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Russischer Gasstopp für Polen und Bulgarien: Putins Warnschuss soll Europa testen


Kein Gas für Polen und Bulgarien
Putins Warnschuss soll Europa testen

Von Lisa Becke und Nilofar Eschborn

27.04.2022Lesedauer: 4 Min.
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Wladimir Putin: Nach dem Lieferstopp für Polen und Bulgarien drohte Russland anderen Ländern mit ähnlichen Schritten.Vergrößern des Bildes
Wladimir Putin: Nach dem Lieferstopp für Polen und Bulgarien drohte Russland anderen Ländern mit ähnlichen Schritten. (Quelle: Russian Look/imago-images-bilder)

Russland liefert kein Gas mehr nach Polen und Bulgarien. Eine neue Eskalation Putins? Die Nervosität steigt auch hierzulande. Ein Überblick.

Im Gasstreit zwischen Russland und dem Westen macht der Kreml ernst: Seit Mittwoch fließt kein Gas mehr in die beiden EU-Länder Polen und Bulgarien, der Staatskonzern Gazprom hat seine Lieferungen eingestellt. Warum tut der russische Präsident Wladimir Putin das – und was bedeutet das für Deutschland? Die wichtigsten Antworten im Überblick:

Was steckt dahinter?

Seit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine sind die westlichen Staaten in der Bredouille, denn die Abhängigkeit von russischer Energie ist groß – gerade auch in Deutschland. Wie sanktionieren? Wie groß ist die Gefahr eines russischen Lieferstopps? Sollten nicht besser die EU-Länder ein Embargo verhängen – und dem Kreml zuvorkommen? Nun ist ein vorläufiger Höhepunkt in dem Gezerre erreicht.

Die Vorgeschichte: Ende März hatte Putin gefordert, dass Importeure von russischem Gas Konten bei der Gazprom-Bank eröffnen müssen. Dorthin sollten sie den Rechnungsbetrag in Euro oder Dollar überweisen, damit er dann in Rubel konvertiert wird und die Rechnung bei Gazprom final in der Landeswährung bezahlt werden kann. Auf diesem Wege wollte Putin angesichts der Sanktionen die Währung stärken und Finanzmittel sichern.

Polen und Bulgarien hätten sich daran nicht gehalten, lautet jetzt die Begründung für den Lieferstopp. Aber ist das glaubhaft? Medienberichten zufolge wollten zwar weder Bulgarien noch Polen den Weg über die Rubel-Umwandlung gehen. Das gilt allerdings auch für andere europäische Staaten.

Wahrscheinlicher ist eine politische Motivation. Am Dienstag – als die Ankündigung Russlands erfolgte – hatte Polen weitere Strafmaßnahmen gegen Russland verhängt: Auch Gazprom steht auf einer Liste russischer Unternehmen und Oligarchen, deren Vermögenswerte nach einem neuen Sanktionsgesetz eingefroren werden können.

Was tatsächlich ausschlaggebend für Putin war, ist schwer zu sagen. Möglich ist beispielsweise auch, dass Russland damit auf den Entschluss zahlreicher westlicher Staaten reagiert, die Ukraine mit Waffen zu unterstützen. Oder es handelt sich um ein strategisches Manöver Russlands – dazu später mehr.

Was heißt das für Polen und Bulgarien?

Die Auswirkungen sind unterschiedlich. Polen kommt nach eigenen Angaben gut ohne russisches Erdgas aus. In den vergangenen Jahren hat die Regierung in Warschau darauf hingearbeitet, unabhängiger von Russland zu werden. "Wir sind auf eine vollständige Einstellung der russischen Rohstofflieferungen vorbereitet", sagte Polens Klimaministerin Anna Moskwa. Laut Regierungschef Morawiecki seien die Gasspeicher in Polen zu 76 Prozent gefüllt.

So sieht das auch Energieexpertin Claudia Kemfert: Polen sei auf den Lieferstopp vorbereitet. Bulgarien hingegen werde dies wesentlich härter treffen, denn das ärmste Land der EU hängt fast komplett von russischen Erdgaslieferungen ab. Es werde deshalb Hilfe benötigen, sagte Kemfert den Zeitungen der Funke Mediengruppe. An Alternativen wird unter Hochdruck gearbeitet. Ein Anschluss an das Gasnetz des benachbarten Griechenland beispielsweise soll im Juni fertig sein.

Ein Warnschuss für Deutschland?

Wegen des Stopps der Gaslieferungen nach Polen und Bulgarien ist hierzulande derzeit nicht mit Engpässen zu rechnen, sagen Experten. Deutschland und Europa seien "ausreichend mit Gas versorgt", sagte Kemfert, die die Abteilung "Energie" am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung leitet. Die deutschen Erdgasspeicher sind zu rund 33 Prozent gefüllt, so die Bundesnetzagentur.

Zwar fließt bereits seit Mittwochmorgen kein russisches Gas mehr durch die Jamal-Pipeline nach Polen. Über diese wird normalerweise auch Gas bis ins brandenburgische Mallnow geleitet. Allerdings hat die Bedeutung der Verbindung für Deutschland abgenommen – nach Zahlen der Bundesnetzagentur floss durch Jamal in den vergangenen Wochen wenig oder kein Gas mehr nach Deutschland.

Durch die wichtigste Verbindung zwischen Russland und Deutschland, die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1, fließt weiter Gas. Die Versorgungssicherheit sei im Moment gewährleistet, verlautet aus dem Wirtschaftsministerium – wenngleich die jüngsten Entwicklungen mit Sorge betrachtet werden. Entsprechende Gremien sollen tagen, um "das Lagebild zu konsolidieren", so eine Sprecherin von Minister Robert Habeck.

Nach Einschätzung von Experten ist durch die jüngste russische Aktion aber auch für Deutschland ein Gaslieferstopp wahrscheinlicher geworden. Sollten russische Lieferungen ausbleiben, hatte die Bundesregierung bereits zuvor vor schweren wirtschaftlichen Schäden gewarnt und sich deshalb gegen ein Embargo auf russisches Gas ausgesprochen.

Laut Energieexperte Simone Tagliapietra vom Brüsseler Wirtschaftsinstitut Bruegel könnte der Stopp für Polen und Bulgarien ein "Vorgeschmack" auf "ähnliche Schritte gegen andere europäische Länder in den kommenden Wochen" sein. Nach dem Lieferstopp für Polen und Bulgarien hat Russland nun bereits auch anderen Ländern mit ähnlichen Schritten gedroht.

Deshalb drängen Experten darauf, dass Deutschland und die anderen EU-Länder Notfallmaßnahmen ergreifen, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Jede Milliarde Kubikmeter Gas, die nicht verbraucht werde, sei jetzt wichtig.

Im Sommer gehe es darum, die Gasspeicher zu füllen und sich durch Einsparungen auf den Winter vorzubereiten, sagen sie. Auch die deutsche Gaswirtschaft unterstützt das. "Der Winter ist Putins bester Verbündeter", schreibt Energieexperte Tagliapietra auf Twitter.

Eine neue Eskalation Russlands?

Wegen des Einmarschs in die Ukraine liegt der Kreml auch im Konflikt mit westlichen Staaten: Nun habe Russland die nächste Eskalationsstufe gezündet, sagen viele Politiker und Experten.

Von einem "erdbebenartigen Warnschuss Russlands" sprach Tom Marzec-Manser, Gas-Analyst bei der Datenanalyse-Firma ICIS, bereits nach der Ankündigung am Dienstag.

"Russland benutzt Gas als Waffe", das werde durch den jüngsten Schritt deutlich, so der Energieexperte Tagliapietra vom Brüsseler Wirtschaftsinstitut Bruegel.

Auch der polnische Regierungschef wertet den Stopp der Gaslieferungen als "direkten Angriff". Morawiecki sagt: "Diesmal hat Russland die Grenze des Imperialismus, des Gasimperialismus, noch einen Schritt weiter verschoben."

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Bei diesem Schritt gehe es Putin vor allem darum, "Europa in Angst und Panik zu versetzten", so Energieexpertin Kemfert. Auch deshalb sei es wichtig, dass sich Europa und Deutschland nicht erpressen ließen, sondern auf Vertragseinhaltung bestünden und die Gaslieferungen wie vereinbart bezahlten.

Noch ein zweites Kalkül Russlands gebe es: dadurch die anderen EU-Staaten zu zwingen, ihre Gasrechnung in Rubel zu begleichen.

Für Experte Tagliapietra ist deshalb die entscheidende Frage: Werden alle EU-Länder weiterhin die russischen Lieferungen in Euro beziehungsweise Dollar zahlen – wie in den Verträgen festgeschrieben? Oder werden sich manche entscheiden, den russischen Forderungen nachzugeben?

"Das ist ein Hauptziel der russischen Entscheidung über die Rubelzahlung: die europäischen Länder zu spalten", schreibt Tagliapietra auf Twitter. Und diese Spaltung dann auszunutzen. So bezeichnet der deutsche Branchenverband Zukunft Gas den russischen Lieferstopp als "Test für die europäische Solidarität". Offen bislang, wie die EU diesen meistern wird.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Simone Tagliapietra: Tweet
  • Mit Material der Nachrichtenagenturen AFP, dpa und Reuters
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