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Expertin für feministische Außenpolitik: Ist Annalena Baerbock gescheitert?


Expertin für feministische Außenpolitik
"Männer haben über Krieg oder Frieden entschieden"

  • Marianne Max
InterviewVon Marianne Max

Aktualisiert am 12.03.2022Lesedauer: 6 Min.
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Dmytro Kuleba (l), Außenminister der Ukraine, und sein türkischer Amtskollege Mevlüt Cavusoglu (r) vor dem Dreiertreffen mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow: Frauen sind in der Außenpolitik noch immer unterrepräsentiert.Vergrößern des Bildes
Dmytro Kuleba (l), Außenminister der Ukraine, und sein türkischer Amtskollege Mevlüt Cavusoglu (r) vor dem Dreiertreffen mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow: Frauen sind in der Außenpolitik noch immer unterrepräsentiert. (Quelle: Fatih Aktas/Turkish Foreign Ministry/dpa-bilder)

In der Ukraine tobt ein Krieg und Deutschland liefert Waffen – eine unerwartete Entwicklung, wollte die Ampelregierung doch weg vom Waffenhandel. Ist Annalena Baerbocks Außenpolitik damit zum ersten Mal an der Realität gescheitert? Eine Expertin widerspricht.

Panzerfäuste, Haubitzen und Flugabwehrsysteme – die Bundesregierung unterstützt die Ukraine mit Waffen, damit sich das Land gegen den russischen Angriff verteidigen kann. Kaum im Amt hat Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) einen ihrer größten Vorsätze verwerfen müssen. Denn eigentlich wollte sie eine andere Außenpolitik, als die ihrer Amtskollegen und -vorgänger betreiben: eine feministische.

Kann das in der aktuellen Weltlage überhaupt noch funktionieren? Kristina Lunz ist Autorin, Politikberaterin und Mitbegründerin des "Centre for Feminist Foreign Policy" (zu Deutsch: Center für feministische Außenpolitik) – und hat darauf eine klare Antwort.

Was ist feministische Außenpolitik?
"Feministische Außenpolitik bedeutet das Hinterfragen der traditionellen Paradigmen von Außenpolitik, die auf Dominanz, militärische Stärke und Aufrüstung setzt. Feministische Außenpolitik dagegen setzt auf menschliche Sicherheit und Menschenrechte."

t-online: Frau Lunz, wo sehen Sie aus feministischer Perspektive die Ursachen für den Ukraine-Krieg?

Kristina Lunz: Ich bin keine Expertin für Russland und die Ukraine im Detail. Was wir aber aus feministischer Perspektive definitiv sehen, sind die Folgen eines internationalen Systems, in dem es seit Jahrzehnten normal ist, außenpolitisch mit Aggressionen zu drohen. Und in dem militärische Stärke immer mehr wert war als das Völkerrecht. Abrüstungsbestrebungen wurden weniger ernst genommen als die Möglichkeit, massiv aufzurüsten. Es ist ein System, in dem sich alle bedroht von der Möglichkeit fühlen, dass der jeweils andere Gewalt ausüben könnte.

Dieses System und die Tatsache, dass es auf lange Zeit immer wieder zu Gewalt führen wird, kritisieren Feministinnen schon sehr lange. Man findet auch kaum eine Menschenrechtsorganisation, die sich für Aufrüstung einsetzt – außer natürlich im akuten Notfall.

Sie spielen auf den Ukraine-Krieg an?

Ja, in der aktuellen Situation müssen die Menschen, die von brachialer Gewalt bedroht werden, natürlich unterstützt werden. Aber langfristig hoffe ich, dass sich das Narrativ etabliert, dass Aufrüstung immer wieder zu Aggression und Gewalt führen wird.

Außenministerin Annalena Baerbock ist mit dem Vorsatz einer feministischen Außenpolitik angetreten, hat sich aber in dieser Notsituation doch auch für Waffenlieferungen ausgesprochen. Hat ihr feministischer Ansatz damit versagt?

Annalena Baerbock ist seit wenigen Monaten in einem Amt, in einem System und in einer Situation, die sie so nicht aufgebaut hat. Sie hat schon lange auf die Energieabhängigkeit von Russland aufmerksam gemacht und darauf, dass wir Putins Kriegskasse so natürlich weiter füllen. Sie macht seit langer Zeit auf Menschenrechtsverletzungen aufmerksam.

Natürlich ist sie jetzt mit einer Realität konfrontiert, die sie sich nicht ausgesucht hat. Ich finde ihre Entscheidung, die Waffen für die Menschen zu liefern, die so von Gewalt bedroht sind, richtig. Aber ich hoffe, dass auch gesehen wird, wie Baerbock trotz dieser Entscheidung an ihrer Vision einer gerechteren Außenpolitik festhält.

Wie zeigt sich das Ihrer Ansicht nach?

Am internationalen Frauentag hat sie beispielsweise Botschafterinnen, Menschenrechtsverteidigerinnen, aber auch Expertinnen zu feministischer Außenpolitik eingeladen – etwa aus Afghanistan oder Myanmar. Sie macht noch immer auf die Situation dort aufmerksam und sagt auch deutlich, dass die Behandlung von Frauen in einem Land ein Gradmesser für dessen Demokratie ist.

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In dem aktuell vorherrschenden System müssen gerade Brände gelöscht werden – und das trägt sie mit. Aber sie hält gleichzeitig an ihrer Vision fest.

Was stört Sie im aktuellen Diskurs um den Ukraine-Krieg am meisten?

Mich stört, wenn verantwortliche Personen über die Situation sprechen, als wäre das ein abstraktes Schachspiel. Der ukrainische Botschafter hat nicht umsonst gesagt, dass ihm nach dem Gespräch mit Christian Lindner die Tränen kamen. Weil er das Gefühl hatte, es geht da nur um Zahlen. Mich stört eben diese traditionelle Außenpolitik. Männer, als Vertreter von Staaten, haben über Krieg oder Frieden entschieden. Diese Art, über Außenpolitik zu sprechen, finde ich schlimm.

Am Ende geht es um Menschen, die dort betroffen sind. Menschen, die gerade fliehen, die auf der Flucht erschossen werden. Frauen, die vergewaltigt werden. Und wenn sie dann endlich in vermeintlicher Sicherheit einen Bahnhof erreichen, sind sie auch dort noch bedroht – durch Männer, die gezielt Frauen und Kinder, mutmaßlich für Menschenhandel, abfangen. Dass trans Frauen, aufgrund ihres biologischen Geschlechts die Ukraine nicht verlassen dürfen, dass People of Colour Rassismus an den Grenzen erleben – das sind die Konsequenzen von Außenpolitik. Und es stört mich, wenn darüber nicht gesprochen wird. Annalena Baerbock tut das – und ich finde, sie setzt damit einen neuen Stil.

Aktuell sitzen viele Männer an den internationalen Verhandlungstischen. Macht es die Außenpolitik besser, wenn Frauen stärker eingebunden sind?

Ich würde es deutlicher sagen: Außenpolitik ist nur dann gut. Wo auch immer Macht in wenigen Händen liegt, kann sie zu Machtmissbrauch führen. Das sehen wir an der katholischen Kirche, am Springer-Verlag – die Beispiele sind endlos. Außenpolitik ist nur so gut, wie die Menschen divers sind, die sie betreiben.

Zwischen 1992 und 2019 lag der Frauenanteil bei Friedensprozessen bei durchschnittlich nur 13 Prozent bei den Verhandelnden, bei sechs Prozent bei den Mediatorinnen und bei sechs Prozent bei den Unterzeichnenden. Die Hälfte der Friedensprozesse fanden sogar ganz ohne weibliche Beteiligung statt. Dabei zeigen Studien deutlich, dass Friedensabkommen viel länger halten, wenn Frauen daran beteiligt sind, weil wir Gesellschaften nur dann stabil aufbauen können, wenn die Lebensrealitäten aller Menschen beachtet werden.

Das klingt, als hätten Männer eher das Bedürfnis nach Krieg und Gewalt?

Nein, wenn wir von verschiedenen Bedürfnissen sprechen, dann geht es vor allem darum, dass Frauen zum Beispiel weltweit kaum Land besitzen und wir Gerechtigkeit aber nur dann schaffen, wenn Land fair verteilt ist. Es heißt, dass es auch keine Amnestie geben darf für sexualisierte Gewalt gegen Frauen in Konflikten oder Kriegen.

Mir ist es wichtig, dass wir von der Vorstellung wegkommen, dass Frauen die Friedfertigen sind und Männer die Bösen. Keiner wird so geboren. Aber wir leben seit Hunderttausenden von Jahren in patriarchalen Gesellschaften, die uns in Schubladen stecken. Das sehen wir jetzt deutlich im Ukraine-Krieg: Da dürfen Männer nicht fliehen, weil wir denken, dass sie irgendwie mächtig wären und kämpfen müssten. Das ist so irre. Das Patriarchat reißt an den Grenzen Familien auseinander, weil es bestimmte Rollenvorstellungen für Menschen hat – allein aufgrund ihres biologischen Geschlechts.

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Was bedeutet der Ukraine-Krieg für die Zukunft der feministischen Außenpolitik?

Putins Angriff zeigt deutlich, dass wir ein Umdenken hin zu feministischer Außenpolitik brauchen. Menschenrechtsorganisationen und Feministinnen wirken seit Jahren darauf hin, dieses System umzukrempeln, und versuchen Multilateralismus zu stärken, das Völkerrecht und Menschenrechte zu stärken, die Rüstungskontrolle zu stärken. Würden wir als internationale Gesellschaft allein schon Menschenrechte viel ernster nehmen, dann hätten wir Putin nicht so lange hofieren und finanziell unterstützen können.

Denken wir an die eklatanten Menschenrechtsverstöße Putins gegen LGBTQI-Personen, Aleppo, die Krim – es gibt diverse Beispiele. Würden wir Menschenrechtsverstöße ernster nehmen, dann würden wir auch andere autoritäre Machthaber nicht so lange schalten und walten lassen, sondern sie viel eher in die Schranken weisen.

Das ist aber nicht passiert. Putin ist Präsident Russlands und führt einen Krieg. Ihr Buch trägt den Titel "Die Zukunft der Außenpolitik ist feministisch", aber wie kann man feministische Außenpolitik umsetzen, wenn einige, wie er, nicht mitziehen?

Erstens: Mit einer klaren Haltung zu roten Grenzen. Ein Beispiel: Wenn sich ein Großteil der Nachbarn auf Respekt und Frieden einigt, dann gibt es da vielleicht auch Aggressoren in der Nachbarschaft. Aber denen würden von der Mehrheit schnell die Grenzen aufgezeigt. Es wird so oft gesagt, Feminismus sei ein weiches Thema. Aber da geht es schon immer um Gewalt – um die Abkehr von Gewalt und vom Krieg. Zweitens, angesichts der akuten Notsituation, müssen wir stärker schauen, wie wir zum Beispiel Menschen in Armut helfen. Wie wir denen helfen können, die körperlich nicht in der Lage sind zu fliehen, oder trans Personen, die nicht fliehen dürfen. Wenn 100 Milliarden für die Bundeswehr ausgegeben werden, dann brauchen wir genau so viel Geld – mindestens – um Menschenrechtsorganisationen vor Ort zu unterstützen.

Frau Lunz, vielen Dank für das Gespräch.

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Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Kristina Lunz
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