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Kriege in der Corona-Pandemie: Im Schatten wird weiter geschossen


Kriege in der Pandemie
Im Schatten von Corona wird weiter geschossen

Von Patrick Diekmann

22.04.2020Lesedauer: 5 Min.
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Syrien: Ein türkischer Panzer ist in der syrischen Provinz Idlib unterwegs.Vergrößern des Bildes
Syrien: Ein türkischer Panzer ist in der syrischen Provinz Idlib unterwegs. (Quelle: imago-images-bilder)

Libyen, Syrien, Ukraine, Jemen: Kriege bestimmten vor der Corona-Krise oft die Schlagzeilen. Während die Welt aktuell auf das Virus blickt, hat die Pandemie die Lage in den Krisenregionen verändert.

Die Welt kämpft momentan gemeinsam gegen einen unsichtbaren Feind. In der Corona-Krise müssen alle Länder ihre Maßnahmen koordinieren, das Virus lässt sich nicht mit Panzern und Raketen bekämpfen.

Die Pandemie traf auf eine Welt, in der zahlreiche bewaffnete Konflikte geführt wurden. Syrien, Libyen, Jemen oder die Ukraine: Viele dieser Kriege wüten schon seit einigen Jahren, und seit Jahren ist auch kein Frieden in Sicht – die Konflikte sind festgefahren und die Kämpfe gehen stetig weiter. Daran ändert auch das Coronavirus nichts.

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Aber die gegenwärtige Krise hat die Interessen einiger Kriegsparteien und damit die Lage in den umkämpfen Ländern verändert. Das Ergebnis fällt unterschiedlich aus: In einigen Regionen wird mehr und in anderen weniger gekämpft. Doch auch ein möglicher Corona-Frieden ist interessengeleitet und nicht das Ergebnis der Solidarität im Kampf gegen die Pandemie.

Was macht die Corona-Krise mit den Kriegen dieser Welt? Ein Überblick über die größten Krisenherde:

Libyen

Auf die Idee, ihre Kämpfe einzustellen, kamen die Konfliktparteien in Libyen bislang nicht. Die Lage in dem Land ist höchst gefährlich, die Kämpfe zwischen der Regierung Fayiz as-Sarradsch und den Truppen des Generals Chalifa Haftar spitzen sich weiter zu.

Sarradsch und Haftar scheinen es auszunutzen, dass die Welt gerade mit der Pandemie beschäftigt ist. Haftars Milizen rücken weiter in Richtung der Hauptstadt Tripolis vor, die Sarradsch-Regierung konnte wichtige strategische Punkte an der Küste zurückerobern.

Außenminister Heiko Maas äußert sich "tief besorgt": "Wir stellen fest, dass die Kampfhandlungen in Libyen in unverantwortlicher Weise wieder zunehmen und gleichzeitig das Virus sich dort mehr oder weniger ungehindert ausbreitet", sagte er mit Blick auf die Corona-Pandemie.

Dass die blutigen Kämpfe unvermindert weiter gehen können, wird auch durch Waffenlieferungen aus dem Ausland ermöglicht. Sarradsch wird militärisch von der Türkei unterstützt, wogegen Russland, Ägypten und die Vereinigten Arabischen Emirate an der Seite von Haftar stehen.

"Man hat sich darauf geeinigt, dass keine Unterstützung mehr erfolgen wird", sagte Kanzlerin Angela Merkel auf der Libyen-Konferenz Mitte Januar in Berlin. Davon kann heute keine Rede mehr sein, die Berliner Einigung droht zu scheitern und auch zur Niederlage für die Bundesregierung zu werden.

Deutschland, das das damalige Treffen als außenpolitischen Erfolg feierte, sieht sich zum Handeln gezwungen. Die EU-Operation "Irini" soll die Einhaltung des Waffenembargos auf dem Seeweg kontrollieren, die Bundesregierung möchte 300 Soldaten in die Region schicken. Aber die Waffen gelangen größtenteils auf dem Luftweg nach Libyen und bis diese Lücke geschlossen wird, ist es unwahrscheinlich, dass die Kämpfe aufhören – trotz Corona.

Syrien

Im Gegensatz zu der erneuten Eskalation in Libyen scheint der syrische Krieg nahezu eingefroren. Das Blutbad im Kampf um Idlib, der letzten Bastion von Rebellen und Islamisten im Land, blieb bislang aus. Grund dafür ist indirekt die Corona-Krise.

Die brüchige Waffenruhe, auf die sich Russland und die Türkei geeinigt haben, hält in großen Teilen. Ankara und Moskau sind auch durch die Pandemie vorsichtiger in Syrien geworden, an der Front gibt es gemeinsame türkisch-russische Patrouillen. Auch der besonders vom Virus getroffene Iran hält seine Milizen aktuell zurück, lediglich der syrische Machthaber Baschar al-Assad fliegt noch wenige Luftangriffe auf Stellungen der Rebellen.

In Syrien hat paradoxerweise ausgerechnet die Provinz Idlib am schnellsten auf die Pandemie reagiert. Das Gesundheitssystem ist vom Krieg zerstört. Aber die Rebellen hätten mithilfe der Weltgesundheitsorganisation "radikalere und schnellere Präventionsmaßnahmen ergriffen als das Regime von Assad", teilte das "Washington Institute" mit, und nannte Temperaturkontrollen an der Grenze zur Türkei und die Desinfektion von Moscheen und Schulen als Beispiele.

Die Islamisten möchten sich gegenüber Russland und der Türkei als legitime Regierungsmacht präsentieren. Außerdem sind Maßnahmen gegen die Corona-Krise in Syrien besonders wichtig, weil das Land nach neun Jahren Bürgerkrieg einen größeren Ausbruch nicht verkraften würde.

Jemen

Im Jemen mischt sich Hoffnung mit Angst. Eine einseitig ausgerufene Feuerpause von Saudi-Arabien läuft an diesem Donnerstag ab. Zwei Wochen lang wollte das saudische Bündnis, das im Nachbarland gegen die Huthi-Rebellen kämpft, die Waffen schweigen lassen. Man wolle das "Leid des jemenitischen Brudervolks mildern", hieß es aus Riad. Die Aussage ist zynisch, weil unter anderem Saudi-Arabien seit fünf Jahren weite Gebiete des Jemen bombardiert.

Doch die Angst vor dem Coronavirus ist gegenwärtig größer als der Wille nach einem militärischen Sieg. Trifft die Pandemie den Jemen, würde das nicht nur das Gesundheitssystem komplett überfordern, sondern es noch schwerer machen, humanitäre Hilfe ins Land zu lassen.

UN-Vermittler Martin Griffiths zufolge machten Verhandlungen für einen anhaltenden landesweiten Waffenstillstand in dem Bürgerkriegsland zuletzt Fortschritte. Grundsätzlich werde der Waffenstillstand von beiden Seiten unterstützt. "Wir erwarten, dass sie diese Abkommen in naher Zukunft vereinbaren und formell annehmen", erklärte Griffith erst letzte Woche vor dem UN-Sicherheitsrat in New York.

Beobachter sehen die Verhandlungen als Möglichkeit für Gespräche zwischen der schwachen jemenitischen Regierung und den Huthis, die von dem Iran unterstützt werden. Doch viele zweifeln an den erklärten Motiven Saudi-Arabiens, mit der Waffenruhe auch den Weg zu politischen Gesprächen ebnen zu wollen. Stattdessen wolle das Königreich sich womöglich Zeit verschaffen, um eigene Probleme anzugehen: Saudi-Arabien ist vom Coronavirus in der Golfregion am stärksten betroffen, nach Berichten sollen auch Dutzende Mitglieder des Königshauses infiziert sein. Außerdem ist der Ölpreis auf Talfahrt.

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Ob die Huthis sich auf die Waffenruhe einlassen, ist dagegen unklar, es gibt weiterhin Kämpfe. Die Rebellen sind aktuell so stark wie seit Jahren nicht. Sie kontrollieren große Teile des Nordens, in den Provinzen Marib und Al-Dschauf wollen sie der Regierung die letzte große Bastion im Land abringen, auch in der Hafenstadt Hudaida brachen wieder Kämpfe aus. Ihre Landgewinne geben ihnen wenig Anlass, ausgerechnet jetzt die Waffen niederzulegen.

Ukraine

Russland hat sich durch die Annexion der Krim im Jahr 2014 außenpolitisch weiter isoliert, auch noch sechs Jahre später sind Sanktionen der Europäischen Union und der USA in Kraft. In der Corona-Krise scheint es das strategische Ziel Moskaus zu sein, wieder ein Stück weit zurück in die internationale Gemeinschaft zu kehren – sicherlich auch, um die Sanktionen loszuwerden.

Diese politische Marschrichtung des Kremls wirkt sich auf die Kriege in Syrien und in der Ukraine aus. Die Waffenruhe zwischen pro-russischen Separatisten in der Ost-Ukraine und der ukrainischen Armee hält weitestgehend. Alle Parteien handeln allgemein aus Sorge vor einem großen Corona-Ausbruch.

"Unsere Aufgabe ist jetzt nicht, für Komfort zu sorgen, sondern fürs Überleben: Brot, Butter, Milch, Getreide", sagte Wolodymyr Selenskyj mit Blick auf die Corona-Pandemie. Die Krise, bei der mehr als 5.000 Menschen in der Ukraine mit dem Coronavirus infiziert und mehr als 100 Infizierte gestorben sind, legt die Schwächen des chronisch unterfinanzierten Gesundheitssystems offen. Da gerät der Krieg etwas aus dem Fokus.

Aber schon vor der Corona-Krise gab es leichte Zeichen der Entspannung, auch durch Selenskyj, der seit seiner Wahl im Jahr 2019 eine gewisse Aussöhnungspolitik betreibt, was bei nationalistischen Kräften in der Ukraine nicht immer populär ist. Von Ende Dezember bis heute haben beispielsweise Separatisten und Regierung in der Ukraine rund 200 Gefangene ausgetauscht.

Nicht mehr Interesse an Frieden durch Corona

Letztlich gehen auch in der Corona-Krise viele bewaffnete Konflikte weiter, lediglich die Interessensphären verschieben sich. Außerdem sind Kriege kostspielig und das Geld vieler Staaten ist angesichts der Pandemie und den drohenden wirtschaftlichen Verwerfungen nicht unbegrenzt verfügbar.

Auf der anderen Seite ist keiner der Kriege durch die Corona-Krise gelöst worden, Verhandlungen zwischen Konfliktparteien sind auch während der gegenwärtigen Krise kaum zu beobachten. Bis nachhaltige Lösungen für die Krisenherde gefunden sind, bleibt die Situation höchst fragil, Konflikte drohen wieder aufzubrechen, wenn eine Kriegspartei Interesse daran hat.

Durch Corona gibt es momentan zwar weniger Interesse an Krieg, aber wiederum auch nicht mehr Interesse an nachhaltigem Frieden.

Verwendete Quellen
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