t-online - Nachrichten für Deutschland
t-online - Nachrichten für Deutschland
Such IconE-Mail IconMenü Icon



HomeGesundheitKrankheiten & SymptomeCorona

Oktoberfest in Zeiten von Corona: Wird die Gaudi zum Superspreader-Event?


Corona feiert mit
Wird das Oktoberfest zum Superspreader-Event?


Aktualisiert am 08.09.2022Lesedauer: 4 Min.
Interview
Unsere Interview-Regel

Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.

Zum journalistischen Leitbild von t-online.
Feiernde auf dem Oktoberfest (Archivbild): Durch das Event könnten die Infektionszahlen in die Höhe schnellen.Vergrößern des Bildes
Feiernde auf dem Oktoberfest (Archivbild): Durch das Event könnten die Infektionszahlen in die Höhe schnellen. (Quelle: Gimmi via www.imago-images.de/imago-images-bilder)

Das weltweit größte Volksfest findet erstmals seit zwei Jahren wieder statt. Doch das Oktoberfest könnte die Corona-Infektionszahlen bundesweit verdoppeln.

Über sechs Millionen Menschen besuchten die Wiesn 2019 – vor Corona. Dann war zwei Jahre Pause. Am 17. September findet das Oktoberfest nun wieder statt. 400.000 Menschen am Tag kamen vor der Pandemie dorthin. Wäre es 2022 wieder so – was würde das für das Infektionsgeschehen in Deutschland bedeuten?

Das Coronavirus ist nicht weg. Weiterhin gibt es täglich etwa 120 Corona-Tote. Das Oktoberfest aber findet dieses Jahr wieder statt. Und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) kündigte bereits an, das Fest ohne Maske zu besuchen. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) konterte, dann sei ein Schnelltest angeraten.

Mediziner warnen: Die Wiesn wird die Infektionszahlen hochtreiben. Ansteckungen mit dem Coronavirus seien bei Millionen Gästen aus teils fernen Ländern programmiert. Johannes Bogner, Leiter der Sektion Klinische Infektiologie am LMU-Klinikum der Uni München, sagte dem ZDF: "Natürlich wird es dazu führen, dass eine Erhöhung der Fallzahlen auftreten wird."

Zuletzt hatte ein Volksfest in Straubing mit etwa einer Million Besuchern dazu geführt, dass der Kreis die bundesweit höchste Inzidenz in ganz Deutschland verzeichnete. Was bedeutet das Oktoberfest in der Konsequenz für ganz Deutschland? t-online fragte den Mathematiker Kristan Schneider, der die Pandemie modelliert.

Herr Schneider, sechs Millionen Menschen an einem Ort über 15 Tage – ohne Maske und bierselig. Was erwartet uns da bezüglich der Corona-Zahlen?

Kristan Schneider: Nichts Gutes. Wenn man es mal ganz nüchtern durchrechnet, könnte dieses Event zu einer Verdopplung der Infektionszahlen in Deutschland führen. Die Oktoberfestinfektionen lösen neue Infektionsketten aus. Und das führt leicht zu einer Verdoppelung und in weiterer Folge im Herbst zu einer massiven Erhöhung der Fallzahlen. Die werden noch stärker steigen als die Bierpreise auf dem Oktoberfest.

Kristan Schneider
Kristan Schneider (Quelle: Helmut Hammer)

Kristan Schneider ist Mathematikprofessor an der Hochschule Mittweida, Sachsen. Sein Forschungsschwerpunkt ist die Modellierung epidemiologischer Prozesse.

Wie kommen Sie auf eine Verdopplung der Infektionszahlen?

Das ist folgende Rechnung: Bundesweit werden im Schnitt circa 35.000 Neuinfektionen täglich verzeichnet. Wir können aber, das wissen wir von Abwassertests, davon ausgehen, dass die Dunkelziffer um das Drei- bis Fünffache höher ist. Somit liegt die eigentliche Zahl zwischen 105.000 und 175.000 Neuinfektionen. Nun muss man die Krankheitsdauer einrechnen. Infizierte sind etwa zehn bis zwölf Tage infektiös. Somit haben wir derzeit 1,3 bis 2,1 Millionen aktive Infektionen in Deutschland. Das sind zwischen 1,6 bis zwei Prozent der Gesamtbevölkerung.

Und das kann man nun aufs Oktoberfest umlegen?

Richtig: Kämen jetzt, wie vor der Pandemie, etwa 400.000 Besucher am Tag, sind statistisch gesehen 6.500 bis 8.000 von ihnen infiziert, eben 1,6 bis zwei Prozent.

Das ist an Tagen mit mäßigem Besucherandrang erst mal kein so großes Problem für diejenigen, die sich draußen aufhalten.

Das mag so sein, doch das Problem sind die Bierzelte. Grob geschätzt geht die Hälfte der Infizierten zum Maßtrinken ins Zelt. Wir haben also 3.300 bis 4.000 infizierte Bierzeltbesucher täglich. Nun ist die Omikron-Variante des Virus besonders ansteckend. Wir können also davon ausgehen, dass Infizierte im Bierzelt im Durchschnitt zehn weitere Personen beim Feiern in dem dichten Gedränge anstecken. Also hätten wir 33.000 bis 40.000 Bierzeltinfektionen täglich.

So viel wie jetzt gerade das RKI für ganz Deutschland meldet an nur einem Ort …

Genau, und das nur in den Zelten auf dem Oktoberfest. Die Wiesn dauert 15 Tage. Also haben wir 500.000 bis 600.000 Infektionen über das gesamte Fest.

Nun tragen die Menschen das Virus ja weiter …

Richtig, es bilden sich weitere Infektionsketten. Steckt jeder der Wiesn-Infizierten drei weitere Personen an – und das ist bei dieser sehr ansteckenden Variante vorsichtig gerechnet –, macht das zusätzlich 1,5 bis 1,8 Millionen Neuinfektionen, also die gleiche Anzahl an Infektionen, die wir momentan haben. Es kommt also leicht zu einer Verdoppelung.

Dem Servicepersonal kommt auch eine besondere Rolle zu?

Wären die Kellnerinnen und Kellner infiziert, kann sich das nur ungünstig auswirken. Ich denke aber, dass sie aufgrund ihres Berufes schon oft genug infiziert waren und somit einen gewissen Immunschutz aufgebaut haben. Außerdem bleibt zu hoffen, dass die Bierzeltbetreiber ihre Angestellten täglich zum Covid-Test bitten. Das ist das Minimum, das man erwarten kann.

Nun sehen wir aktuell das Abflachen der Sommerwelle. Wie erklären Sie sich die relativ geringen Fallzahlen derzeit?

Nicht die Infektionszahlen sind niedrig, sondern die Zahl der Tests. Wir haben – wie in den Jahren davor – die Urlaubssaison erlebt. Menschen wollen sich da nicht mit diesem Problem beschäftigen und Tests werden bei den Freizeitaktivitäten ja auch gar nicht mehr gefordert. Wir sahen in der letzten Woche ein Abflachen in allen Altersgruppen, nur unter den fünf- bis 15-Jährigen steigen die Zahlen mit dem Schulstart. Wir sehen aber bereits in einigen Bundesländern nach dem Ende der Schulferien zum Beispiel Lehrermangel, weil die Lehrenden wegen Infektionen ausfallen. Wie gesagt: Die eigentliche Zahl der Infektionen dürfte drei- bis fünfmal höher sein als die erfasste.

Die Politik aber ist in einem Dilemma: Das Gros der Leute will sich mit dem Thema Corona eigentlich nicht mehr beschäftigen, daher wurde das Oktoberfest in diesem Jahr auch zugelassen. Andrerseits wissen wir, dass mit wachsenden Infektionszahlen das Virus auch wieder bei den vulnerablen Gruppen ankommt.

Ich denke, Menschen schauen ganz gerne einmal weg, wenn das Hinschauen zu mühsam ist. Covid-19 hängt den Menschen zu Hals hinaus. Durch bessere Behandlungsmethoden, Medikamente und vor allem Impfungen ist das Virus für uns auch tatsächlich nicht mehr so gefährlich wie noch vor einem oder gar zwei Jahren. Aber: Solange wir keine Impfungen haben, die eine nachhaltige sterile Immunität bewirken, sitzt uns das Schreckgespenst weiter im Nacken.

Aber das kommt bei vielen Menschen nicht mehr an.

Der Gesundheitsminister ist bemüht, der Bevölkerung diesen Ernst der Lage zu vermitteln. Leider hat das manchmal die Anmutung von Panikmache. Aber er hat es eben bei der FDP mit einem Koalitionspartner zu tun, der beim Schutz vor Corona permanent auf der Bremse steht. Durch diese unverhältnismäßige Ignoranz wird die Panikmache provoziert.

Herr Schneider, wir danken Ihnen für das Gespräch!

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
Verwendete Quellen
  • zdf.de: "Oktoberfest: Söder will keine Maske tragen" vom 5.9.2022
  • Interview mit Kristan Schneider
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...



TelekomCo2 Neutrale Website