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Darmkrebspatientin im Interview: "Lernen , im Regen zu tanzen"


Eine Betroffene berichtet
Darmkrebs mit 44: "Mein Bezug zum Leben hat sich verändert"

InterviewVon Andrea Goesch

Aktualisiert am 16.03.2023Lesedauer: 7 Min.
Interview
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Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.

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Esther M. blickt nach vorn. Die Frage "warum ich" hat sie sich nie gestellt.Vergrößern des Bildes
Esther M. blickt nach vorn. Die Frage "warum ich" hat sie sich nie gestellt. (Quelle: privat)

Vor einem Jahr erfuhr Esther M., dass sie Darmkrebs hat. Damals war die freischaffende Grafikerin, die mit ihrer Familie in Rodgau lebt, gerade einmal 44 Jahre alt.

Die Diagnose erhielt Esther M. am 15. Dezember 2021 nach einer Darmspiegelung. Ihr Arzt hatte ihr nach einer Thrombose dazu geraten. Die Aufnahmen zeigten, dass sich ein großer Tumor im Darm gebildet hatte. Eine Operation wurde kurzfristig angesetzt. Zwei Drittel des Dickdarms wurden dabei entfernt. Im Interview mit t-online erzählt die zweifache Mutter, wie es ihr heute geht und wie der Krebs ihr Leben verändert hat.

t-online: Was haben Sie empfunden, als Sie die Diagnose erhalten haben?

Esther M.: Ich war noch etwas benommen von der Narkose, die ich für die Darmspiegelung bekommen hatte. Trotzdem habe ich in den Blicken der Ärzte gemerkt, dass etwas nicht stimmt. Zunächst wollte man mir nichts sagen. Als ich trotzdem darauf bestanden habe, teilte man mir die Schockdiagnose mit: Ich hatte einen ziemlich großen Tumor im Darm, der zu 80 Prozent bösartig war. Er war schon so groß, dass der Darm kurz vor dem Verschluss stand und die Darmspiegelung gar nicht zu Ende gebracht werden konnte.

Was passierte dann?

Es folgten viele Untersuchungen und ein zeitnaher OP-Termin wurde festgesetzt. Ich konnte zum Glück aber Weihnachten noch mit meiner Familie feiern, was mir sehr gutgetan hat. Am 27. Dezember wurde mir dann der Tumor mit zwei Dritteln des Dickdarms entfernt. Die OP dauerte siebeneinhalb Stunden.

Was war Ihr erster Gedanke, als Sie aus der Narkose aufwachten?

Ich tastete erst einmal meinen Bauch ab, um zu sehen, ob ein künstlicher Ausgang (Stoma) gesetzt wurde. Davor hatte ich am meisten Angst. Das war aber nicht der Fall und ich war sehr erleichtert. Im Gespräch mit dem Chefarzt erfuhr ich, dass der Tumor komplett entfernt werden konnte, zusammen mit 93 Lymphknoten. Die wurden aber erst einmal zur pathologischen Untersuchung geschickt.

Wie ging es nach der OP weiter?

Ich musste tagelang liegen und konnte nur wenig Nahrung in Form von Brei oder Suppen zu mir nehmen. Trotz einer guten medikamentösen Versorgung durch eine im Rückenmark liegende PDK-Schmerzpumpe, Infusionen und Tabletten hatte ich starke Schmerzen und große Probleme mit der Verdauung.

Wegen der Corona-Schutzmaßnahmen konnte ich leider nur alle drei bis vier Tage Besuch empfangen und das auch nur von meinem Mann. Silvester verbrachte ich allein in der Klinik mit meiner 94-jährigen Bettnachbarin, die sich in dieser Zeit rührend um mich gekümmert hat.

Konnte der Tumor rechtzeitig entfernt werden?

Der Tumor konnte komplett entfernt werden und war noch nicht über die Darmwand hinaus gewachsen. Auch alle 93 Lymphknoten waren krebsfrei. Als mir der Arzt diesen Befund mitteilte, hatten wir beide Tränen in den Augen. Unfassbar, was für ein Glück ich bei dieser Tumorgröße hatte!

War eine Chemotherapie notwendig?

Das war am Anfang nicht ganz klar. Die Ärzte waren sich nicht einig darüber, ob eine Chemotherapie nicht doch die beste Absicherung dafür sei, dass der Krebs nicht wiederkommt.

Waren Sie damit nicht überfordert?

Definitiv. Die Tatsache, dass ich alleine über eine Chemo entscheiden sollte, überforderte und belastete mich mehr als alles andere. Aber zunächst ging ich in die onkologische Reha nach Bad Kreuznach, denn ich war zu diesem Zeitpunkt körperlich nicht in der Lage, eine eventuelle Chemotherapie durchzustehen. Ich hatte nach Entlassung aus dem Krankenhaus über 20 Kilo Gewicht verloren, konnte kaum selbstständig laufen, mich anziehen und meinen Alltag bewältigen.

Wie verlief die Reha?

Am Anfang war ich körperlich ein Wrack. Durch den Krankenhausaufenthalt und das viele Liegen hatten sich meine Muskeln zurückgebildet. Hinzu kam mein starker Gewichtsverlust. Am Anfang konnte ich nur wenige Schritte ohne Rollator laufen. Doch mein körperlicher Zustand verbesserte sich schnell. Bewegung und Sport, aber auch die Kunsttherapie taten mir sehr gut. Ebenso die Gespräche mit Therapeuten, Ärzten und anderen Patienten. Und ich hatte ein konkretes Ziel, auf das ich hinarbeitete.

Welches war das?

Ich wollte im Mai mit meiner Giesemer Tanzgruppe "MOMS" auf der Bühne stehen und mittanzen. Das teilte ich auch meinem Arzt in der Reha mit. Seinem Blick nach zu urteilen, glaubte er aber definitiv nicht daran. Dennoch arbeitete ich hart an mir, meinem Muskelaufbau und gegen alle Schmerzen. Ich wollte mein Ziel unbedingt erreichen.

Hat es geklappt?

Ja. Als ich im Mai auf der Bühne stand, war ich körperlich wieder fit und konnte super mittanzen. Da war kein Unterschied zu den anderen Tänzerinnen, was echt unglaublich war. Es war ein fantastisches Gefühl, wieder mit dabei sein zu können. Mental hat mich das Ganze sehr gestärkt und stolz gemacht.

Und die Chemotherapie?

Ich war lange Zeit hin- und hergerissen. Ein Gespräch mit einer Onkologin aus der Reha brachte dann Klarheit. Die Ärztin hatte sich mit einem Professor am Tumorzentrum der Uniklinik Heidelberg beraten. Sie hat mein Bauchgefühl sehr ernst genommen, auf die Chemotherapie besser zu verzichten. Ich hatte Angst, die Chemotherapie könnte meine gesunden Zellen zerstören und mich schwächen, um selbst gegen womöglich kleine Krebszellen im Körper anzukämpfen.

Was rieten Ihnen die beiden Experten?

Sie waren der Meinung, dass es besser sei, keine Chemotherapie zu machen. Mir fiel ein Stein vom Herzen, da sich so mein Bauchgefühl bestätigte. Zuvor hatte sich keiner der Ärzte getraut, das offen auszusprechen. Ich verzichtete also auf eine Chemo.

Sie sind ungewöhnlich jung für eine Darmkrebspatientin. Haben Sie sich jemals gefragt: "Warum ich?"

Nein. Ich habe nie mit dem Schicksal gehadert, sondern habe es angenommen. Die Frage nach dem "Warum" hätte mich in keiner Weise weitergebracht. Eigentlich hatte ich ja Glück. Wäre der Tumor nicht entdeckt und entfernt worden, wäre der Darm vielleicht nur zwei Wochen später geplatzt. Dann hätten sich die Krebszellen in meinem Körper verteilt. Das wäre mein Todesurteil gewesen.

Gibt es eine Erklärung, warum Sie so früh Krebs bekommen haben?

Nein. Ich bin laut meinen Ärzten eine Art Pechbefund. Risikofaktoren gibt es keine. Wir haben keinen Krebs in der Familie, ich habe immer Sport gemacht, bin nicht übergewichtig und habe mich relativ gesund ernährt.

Ihr Umgang mit der Krankheit ist sehr offen. Wie schaffen Sie das?

Das ist wohl eine Typfrage. Ich habe von Anfang an über meinen Krebs gesprochen, habe die Krankheit nie geleugnet oder mich versteckt. Offenheit bewahrt davor, sich in ein Schneckenhaus zurückzuziehen. Kämpfen, Akzeptieren und das Beste aus der Situation machen: Das ist mir wichtig, auch bei vielen anderen Dingen im Leben.

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Hat der Krebs Sie verändert?

Zu 100 Prozent. Mein Bezug zum Leben hat sich positiv verändert. Ich lebe intensiver und versuche Dinge, die mir wichtig sind, nicht aufzuschieben. "Einfach machen" ist meine Devise. Leben und genießen. Außerdem habe ich die Liebe zum Ausdauersport entdeckt, ich laufe sehr viel, mache zweimal wöchentlich Reha-Sport und mein absolutes Highlight ist Qigong. Das gibt mir alles so viel Energie und stärkt mich mental ungemein. Ich fühle mich fitter als vor der Erkrankung.

Warum ist körperliche Aktivität so wichtig?

Bewegung wird grundsätzlich allen Krebspatienten ans Herz gelegt, um fit zu bleiben und das Risiko eines Rezidivs zu minimieren. Aber es gibt auch mental sehr viel Kraft, das Leben zu genießen. Ohne meinen ganzen Sport kann ich es mir echt nicht mehr vorstellen. Das gehört jetzt zu meinem Leben mehr denn je dazu.

Gibt es körperliche Einschränkungen, mit denen Sie bis heute zu kämpfen haben?

Anfangs hatte ich viele Probleme mit der Verdauung. Ich hatte Schmerzen, Dauer-Durchfälle und Blähungen. Das hat sich mit der Zeit jedoch stark verbessert. Doch viele Lebensmittel vertrage ich nicht mehr. Fettiges Essen, süße Desserts, Alkohol und Getränke mit Kohlensäure sind für mich tabu. Ich finde es wichtig, offen über dieses Thema zu sprechen und andere hierfür zu sensibilisieren. Mittlerweile habe ich mich zu einer ausgefuchsten Köchin entwickelt und experimentiere gern auch mal. Denn der Körper entwickelt sich weiter und der Restdarm lernt dazu. Was wichtig ist: Nie aufgeben, immer weiter an sich und seinen Körper glauben.

Haben Sie Angst, dass der Krebs wiederkommt?

Nein. Ich gehe zu den Nachuntersuchungen, um die Bestätigung zu bekommen, dass alles in Ordnung ist und mache mir keine Gedanken, bis das Ergebnis da ist. Angst ist keine Option. Vertrauen ist die stillste Form von Mut. Vertrauen in mich, meine Gesundheit, meine Ärzte und Behandlung.

Sie engagieren sich privat für die Krebsvorsorge. Warum ist Ihnen das so wichtig?

Ich möchte Menschen mein Schicksal ersparen. Darmkrebs tut am Anfang nicht weh und zeigt keine Symptome. Ich hatte keine Probleme, war vom Alter noch lange nicht mit der Krebsvorsorge dran, hatte einfach nur Glück, dass ein Arzt infolge einer Thrombose auf eine Darmspiegelung bestanden hatte. Dieses Glück haben andere nicht. Aber ab 50 Jahren zahlen die Krankenkassen diese Krebsvorsorge. Diese Chance der Krebsfrüherkennung sollte man nutzen.

Wichtig zu wissen:

Alle gesetzlichen Krankenkassen verschicken an ihre Versicherten Einladungen zur Teilnahme an Untersuchungen zur Vorsorge von Darmkrebs, wenn sie das entsprechende Alter erreicht haben. Darin informieren die Kassen über die Möglichkeiten der Darmkrebsvorsorge (sogenanntes Darmkrebs-Screening). Dies geschieht unabhängig davon, ob Sie bereits an einer Früherkennung teilgenommen haben oder nicht.

Dennoch scheuen sich viele vor einer Darmspiegelung.

Die Angst ist unbegründet. Man merkt wirklich nichts, nur das Abführen davor ist etwas unangenehm. Doch die Untersuchung ist wichtig. Sie hilft, einen Tumor früh zu erkennen, wenn er noch heilbar ist.

Bei Krebs ist oft von Kampf die Rede. Wie empfinden Sie das?

Ich bin kein klassischer Krebskämpfer. Ich sehe mich eher als "die, die mit dem Krebs tanzt". Denn Leben heißt, nicht zu warten, bis der Sturm vorüber ist, sondern lernen, im Regen zu tanzen. Das ist mein absoluter Lieblingsspruch, der mich positiv bestärkt.

Vielen Dank für das Gespräch, Frau M.!

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
Verwendete Quellen
  • Interview
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