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Ukraine | Brisanter Brief: Russischer Geheimdienst entsetzt vom Krieg?


Brisantes Schreiben
Russischer Geheimdienst entsetzt von Putins Krieg?

  • Lars Wienand
Von Lars Wienand

Aktualisiert am 07.03.2022Lesedauer: 5 Min.
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Zerstörte russische Militärfahrzeuge: Russland hat den Invasionskrieg in die Ukraine völlig unvorbereitet gestartet, heißt es in einem Bericht, der die schonungslose Analyse eines Geheimdienstmitarbeiters sein soll.Vergrößern des Bildes
Zerstörte russische Militärfahrzeuge: Russland hat den Invasionskrieg in die Ukraine völlig unvorbereitet gestartet, heißt es in einem Bericht, der die schonungslose Analyse eines Geheimdienstmitarbeiters sein soll. (Quelle: Reuters-bilder)

Es wäre eine verheerende Kritik eines russischen Insiders am Ukraine-Krieg: Russland hat unvorbereitet angegriffen und kann nicht gewinnen, schreibt angeblich ein Analyst des russischen Geheimdienstes.

Ein angeblicher Mitarbeiter des russischen Geheimdiensts FSB zeichnet in einer Analyse ein schonungsloses Bild davon, wie planlos das russische Vorgehen in der Ukraine ist. Weil auch die Spezialisten nicht gewusst hätten, dass Russland tatsächlich einmarschiert, gebe es keine Pläne. Analysten hätten für vermeintlich hypothetische Planspiele geliefert, was die Politik hören wollte: "Aber dann stellt sich heraus, dass die Hypothese Realität geworden ist, und die Analyse, die wir dazu durchgeführt haben, ist totaler Müll", heißt es in dem Bericht. "Wir sitzen bis zum Hals in der Scheiße." Er sieht keine Möglichkeit, dass Russland einen Sieg davonträgt.

Welche Bedeutung hat der Bericht?

Das Schreiben ist Sprengstoff. Es gibt Einblick in ein Land, das durch den Krieg im Blindflug Richtung Absturz unterwegs ist und keinen Ausweg hat. Wahrscheinlich auch deshalb verbreitet sich die Einschätzung rasend und wurde sie bereits in diverse Sprachen übersetzt.

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Es könnte Wunschdenken der Angegriffenen sein – oder Propaganda. Das sagte etwa Wulf Schmiese, Redaktionsleiter des "heute journals". Er twitterte aber auch: "Sollte das authentisch sein, dann hat Putin sich verzockt." Und Militärexperten hätten dem ZDF ähnliche Einschätzungen geliefert.

Der Journalist und Autor Luke Harding, langjähriger Moskau-Korrespondent des "Guardian", nennt es auf Twitter "eine verheerende Anklage eines FSB-Insiders angesichts des katastrophalen Kriegs Russlands in der Ukraine" – wenn es denn echt sei.

Was schreibt der angebliche FSB-Mitarbeiter noch?

  • Er sei völlig vernebelt im Kopf, weil er kaum Schlaf habe und fast rund um die Uhr arbeiten müsse. Alle seien im Alarmmodus, und es gebe immer mehr Aufgaben.
  • Die Idee vom Blitzkrieg in der Ukraine sei gescheitert, die Mission sei nicht mehr zu erfüllen. "Ich weiß nicht, wer den 'ukrainischen Blitzkrieg' erfunden hat. Mit vernünftigen Informationen vorab hätten wir zumindest darauf hingewiesen, dass man da vieles überarbeiten muss, sehr vieles."
  • Die Ukrainer seien ungeheuer motiviert, wüssten zu kämpfen und hätten viele fähige Kommandeure, Waffen und Unterstützung. "Wir werden einen Präzedenzfall für menschliche Katastrophen in der Welt schaffen." Die Ablehnung in der ukrainischen Bevölkerung wachse ins Astronomische.
  • Eine Generalmobilmachung sei aus zwei Gründen nicht möglich. Einerseits implodiere Russland dann politisch, wirtschaftlich und sozial. Zum anderen komme die Logistik bereits jetzt nicht hinterher.
  • Faktisch habe sich Russland für einen 100-Meter-Sprint eingerichtet und sei bei einem Marathon gelandet. Das sei nicht durchzuhalten.
  • Tausende russische Soldaten seien gestorben. Es könnten 10.000 sein oder 2.000. "Selbst in der Zentrale wissen sie es nicht genau. Aber es sollte näher an 10.000 sein." Genaue Informationen habe es nur an den ersten beiden Tagen gegeben, der Kontakt zu großen Divisionen sei auch abgerissen.
  • Es gebe für die Dauer des Konflikts eine Deadline im Juni. "Weil es im Juni keine Wirtschaft mehr in Russland geben wird – es wird nichts mehr übrig sein."
  • Eine Belagerung ukrainischer Städte könne endlos gehen ohne einen Erfolg, von außen könne quasi unbegrenzt Versorgung ins Land fließen.
  • In ein oder zwei Wochen werde Russland so angeschlagen sein, "dass wir uns an die alten hungrigen Tage der 90er-Jahre erinnern werden". Die Zentralbank-Chefin reagiere offenbar richtig, aber "es ist, als würde man mit einem Finger ein Loch in einen Damm stopfen." Niemand habe gewusst, dass es einen solchen Krieg geben würde, also habe sich auch niemand auf diese Sanktionen vorbereitet.
  • Jetzt warte man nur darauf, dass ein durchgeknallter Berater die Spitze davon überzeuge, Europa vor die Wahl zu stellen – entweder die Sanktionen zu lockern – oder Krieg.
  • Die Sorge sei, dass die Spitze immer neue Konfliktschauplätze aufmache, um von anderen abzulenken. Wegen der Krim sei der Donbass-Konflikt angefacht worden, dann sei das Eingreifen in Syrien gekommen.
  • Selbst bei dem Idealszenario einer schnellen Entmachtung Selenskyjs gebe es ein Problem – auch in der russlandfreundlichen Opposition in der Ukraine sei niemand mehr für eine Zusammenarbeit mit Russland zu finden.
  • Die Ukraine lasse sich nicht gegen den Willen der Bevölkerung kontrollieren: Selbst bei minimalem Widerstand vor Ort seien dazu 500.000 oder mehr Soldaten nötig. "Wenn wir abziehen, ist die (von uns) neu gebildete Regierung binnen zehn Minuten gestürzt."
  • Ein lokaler Atomschlag sei vorstellbar – militärisch zwar wenig sinnvoll, aber um den Westen zu erschrecken.
  • In der kommenden Woche werde (in Russland) eine der Seiten kollabieren – Kriegsbefürworter oder Kriegsgegner, weil die gegenwärtigen Spannungen nicht durchzuhalten seien.

Ist es echt?

Die Frage kann niemand sicher beantworten. Dass es echt ist, vermutet aber zumindest Christo Grozev. Der "Bellingcat"-Journalist ist guter Kenner des russischen Geheimdienstes: 2019 hatte er für investigative Recherchen zur Identifizierung der mutmaßlichen Giftattentäter von Sergej und Julia Skripal den European Press Prize gewonnen. Die Ukraine habe zur psychologischen Kriegsführung zwar bereits gefälschte Schreiben durchsickern lassen.

Der Brief sei aber ungewöhnlich lang. Das spreche demnach für seine Authentizität: Mit der Länge wachse das Risiko für Fälscher, einen Fehler zu machen. Zwei Kontakte, aktuelle oder ehemalige FSB-Ansprechpartner, hätten keinen Zweifel gehabt, dass das Schreiben tatsächlich von einem Kollegen stammt – auch wenn sie nicht allen Folgerungen zugestimmt hätten. Auch die Quelle spreche für die Echtheit.

Woher kommt der Bericht?

Verbreitet hat ihn Wladimir Osechkin, der in Frankreich lebende Gründer der russischen Menschenrechtsorganisation gulagu.net. Er will ihn direkt von dem FSB-Mitarbeiter erhalten haben, der schon länger eine seiner Quelle sei. Er habe ihn unverändert veröffentlicht.

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Geschäftsmann Osechkin hat die Organisation und Meldestelle für Übergriffe 2011 gegründet, nachdem er selbst aufgrund eines Komplotts in einem russischen Gefängnis gelandet war. Er hatte keine Bestechungsgelder zahlen wollen. Nun tritt er als Kämpfer gegen Folter und Korruption im russischen Strafvollzugssystem auf. Er suchte dabei in der Vergangenheit allerdings auch die Nähe zur Politik, leitete 2014 eine Arbeitsgruppe, die für die Staatsduma Reformen im Gefängniswesen erarbeiten sollte und kritisierte auch andere Organisationen wie Pussy Riot.

Was ist über den angeblichen FSB-Mitarbeiter bekannt?

Nur Wladimir Osechkin weiß, wer den Bericht verfasst hat. Die Quelle habe in der Vergangenheit mehrfach Informationen etwa über Rücktritte weitergegeben, die erst später in russischen Medien zu finden gewesen seien. Die Quelle habe noch nie geflucht, diesmal schon.

Osechkin versucht die Glaubwürdigkeit auch mit einem Screenshot einer Mail seiner Quelle zu belegen. Name und Adresse des Absenders sind darin geschwärzt, das Datum ist aber sichtbar: Am 19. Februar warnte der Mann demnach davor, dass Russland in der Ukraine fingierte Proteste gegen angebliche Folter in ukrainischen Gefängnissen plane. Tatsächlich meldete ein Sprecher des ukrainischen Innenministeriums am 23. Februar, eine solche Demo mit nach seiner Darstellung bezahlten Teilnehmern sei frühzeitig aufgelöst worden.

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