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Putin im Kampf gegen russische Künstler: Keine Widerworte gestattet


Heimatfront geschlossen?
Diese Leute sollen Putin nicht in die Quere kommen

MeinungVon Wladimir Kaminer

Aktualisiert am 28.03.2023Lesedauer: 4 Min.
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Wladimir Putin: Die Kunstwelt soll nach Ansicht des Kremlchefs "spuren".Vergrößern des Bildes
Wladimir Putin: Die Kunstwelt soll nach Ansicht des Kremlchefs "spuren". (Quelle: Pavel Bednyakov/Reuters)

Wladimir Putin führt Krieg, da stören ihn kritische Stimmen besonders. Die Kunstszene drangsaliert der Kreml daher schon lange. Russlands Künstlern bleiben nur wenige Möglichkeiten, keine davon ist gut. Meint Wladimir Kaminer.

Bereits vor dem Krieg unternahm der immer weiter ins Totalitäre abdriftende Staat einen Großangriff auf die künstlerische Freiheit in Russland. "Wir brauchen diejenigen Künstler nicht, die uns kritisieren, und wir wollen sie nicht unterstützen", verkündete ein früherer Kulturminister.

Unmissverständlich forderte er die Kulturschaffenden dazu auf, sich als Dienstleister des Regimes, als Propagandisten der neuen Ideologie nützlich zu machen. Die Kunst sollte sich patriotisch und heimatlieb äußern, wobei Patriotismus und Heimatliebe als Loyalität gegenüber der Regierung und als Verherrlichung des Präsidenten gedeutet wurden.

(Quelle: Frank May)

Wladimir Kaminer ist Schriftsteller und Kolumnist. Er wurde 1967 in Moskau geboren und lebt seit mehr als 30 Jahren in Deutschland. Zu seinen bekanntesten Werken gehört "Russendisko". Kürzlich erschien sein neues Buch "Wie sage ich es meiner Mutter. Die neue Welt erklärt: von Gendersternchen bis Bio-Siegel".

Vor allem hat diese neue Kulturpolitik die Projekte getroffen, die von staatlicher Unterstützung besonders abhängig sind: Filmproduktionen, Theater, Museen. Ausstellungen wurden geschlossen, berühmte Musiker mussten ihre ausverkauften Konzerte absagen, weil die Kulturhäuser sich weigerten, bereits gemietete Flächen freizugeben.

Doch die meisten Künstlerinnen und Künstler – jedenfalls die, die nicht ohnehin mit dem Kreml unter einer Decke stecken – hielten diese neue Kulturpolitik für eine vorübergehende Erscheinung. In den letzten dreißig Jahren hatte sich das Land an die Freiheit im künstlerischen Bereich gewöhnt. Natürlich gab es auch früher rote Linien, die man nicht überschreiten dürfte: Einige junge Frauen der Gruppierung Pussy Riot hatten 2012 in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale "Heilige Mutter, nimm uns bitte den Putin weg" gesungen. Und mussten dann zwei Jahre Strafe absitzen.

Plötzlich war alles anders

Man wusste aber eines: Wenn man die Kirche oder den Präsidenten nicht direkt angriff, war alles andere verhandelbar. Dieser Pakt mit dem Teufel hat, von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen, längere Zeit funktioniert. Die ersten, die bemerkt haben, dass mit der ungeschriebenen Vereinbarung etwas nicht mehr in Ordnung ist, waren die Schriftsteller.

Der daraufhin einsetzende kleine Exodus der Kulturschaffenden begann dann auch mit meinen Kolleginnen und Kollegen. Beinahe die ganze Bestsellerliste Russlands hat damals das Land binnen kurzer Zeit verlassen und sich überall auf der Welt niedergelassen, in Frankreich, Deutschland, Amerika und sogar in Thailand. Die meisten von ihnen hatten gute Kontakte im Westen, ihre Bücher wurden in mehrere Sprachen übersetzt. Sie konnten mit einem Stipendium oder einem Lehrauftrag für Slawistik an irgendeiner Hochschule dieser Welt unterkommen.

Mit dem russischen Einmarsch in die Ukraine 2022 begann dann der große Exodus der Kulturschaffenden. Musiker, Schauspieler, Comedians, bildende Künstler und Journalisten verließen die Heimat und bereichern seitdem ungemein das russischsprachige Kulturleben im Ausland. Noch nie in den letzten dreißig Jahren gab es so viele Konzerte, Ausstellungen und Lesungen in russischer Sprache wie derzeit in Europa.

Ein anderer Teil der Kulturschaffenden ist aber in der Heimat geblieben – und seit Beginn des Krieges streiten die Gegangenen und die Gebliebenen, wer von ihnen recht hat. Beide Lager können ihre Entscheidungen gut begründen. "Die Politiker kommen und gehen, das Land bleibt. Wir müssen auch in schlechten Zeiten mit dem Volk zusammen sein", argumentieren die Dagebliebenen. "Auch diese dunklen Zeiten werden einmal vorbei sein, und dann wird das Land uns brauchen."

Der Staat will Loyalität sehen

Ja, sie dürfen sich nicht laut äußern, einige müssen dem Staat beständig Zugeständnisse machen und Loyalität heucheln. Theaterdirektoren entlassen gar ihre besten Leute, die sich eine Antikriegshaltung "erlaubt" haben. Warum? Die Direktoren tun es, um das gesamte Kollektiv, ihr "traditionsreiches Haus" zu retten. So sagen sie.

Die Museumsdirektoren wiederum schließen einige Ausstellungen, die zu "westlich" erscheinen – oder treten sogar in der Öffentlichkeit mit merkwürdiger Kriegshetze auf, um ihre "Kunstoasen" unbeschadet durch die dunkle Zeit zu bringen. Sie sehen sich selbst als Helden (weil sie geblieben sind) und zugleich als Opfer (weil sie von den Weggegangenen der Mittäterschaft beschuldigt werden).

Einige Künstlerinnen und Künstler ziehen sich aber auch einfach zurück, sie schweigen, machen eine Pause oder widmen sich "der reinen Kunst", die nichts abbildet, nichts wiedergibt und angeblich keinen Bezug zur Realität hat. Solche Menschen werden von den Weggegangenen als "Bernsteinfliegen" gehänselt. Diese Steine mit den kleinen Inklusionen drin, Sie wissen schon, Überreste von Tieren oder Pflanzen. Überall auf der Welt gilt: Je besser die Inklusionen sich erhalten haben, umso besonderer ist der Stein.

Die Weggefahrenen haben sich auf ein riskantes Abenteuer eingelassen, als einstige russische Stars werden sie im Ausland nicht auf der Straße erkannt. Sie sehen sich ebenfalls als Opfer und Helden zugleich, sie halten diese erzwungene Auswanderung nicht für den Beginn eines neuen Lebens. Nein, sie wollen am liebsten ihr altes zurückhaben. Viele erinnern sich an die Flucht der Kulturschaffenden nach der Oktoberrevolution 1917. Auch diese Menschen hatten jahrelang ihre Koffer nicht ausgepackt.

Sie warteten auf das schnelle Ende des Bolschewismus. Damals gaben die russischsprachigen Zeitungen im Ausland dem neuen Regime in Russland ein Jahr, maximal zwei. Letzten Endes hat es mehr als siebzig Jahre gedauert, bis das Regime kippte. Kann Putins Zeit siebzig Jahre andauern? Geschichte wiederholt sich niemals, und deswegen sind alle historischen Vergleiche inkorrekt. Die Grenzen bleiben jedenfalls noch offen, die Koffer werden nicht ausgepackt.

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