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Lieferprobleme: In Deutschland werden die Medikamente knapp


Instabile Lieferketten
In Deutschland werden die Medikamente knapp


Aktualisiert am 14.07.2022Lesedauer: 3 Min.
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Tabletten und Kapseln (Symbolbild): Arzneimittel sind häufig vergriffen.Vergrößern des Bildes
Tabletten und Kapseln (Symbolbild): Arzneimittel sind häufig vergriffen. (Quelle: blickwinkel/imago-images-bilder)

Seit Jahren sind bestimmte Arzneimittel Mangelware. Jetzt verschärfen Krieg und Energiekrise das Problem.

Hat man Sie in der Apotheke in letzter Zeit mit einem Ersatzpräparat eines anderen Herstellers vertröstet? Dann sind Sie nicht allein. Ob Schmerz-, Fieber oder Narkosemittel: In Deutschland werden viele Medikamente knapp.

Nicht nur in Apotheken, auch in Krankenhäusern fehlen laut Apothekerverband Abda zahlreiche Arzneimittel. Demnach mussten in den vergangenen Wochen gar Operationen verschoben werden, weil das narkoseeinleitende Medikament fehlte. Auch ein Mittel zur Brustkrebsprävention bei genesenen Frauen war zeitweise nicht erhältlich.

Insgesamt zählt das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte derzeit 269 Meldungen für Lieferengpässe bei Medikamenten. Das sind fast ein Drittel mehr als vor knapp einem Jahr. Ende Juni 2021 waren es dem Bundesinstitut zufolge noch 205 Präparate.

Lieferketten sind stark gestört

Die Ursachen für die Knappheit sind vielfältig. Zum einen ist der Bedarf an vielen Arzneimitteln durch Corona und den Krieg in der Ukraine gestiegen, insbesondere an Schmerz-, Fieber und Narkosemitteln sowie Jodtabletten.

Zum anderen machen Baustellen in der Lieferkette den Herstellern zu schaffen. Wie viele andere Industriezweige ist die Branche von Konjunkturschwankungen und der Pandemie betroffen. Die Folge: Ausfälle und Planungsunsicherheiten in Produktion, Logistik und Vertrieb.

Konzentration im Markt gefährdet Versorgungssicherheit

Andreas Aumann vom Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) macht den Kostendruck im Gesundheitswesen für die aktuelle Situation verantwortlich: "Die ausufernde Sparpolitik der Krankenkassen im Arzneimittelbereich hat die Versorgungssituation insbesondere bei versorgungsrelevanten Wirkstoffen derart verschärft, dass oftmals nur wenige Anbieter im Markt sind."

Hinzu kommt, dass die wenigen Firmen Arzneimittel zu einem großen Teil abseits Europas herstellen. 2020 stammten 63 Prozent der Wirkstoffe aus Asien.

Dort wiederum verteilen sich die Produktionsschritte von Wirkstoffgewinnung über -verarbeitung und Verpackung auf unterschiedliche Länder. Die Lieferketten sind entsprechend komplex – und störungsanfällig. Steht die Produktion einmal still oder gibt es Qualitätsprobleme mit einer Charge, kommt es hierzulande zu Engpässen.

Die Gefahren sind lange bekannt

Ganz neu sind all diese Probleme nicht: Dem Branchenverband Abda zufolge gehören Lieferengpässe von Medikamenten "zu den größten Ärgernissen im Apothekenalltag der vergangenen Jahre".

Bereits 2017 gaben neun von zehn Apotheken an, dass in den vergangenen drei Monaten mindestens einmal Arzneimittelengpässe in ihrer Apotheke aufgetreten sind. Die Arzneimittelkomission sprach damals gar von einer "Gefahr für die Patientensicherheit".

Momentan fehlt es vor allem an Schmerzsäften für Kinder, die Paracetamol enthalten. Auch Ibuprofen ist in einigen Regionen teils schwer erhältlich. In diesen Fällen müssen die Apotheken auf Alternativen ausweichen, entweder in Bezug auf die Darreichungsform – beispielsweise ein Zäpfchen statt einer Tablette – oder in Bezug auf den Hersteller.

Chaos in den Apotheken

Im Gespräch mit t-online berichten Apotheker von zum Teil chaotischen Zuständen. An manchen Tagen seien sie fast die Hälfte der Arbeitszeit damit beschäftigt, Präparate zu tauschen und mit Ärzten Rücksprache zu halten.

Für Verbraucher birgt dies in der Regel zwar keine gesundheitliche Gefahr. Allerdings fiele manchen Kunden die Umgewöhnung auf ein anderes Produkt schwer, berichten Apotheker – oft allein deshalb, weil die Verpackung anders und damit weniger vertraut aussieht.

Hersteller stellen Produktion ein

Besonders die Lieferung sogenannter Generika ist aktuell eingeschränkt. Darunter versteht man Medikamente, die den gleichen Wirkstoff haben wie ein Markenprodukt – aber deutlich günstiger sind. Sie stehen deswegen unter besonderem Kostendruck.

Das Problem: Die Arzneimittelhersteller können die gestiegenen Kosten für ihre Produkte nicht beliebig an die Endkunden weitergeben. Denn die Preise in der Pharmaindustrie sind stark reguliert.

Laut Aumann vom BPI haben manche Hersteller die Produktion deswegen bereits gänzlich eingestellt. In Zeiten "explodierender" Rohstoff- und Energiepreise lohne es sich teilweise schlicht nicht, die Produktion aufrechtzuerhalten. "Schlimmstenfalls", warnt der Branchenvertreter, "drohen Versorgungsengpässe für die Patienten."

Rückverlagerung der Produktion nach Europa

Für die Unternehmen wird deshalb die Wahl des Produktionsstandorts und die Planung der Transport- und Vertriebswege zunehmend eine Frage der strategischen Ausrichtung. "Insbesondere bei versorgungsrelevanten Arzneimitteln wie Antibiotika, die aktuell fast ausschließlich in China produziert werden, ist der Aufbau einer eigenen europäischen Produktion sehr sinnvoll", so Aumann. Eine Meinung, die viele in der Branche teilen.

Klar ist jedoch auch: Eine Rückverlagerung der Produktion nach Europa würde Jahre dauern. Sie ginge zwangsläufig mit hohen Investitionen und deutlich teureren Medikamenten einher. Doch Aumann findet: "Die größere Versorgungssicherheit sollte es uns wert sein." Es dürfe nicht mehr allein um den günstigsten Preis gehen.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Andreas Aumann vom Bundesverband der pharmazeutischen Industrie
  • Faktenblatt von der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände e.V.
  • Eigene Recherche
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