durch den Ort führt. "Russian War Crimes House" steht in großen Lettern auf einem Schild, das über dem Eingang prangt: "Das Haus der russischen Kriegsverbrechen".

Im Inneren befindet sich eine Fotoausstellung. Pro Sekunde flimmert ein neues Bild in Großaufnahme über eine Leinwand. Jedes zeigt eine der vielen Gräueltaten der russischen Armee: zerstörte Häuser, Tote, blutverschmierte Leichen – Fotos, wie sie viele Medien aus Rücksicht auf Zuschauer und Betroffene oft nicht veröffentlichen.

Einst Treffpunkt der Moskauer Oligarchen

Das Haus sorgt seit Beginn des Weltwirtschaftsforums für viel Aufsehen. Dazu muss man wissen, dass sich die Promenade anlässlich des Weltwirtschaftsforums in eine Art Messe großer Unternehmen und Wirtschaftsnationen verwandelt. Für die Dauer des WEFs ziehen die sonst in den Ladenlokalen ansässigen Bäckereien, Juweliere und Frisöre aus, damit die Inhaber der Häuser astronomische Mieten für die Konzern-Showrooms verlangen können.

Das Besondere am Haus mit den roten Fensterläden: Bis zur letzten Ausgabe des WEFs im Jahr 2020 war hier mehrere Jahre in Folge das "Russische Haus" untergebracht. Kremlvertreter und Oligarchen hielten Hof, wilde Partys wurden gefeiert, viel Wodka an Passanten ausgeschenkt, im Hinterzimmer Deals eingetütet.

Jetzt hat der ukrainische Multimilliardär Victor Pinchuk das Geschäft angemietet, um, wie sein Berater Thomas Weihe auf Deutsch souffliert, mit den Fotos "die Wahrheit über Russland aufzudecken".

Russland frühzeitig ausgeladen

Dass ihm dieser Coup gelungen ist, hat vor allem einen Grund: Russland selbst ist beim Weltwirtschaftsforum gar nicht dabei. Die Veranstalter hatten sowohl russische Regierungsvertreter als auch die rund 20 Mitgliedsunternehmen gleich nach Beginn des Angriffskrieges auf die Ukraine ausgeladen.

Manch einer spricht dieser Tage deshalb gar vom "WEF des Westens", da auch China nur mit einer sehr kleinen Delegation vertreten ist. Angesichts der indischen Delegation um ihren Ölminister Hardeep Singh Puri und nicht zuletzt der Saudis, die gleich sechs Minister in die Schweizer Berge schickten, trifft diese Bezeichnung zwar nicht ganz zu.

Und doch: In Davos schälen sich in dieser Woche deutlich wie vielleicht nie seit Beginn des Ukraine-Kriegs alte Machtblöcke aus dem Schatten der Geschichte. Hier die freie Welt von morgen – dort die Kriegstreiber, geleitet von der Idee eines ewig-gestrigen Imperialismus.

Blau und Gelb dominieren in Davos

"Der Krieg ist ein Wendepunkt in der Geschichte", sagte WEF-Gründer Klaus Schwab in seiner Eröffnungsrede. "Er wird unsere politische und wirtschaftliche Landschaft verändern."

Was er unausgesprochen ließ: In den vielen Gesprächen, nicht zuletzt jenen hinter verschlossenen Türen, dürften die Anwesenden in Davos einen großen Teil dazu beitragen, dass seine Prognose eintritt. Verträge zwischen Unternehmen, die Neuorganisation der Lieferketten, Gespräche unter Staatschefs – das alles ebnet den Weg hin zu einer neuen Welt, wie sie erst der Krieg notwendig gemacht hat.

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Die Farben dieser neuen Welt sind dabei für den Moment schnell ausgemacht. Blau und Gelb, die Nationalfarben der Ukraine, dominieren in Davos.

Sie begegnen einem in Form von Anstecknadeln an Anzügen, am so verhüllten "Haus der Ukraine". Und ganz nebenbei, der Zufall will es so, im Stadtwappen von Davos, das unter anderem an der Polizeistation prangt: ein blaues Kreuz auf gelbem Grund.

Verwendete Quellen
  • Eigene Beobachtungen vor Ort
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