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Corona-Zahlen explodieren: Was rollt da aus Portugal auf uns zu?


Corona-Zahlen explodieren
Neue Variante in Portugal: Was rollt da auf uns zu?


Aktualisiert am 31.05.2022Lesedauer: 4 Min.
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Passant mit Maske in Lissabon (Archivbild): In Portugal explodieren derzeit die Infektionen mit dem Corona-Subtyp BA.5.Vergrößern des Bildes
Passant mit Maske in Lissabon (Archivbild): In Portugal explodieren derzeit die Infektionen mit dem Corona-Subtyp BA.5. (Quelle: Jorge Castellanos/SOPA Images via ZUMA Press Wire/dpa)

In Portugal breitet sich der Omikron-Subtyp BA.5 rapide aus. Virologen warnen vor neuen Spitzenwerten. Und Experten hierzulande sind sich sicher: Diese Welle schwappt auch zu uns schneller, als wir ahnen.

Über 25.000 registrierte Corona-Infektionen werden derzeit jeden Tag in Portugal gezählt – ein Anstieg von 58 Prozent in einer Woche. In Deutschland sind es etwa 28.000. Doch Deutschland hat achtmal mehr Einwohner. Das Besondere: Das Land hatte die Schnelltests in Apotheken schon weitgehend abgeschafft. Also fielen die hohen Zahlen offenbar zunächst bei tatsächlich symptomatisch Erkrankten auf, die dann getestet wurden.

Experten warnen vor 60.000 Fällen am Tag. Und das ohne Dunkelziffer. Die neue Corona-Plage ist auf den Omikron-Subtyp BA.5 zurückzuführen, der zunächst in Südafrika nachgewiesen worden war. Er ist noch ansteckender als der in Deutschland derzeit grassierende Untertyp BA.2.

In der beginnenden Urlaubszeit werden auch in Deutschland wieder Reiserückkehrer erwartet – auch aus Portugal. Was rollt da auf uns zu? Machen wir wieder den gleichen Fehler wie in den vergangenen Jahren? t-online hat Kristan Schneider gefragt, einen Mathematiker, der die Corona-Pandemie modelliert.

t-online: Herr Schneider, das Konzept der Durchseuchung ist auch hierzulande beschlossene Sache. Wo liegen die Risiken bei einer Durchseuchung mit dem BA.5-Subtyp?

Kristan Schneider: Zunächst mal meldet die Europäische Seuchenschutzbehörde (ECDC), dass diese Variante noch mal etwa 13 Prozent ansteckender ist als BA.2, was derzeit in Deutschland vorherrscht.

Heißt: Der R-Wert, also der Wert, der angibt, wie viele Personen jemand ohne irgendwelche Schutzmaßnahmen ansteckt, ist hier noch höher. Und was parallel zu beobachten ist: Auch die Todeszahlen steigen in Portugal wieder. Sie sind momentan dort höher als im Dezember während der Delta-Welle.

Und das, obwohl Portugal zu den Ländern mit der höchsten Impfquote in Europa zählt...

Dort sind etwa 85 Prozent der Bevölkerung zweimal geimpft, in Deutschland sind es etwa nur 77 Prozent. Bei der dritten Impfung sind die deutschen und die portugiesischen Werte vergleichbar.

Angekündigt wurde bereits, eine Kampagne für die Boosterimpfung in dem Land voranzutreiben.

Ja, das ist vernünftig. Die ECDC hat ermittelt, dass der "Erfolg" von BA.5 wahrscheinlich darauf zurückzuführen ist, dass sie den Immunschutz unterläuft – und zwar sowohl den durch eine Infektion erworbenen als auch den, den die Impfung hervorruft. In beiden Fällen lässt der Immunschutz im Laufe der Zeit nach. In jedem Fall ist man mit der Impfung besser dran als ohne.

Kristan Schneider
Kristan Schneider (Quelle: Helmut Hammer)


Kristan Schneider ist Mathematikprofessor an der Hochschule Mittweida, Sachsen. Sein Forschungsschwerpunkt ist die Modellierung epidemiologischer Prozesse.

Virologen warnen vor Spitzenwerten in Portugal, was sagen denn die Zahlen?

Die Sieben-Tage-Inzidenz liegt dort unter BA.5 bei etwa 1.800 pro 100.000 Einwohnern, und das, obwohl man systematische Tests jetzt erst wieder eingeführt hat.

In Deutschland liegt dieser Wert etwa zehnmal niedriger. Aber hierzulande wird ja sowieso kaum noch systematisch getestet. Die Dunkelziffer dürfte enorm sein – rechnet man allein den Anteil der positiven PCR Tests auf das Testniveau von Anfang Februar hoch, hätte man in Deutschland 120.000 Neuinfektionen am Tag, also hätten wir derzeit eine geschätzte Sieben-Tage-Inzidenz von ca. 1.010. Unter BA.5 wird diese weiter steigen. In Portugal wird schon vor Inzidenzen bis zu 4.000 pro 100.000 Einwohner gewarnt.

Aber in Deutschland macht der Anteil von BA.5 an den Neuinfektionen derzeit etwa 2,5 Prozent aus, so die offizielle Statistik. Der Wert hat sich allerdings in einer Woche verdoppelt. Ein Alarmsignal?

Ja, denn exponentielles Wachstum wird immer erst erkennbar, wenn man es eigentlich ohne Maßnahmen nicht mehr stoppen kann.

Maßnahmen heißt jetzt aber nicht: Wir könnten noch mal einen Lockdown wegen BA.5 brauchen? Weltärztepräsident Frank-Ulrich Montgomery warnte am Wochenende, man müsse die Option rechtlich einräumen...

Wegen BA.5 braucht man keinen neuen Lockdown, zumindest nach derzeitigem Stand. Ich denke, das traut sich die Politik auch nicht mehr. Aber man muss jetzt die Hospitalisierungs- und Todesraten genau beobachten. Ich plädiere auch dafür, die Testinfrastruktur neu aufzubauen.

Das Problem unter BA.5 ist auch die kritische Infrastruktur. Durch die Häufung der Infektionen können Arbeitnehmer reihenweise ausfallen und das kann ein System zum Erliegen bringen. Lockdowns würde ich derzeit ausschließen, aber es kann natürlich passieren, dass uns noch eine neue Variante heimsucht.

In Portugal wird die Rückkehr der Maskenpflicht diskutiert...

Die wurde auch hierzulande viel zu früh ohne Grund abgeschafft. FFP2-Masken sind hocheffektiv und minimalinvasive Eingriffe in den Alltag – aber eben nur, wenn sie von allen getragen werden.

Dass BA.5 auch bei uns ankommen wird, gilt als sicher?

Davon ist auszugehen. Und dann wird die Variante auch sehr schnell dominant werden. Das liegt in der Natur der höheren Infektiosität. Bis Ende Juni wird BA.5 bei uns auch dominant sein.

Die Einschleppung und Ausbreitung hierzulande zu stoppen, wird ja auch schon dadurch erschwert, dass 3G für die Einreise nach Deutschland gefallen ist.

Ja, die Reiserückkehrer werden damit nicht mehr gemonitort und wir sehen es dann erst an dem Anstieg der Zahlen. Und dann kann es im exponentiellen Wachstum auch schon wieder zu spät sein. Ich halte es für einen Fehler, diese Maßnahmen an den Flughäfen aufgegeben zu haben.

Zumindest stichprobenartige Tests wären sinnvoll, um den Überblick über das Infektionsgeschehen nicht komplett zu verlieren. Das wäre verantwortungslos. Wenn wir erst wieder massiv mehr Menschen auf Intensivstationen sehen oder die Todesfälle ansteigen, ist es schon zu spät. Denn: Die spiegeln das Infektionsgeschehen der letzten Wochen wider, nie das aktuelle.

Also machen wir den gleichen Fehler wie in den vergangenen zwei Jahren?

Ich denke, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Das einzige, auf das man sich in der Pandemie tatsächlich verlassen konnte, war, dass man Maßnahmen, die aus epidemiologischer Sicht wichtig und vernünftig sind, stets zu früh abgeschafft und zu spät wieder eingeführt hat. Das menschliche Wunschdenken hat eben mit epidemiologischen Gesetzmäßigkeiten nicht viel zu tun.

Herr Schneider, wir danken Ihnen für das Gespräch!

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
Verwendete Quellen
  • Interview mit Kristan Schneider
  • Eigene Recherche
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