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Ukraine-Krieg | Hitler-Vergleich: Darum fürchtet Israel jetzt Putins Zorn


Hitler-Vergleich
Darum fürchtet Israel jetzt Putins Zorn

Von Patrick Diekmann

Aktualisiert am 03.05.2022Lesedauer: 6 Min.
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Nazi-Vergleich: Russlands Außenminister Sergej Lawrow sorgt für Empörung. (Quelle: Glomex)

Sergej Lawrow sorgt mit einem Hitler-Vergleich für Empörung. Israel fordert zwar eine Entschuldigung, weitere Konsequenzen für Putins Regime wird es aber wohl nicht geben. Die israelische Führung steckt in einer Zwickmühle.

Zorn und Empörung über den russischen Außenminister sind groß, besonders in Israel. Sergej Lawrow hatte am Sonntag in einem Fernsehinterview versucht, den Angriffskrieg gegen die Ukraine mit einem Hitler-Vergleich zu legitimieren. Die israelische Führung forderte daraufhin zwar eine Entschuldigung, doch Sanktionen gegen Russland oder eine schärfere Verurteilung der Invasion sind nicht zu erwarten. Das zeigt vor allem eines: Israel steckt in einem großen sicherheitspolitischen Dilemma.

Russland hat im vergangenen Jahrzehnt die Sicherheitsarchitektur im Nahen Osten und in Nordafrika maßgeblich zu seinen Gunsten verändert – oftmals mit dem Einsatz der eigenen Armee, Söldnern oder mit dem Verkauf von Waffen. Ohne Moskau geht in der Region kaum noch etwas, das bekommt die israelische Regierung immer deutlicher zu spüren.

Mittlerweile ist Israel für den Kampf gegen Feinde wie den Iran oder die Hisbollah von Russland abhängig. Aus Angst vor Wladimir Putin und dem Einfluss des russischen Präsidenten auf Länder wie Syrien oder Ägypten setzt die israelische Führung weiter notgedrungen auf eine strategische Partnerschaft mit dem Kreml. Daran wird auch durch die heftige verbale Entgleisung Lawrows vermutlich nichts ändern. Aber Putin hat mit seinem Krieg in der Ukraine ein Beben ausgelöst, das zunehmend auch den Nahen Osten erschüttert.

Lawrows Hitler-Vergleich sorgt für Entrüstung

Eigentlich weiß der erfahrene russische Außenminister genau, welche internationale Verwerfungen ein Hitler-Vergleich auslösen kann – immerhin ist Lawrow schon seit über 18 Jahren im Amt. Trotzdem wiederholte er am Sonntagabend im italienischen Fernsehsender Rete4 die russische Kriegsbegründung, in der Ukraine seien Nazis am Werk.

Als Gegenargument werde gesagt: "Wie kann es eine Nazifizierung geben, wenn er (der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj) Jude ist? Ich kann mich irren. Aber Adolf Hitler hatte auch jüdisches Blut. Das heißt überhaupt nichts. Das weise jüdische Volk sagt, dass die eifrigsten Antisemiten in der Regel Juden sind."

Damit versucht Lawrow vor allem das eigene Kriegsnarrativ zu bedienen, doch selbst Verbündete wie China verzeichnen die ukrainische Regierung nicht als "Nazis". Der Informationskrieg ist für Russland, zumindest an der Front, auf internationaler Ebene schon verloren. Dass Lawrow trotzdem in einem Interview mit einem europäischen TV-Sender diesen Vergleich zieht, hat vor allem einen Grund: Es hat keine Konsequenzen für Russland.

Dennoch zeigte sich Israels politische Spitze natürlich entrüstet. Außenminister Jair Lapid sprach von einer "unverzeihlichen, skandalösen Äußerung, einem schrecklichen historischen Fehler". Man erwarte eine Entschuldigung. Der Sohn eines Holocaustüberlebenden aus Ungarn fügte hinzu: "Meinen Großvater haben nicht Juden umgebracht, sondern Nazis." Er empfahl Lawrow, in ein Geschichtsbuch zu schauen. "Die Ukrainer sind keine Nazis. Nur die Nazis waren Nazis. Nur sie haben die systematische Vernichtung der Juden vorgenommen." Es sei die schlimmste Form von Rassismus gegen Juden, sie selbst des Antisemitismus zu bezichtigen.

Auch Ministerpräsident Naftali Bennett verurteilte Lawrows Vergleich. "Es ist das Ziel solcher Lügen, den Juden selbst die Schuld an den schlimmsten Verbrechen der Geschichte zu geben, die gegen sie verübt wurden", sagte er. "Der Missbrauch der Shoah des jüdischen Volkes als Instrument der politischen Auseinandersetzung muss sofort aufhören."

Israel bombardiert Ziele in Syrien

Dennoch ist es im israelischen Interesse, dass sich der Konflikt mit Putin nun nicht weiter zuspitzt. Israel versucht im Ukraine-Konflikt als Vermittler aufzutreten und schließt sich den westlichen Sanktionen gegen Russland nicht an. Im Gegenteil: Viele reiche Freunde von Putin und Oligarchen wie Roman Abramowitsch haben die israelische Staatsbürgerschaft und fanden in dem Land einen sicheren Hafen nach ihrer Flucht aus Europa.

Natürlich steht die israelische Führung dem Westen sehr nahe und ist militärisch ein enger Verbündeter der USA. Trotzdem spürt das Land die sicherheitspolitischen Verschiebungen der vergangenen Jahre im Nahen Osten und ist gezwungen, mit Russland zusammenzuarbeiten.

Besonders im Kampf gegen den Erzfeind Iran. Die größte Sorge der israelischen Führung besteht darin, dass Russland den Luftraum über Syrien für israelische Luft- und Raketenangriffe auf iranische Ziele in dem Land schließen könnte. Zwar sind Moskau und Teheran im Syrien-Krieg Verbündete, trotzdem betreibt der Kreml hier seit Jahren eine Art Pendelpolitik. So unterstützen Russland und Iran gemeinsam den syrischen Diktator Baschar al-Assad, aber Putin lässt auch israelische Angriffe auf iranische Milizen zu – zum Ärger Teherans.

Der Kreml sieht sich in der Region als Ordnungsmacht. Die Strategie ist einfach: Russland lässt verfeindete Parteien gegeneinander kämpfen, tritt aber als Schiedsrichter auf, wenn eine Seite zu verlieren droht. Damit hat Putin seine Machtposition am Mittelmeer gestärkt, Russland sitzt in vielen Konflikten mit am Verhandlungstisch und alle Parteien sind abhängig vom Kreml. Es ist demnach auch im russischen Interesse, dass der Iran nicht zu mächtig wird.

Russland baut Einfluss aus, der Westen schaut weg

Israel ist dagegen aus eigener Perspektive von Feinden umzingelt. Im Norden ist es der Iran, dessen Milizen sich in Syrien ausbreiten, oder die Hisbollah, die im Libanon operiert. Für Israel ist es essenziell, dass seine Luftwaffe weiterhin iranische Waffentransporte, die für die Hisbollah gedacht sind, bombardieren kann. Dafür braucht man einen "offenen Himmel" über Syrien und das Wohlwollen des russischen Präsidenten. Ein Drahtseilakt.

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Im Süden kontrolliert Ägypten dagegen den Zugang zum Gazastreifen. Zwar haben Kairo und Jerusalem besonders zur Förderung von Erdgas ihre bilateralen Beziehungen verbessert, aber auch Putin hat dort seinen Fuß in der Tür.

Die russisch-ägyptischen Beziehungen haben sich seit der Machtübernahme von Abdel Fattah el-Sisi massiv verbessert. Auch die ägyptische Regierung unterstützt den syrischen Diktator Assad, und aller Sanktionen nach der Krim-Annexion 2014 zum Trotz beschlossen Ägypten und Russland ein engere militärische und wirtschaftliche Zusammenarbeit.

In libyschen Bürgerkrieg unterstützt die russische Führung hingegen den Warlord Chalifa Haftar – nicht nur mit Waffenlieferungen. So kämpfen auch Söldner der russischen "Gruppe Wagner" in Libyen an der Seite des Generals gegen die libysche Regierung, die vom Westen und von der Türkei unterstützt wird. Mit Algerien stärkte Russland seine Zusammenarbeit ebenfalls: Beide Länder haben nach Kriegsausbruch in der Ukraine gemeinsame militärische Manöver angekündigt.

Putin hat sich demnach mithilfe von Soldaten und Waffen zu einem Akteur in Nordafrika und im Nahen Osten gemacht, der macht- und sicherheitspolitisch großen Einfluss hat. Die Rechnung zahlt auch Israel, denn der enge US-Verbündete kommt an Moskau sicherheitspolitisch ebenfalls nicht mehr vorbei.

Putins Warnschuss an Israel

Dabei zeigt sich immer mehr das große israelische Dilemma. Der Druck auf die Regierung wird innenpolitisch größer, denn die israelische Bevölkerung verurteilt mehrheitlich den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und die dort von russischen Truppen mutmaßlich begangenen Kriegsverbrechen.

Die Vermittlungsversuche von Ministerpräsident Bennett machten wenig Eindruck auf Putin – anders gesagt: sie scheiterten. Unterdessen gibt es im Kriegsverlauf mehr internationale Stimmen – zum Beispiel des US-Kongressabgeordneten Adam Kinzinger –, die eine stärkere Positionierung der israelischen Führung in dem Konflikt forderten.

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Das tat Israel und stimmte in der UN-Generalversammlung für den Ausschluss Russlands aus dem UN-Menschenrechtsrat. Israels Außenminister Lapid kritisierte die "ungerechtfertigte Invasion" und die "Tötung unschuldiger Zivilisten" in der Ukraine. Das war zu viel für Moskau. Russland bestellte den israelischen Botschafter in den Kreml ein und warf Israel laut Lapid vor, "die internationale Staatengemeinschaft nur von einem der ältesten ungelösten Konflikte abzulenken zu wollen – dem palästinensisch-israelischen Konflikt".

Bei bloßen Worten blieb es nicht: Putin telefonierte mit Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas und sagte ihm seine volle Unterstützung zu. Außerdem werden die israelischen Angriffsflüge über Syrien vermehrt öffentlich von russischen Militärangehörigen kritisiert. Nach dem Ausschluss Russlands aus dem UN-Menschenrechtsrat verkündete der russische Admiral Oleg Schurawljow, dass syrische Abwehrraketen aus russischer Fabrikation eine israelische Rakete abgefangen hätten.

Putin sendet der israelischen Regierung damit einen Warnschuss, sich nicht weiter in den Konflikt einzumischen – der Kremlchef zieht rote Linien. Israel unterhält zwar eine der modernsten Armeen der Welt, aber das Land ist weitestgehend isoliert. Deshalb hätte ein Konflikt mit Moskau massive Folgen für die israelische Sicherheitspolitik.

Bennetts Vorgänger Benjamin Netanjahu hat deshalb stets versucht, sich mit dem Kreml gut zu stellen. Aber der Ukraine-Krieg hat auch die Sicherheitsarchitektur im Nahen Osten verändert und es ist unwahrscheinlich, dass Israel sich diesem Beben entziehen kann. Doch verbale Ohrfeigen, wie der Hitler-Vergleich von Lawrow, machen diesen Weg noch steiniger.

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