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Russland: Die lange Liste Putins politischer Gefangener


Nawalny war kein Einzelfall
Putins Gefangene


25.02.2024Lesedauer: 5 Min.
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Wladimir Kara-Mursa vor einem Berufungsgericht 2023: Nach Nawalnys Tod ist er wohl der berühmteste Gegner Wladimir Putins. (Quelle: Maxim Grigoryev/imago-images-bilder)

Über 1.000 politische Gefangene sollen in Russland in Haft sitzen, darunter führende Oppositionelle und Aktivisten. Wer sind diese Menschen? Und weswegen nahm ihnen Putins Regime ihre Freiheit?

Es waren Bilder, die sehr an Alexej Nawalny erinnerten: Der russische Oppositionelle Wladimir Kara-Mursa steht aufrecht. Die Kieferknochen, die unter seinen abgemagerten Wangen hervortreten, lassen sein eigentlich rundes Gesicht kantig erscheinen. Er trägt einen blauen Strafanzug mit weißem Emblem auf der Brust, wie ihn auch Nawalny kurz vor seinem Tod bei einer Gerichtsanhörung getragen hatte. In dem Video aus einem sibirischen Straflager, das der russische Sender "Sota Vision" am Donnerstag veröffentlicht hat, ruft Kara-Mursa seine Unterstützer auf, nicht die Hoffnung im Kampf gegen das Regime von Wladimir Putin zu verlieren. "Wenn wir Mutlosigkeit und Verzweiflung gewähren lassen, ist das genau das, was sie wollen. Wir haben kein Recht, das zuzulassen", sagt er.

Kara-Mursa ist einer der bekanntesten Putin-Kritiker Russlands, seine Inhaftierung ist kein Einzelfall. Laut der russischen Nichtregierungsorganisation OVD-Info sollen derzeit über 1.000 Menschen aus politischen Gründen im Gefängnis sitzen. Es sind Politiker, Aktivisten, Journalisten, oft auch einfache Bürger, die gegen Putin demonstrierten. Gegen viele von ihnen wurden drakonische Strafen verhängt, teilweise über mehrere Jahrzehnte.

Die Gefangenen sind der Beleg dafür, dass Putins Herrschaft in Russland immer autoritärer wird. Der Kreml hat die Presse- und Meinungsfreiheit immer weiter eingeschränkt und das Grundrecht auf Versammlungen mit Beginn der Invasion in der Ukraine weiter beschnitten. Die neuen Zensurgesetze haben die Schlinge um den Hals der russischen Regimegegner nochmals enger gezogen. Einige sind aus Russland geflohen, andere wurden verhaftet.

Wer sind die Menschen, die Putins Regime hinter Gitter gebracht hat? Und was wird ihnen vorgeworfen? t-online gibt einen Überblick.

Ausländische Inhaftierte: Nutzt Putin sie als Faustpfand?

Da wären zum einen ausländische Gefangene wie der US-amerikanische Journalist Evan Gershkovich. Der 32-jährige Redakteur des "Wall Street Journal" wurde im März vergangenen Jahres nach einer Recherche im Ural vom russischen Geheimdienst FSB festgenommen. Seitdem sitzt er in Untersuchungshaft – ihm wird Spionage vorgeworfen. Gershkovich drohen 20 Jahre Haft. Der Journalist und das "Wall Street Journal" bestreiten die Vorwürfe, die russische Justiz hat bis heute keine Beweise vorgelegt.

In seinem Interview mit US-Moderator Tucker Carlson wich Putin zwar Carlsons Einlassung aus, dass Gershkovich kein Spion sei. Allerdings erklärte der Kremlchef, es sei "mehr oder weniger sinnlos", Gershkovich in Russland gefangenzuhalten. Beobachter glauben, dass Russland Gershkovich als Faustpfand festhält, um ihn gegen im Ausland inhaftierte Russen auszutauschen. Im Gespräch mit Carslon deutete Putin eine Bedingung für Gershkovichs Freilassung an: Der in Deutschland inhaftierte Geheimagent Wadim Krassikow, der 2019 einen tschetschenischen Geheimdienstinformanten im Berliner Tiergarten erschoss, soll im Gegenzug freikommen.

Ebenfalls wegen vermeintlicher Spionage sitzt der ehemalige US-Marinesoldat Paul Whelan seit 2018 in einem russischen Hochsicherheitsgefängnis, seine Strafe reicht noch bis ins Jahr 2034. Ein Russe soll dem 54-Jährigen in einem Moskauer Hotel einen USB-Stick mit geheimen Informationen gegeben haben. Whelans Anwälte erklärten, er habe gedacht, dass auf dem Datenträger nur Kirchenfotos gespeichert seien. Zum Zeitpunkt seiner Festnahme war Whelan Sicherheitschef eines Autozulieferers aus Michigan.

Oppositionspolitiker: Die Zensurgesetze sollen sie verstummen lassen

Im Fokus der Kreml-Justiz stehen aber vor allem russische Bürger. Seit Putins Machtübernahme kommt es immer wieder zu mysteriösen Todesfällen russischer Oppositioneller. Außerdem wurden viele kremlkritische Politiker verhaftet. Kara-Mursa ist der berühmteste unter ihnen. Der 42-Jährige war seit den späten 90er-Jahren in verschiedenen russischen Oppositionsparteien um den 2015 ermordeten Boris Nemzow, einen der bedeutendsten Putin-Gegner, aktiv. Nemzow galt als Kara-Mursas Mentor, die beiden waren enge Vertraute.

2015 und 2017 überlebte Kara-Mursa zwei mutmaßliche Mordanschläge. Beide Male litt er eigenen Angaben zufolge unter Vergiftungserscheinungen und fiel ins Koma. Er soll sich derzeit in Isolationshaft befinden – wie zuletzt auch Nawalny. Seine Angehörigen sorgen sich um seine Gesundheit, seiner Frau zufolge hat er in Haft über 20 Kilogramm an Gewicht verloren.

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Seine Festnahme 2022 begründeten die Behörden mit einer Rede, die Kara-Mursa vor Abgeordneten im US-Bundesstaat Arizona gehalten hatte. Darin sprach er über mutmaßliche russische Verbrechen im Ukraine-Krieg, später kam der Vorwurf des Hochverrats hinzu. Das Urteil: 25 Jahre Haft. Damit ist Kara-Mursa ein Opfer der neuen Zensurgesetze zum Ukraine-Krieg. Diese stellen unter anderem das "Diskreditieren" der russischen Streitkräfte unter Strafe. Laut OVD-Info wurden in Russland noch 267 weitere Menschen mit dieser Begründung inhaftiert.

So auch der Moskauer Lokalpolitiker Ilja Jaschin (40) von der Oppositionspartei Solidarnost. Ihm wurde ein YouTube-Video zum Verhängnis: Darin sprach Jaschin über die russischen Gräueltaten in der ukrainischen Stadt Butscha, wo im März 2022 Hunderte Zivilisten massakriert wurden. Alles deutet auf russische Soldaten und Söldner der russlandtreuen Wagner-Gruppe als Verantwortliche für die Morde hin, auch wenn Russland dies bestreitet. Ein Gericht in Moskau verurteilte Jaschin für das Video zu achteinhalb Jahren Straflager. Schon früher war Jaschin mehrfach mit fadenscheinigen Begründungen der russischen Justiz festgesetzt worden.

Wie Kara-Mursa und Jaschin erging es auch Alexej Gorinow (62), dem ersten Russen, der aufgrund der Zensurgesetze ins Gefängnis musste. Er hatte in einem Moskauer Bezirksparlament den russischen Angriff auf die Ukraine als "Krieg" bezeichnet – und nicht wie von der Regierung vorgegeben als "militärische Spezialoperation". Seine Strafe: sieben Jahre Straflager.

Aktivisten: Regimegegner werden zu Terroristen erklärt

Auch der Menschenrechtsaktivist Juri Dmitrijew (68) sitzt seit 2020 eine 15-jährige Strafe wegen angeblicher Sexualverbrechen ab. Seine Unterstützer weisen das als Falschanschuldigungen zurück, auch die Europäische Union sieht den wahren Grund für Demitrijews strafrechtliche Verfolgung in seinem politischen Aktivismus.

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Anders als Dmietrijew sind zahlreiche andere Aktivistinnen und Aktivisten tatsächlich unmittelbar für ihr Engagement verurteilt worden, weil sie laut Angaben der russischen Justiz extremistischen oder terroristischen Organisationen angehören oder aber deren Aktivitäten unterstützen sollen. So zum Beispiel Lilia Tschanyschew (42), Vadim Ostanin (47) und Xenia Fadejewa (31). Sie waren Angestellte von Alexej Nawalny und dessen Anti-Korruptionsorganisation FBK und wurden zu Gefängnisstrafen zwischen siebeneinhalb und neun Jahren verurteilt.

Journalisten: Kritische Presse ist nicht erwünscht

Eine besonders harte Strafe erhielt 2022 der ehemalige Journalist Iwan Safronow. Wegen Hochverrats verurteilte ihn ein Gericht in Moskau zu 22 Jahren Straflager. Der 33-Jährige berichtete früher über Verteidigungspolitik, ehe er kurz vor seiner Verhaftung im Juli 2020 Berater des Leiters der russischen Raumfahrtbehörde wurde. Der FSB warf ihm vor, Staatsgeheimnisse an den tschechischen und deutschen Geheimdienst weitergegeben zu haben.

Recherchen des russischen Investigativmediums "Proekt" ergaben jedoch, dass all diese angeblich "geheimen" Informationen öffentlich in Medienberichten und Mitteilungen des russischen Verteidigungsministeriums verfügbar waren.

Internationale Berühmtheit erlangte außerdem Marina Owsjannikowa (45). Die Redakteurin des Fernsehsenders Perwy kana stürmte mit einem Protestschild in eine Livesendung, "No war", kein Krieg, war darauf groß zu lesen. Und: "Glaubt nicht der Propaganda. Sie lügen Euch an." Für das Verbreiten falscher Informationen zur russischen Armee bekam sie eine Haftstrafe von achteinhalb Jahren. Dem Gefängnis entkam sie allerdings: Sie brach aus dem gegen sie verhängten Hausarrest aus und floh mit ihrer Tochter aus dem Land, zwischenzeitlich hielt sie sich in Berlin auf. Wo sie sich heute befindet, ist nicht bekannt.

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