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Umerziehungslager in China: "Inhaftierte werden gefoltert oder misshandelt"


Umerziehungslager in China
"Die meisten Inhaftierten werden gefoltert oder misshandelt"

InterviewVon Leonie Schlick

08.02.2021Lesedauer: 4 Min.
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Chinesischer Soldat in Position: Einblicke in die chinesischen Lager sind Journalisten fast unmöglich.Vergrößern des Bildes
Chinesischer Soldat in Position: Einblicke in die chinesischen Lager sind Journalisten fast unmöglich. (Quelle: Reuters-bilder)

Hunderttausende Uiguren sind in chinesischen Lagern inhaftiert. Folter und sexueller Missbrauch gehören zum Haftalltag. Ein Experte liefert schockierende Einblicke in den Lageralltag.

Ziemlich genau in einem Jahr sollen in Peking die Olympischen Winterspiele beginnen. Wegen der andauernden Menschenrechtsverletzungen ist China als Austragungsort umstritten. Besonders die Situation der muslimischen Minderheit der Uiguren ist kritisch. Hunderttausende von ihnen werden in sogenannten "Bildungs- und Transformationseinrichtungen" festgehalten. Dort soll es immer wieder zu Missbrauch und Todesfällen kommen.

t-online hat mit Dirk Pleiter, China-Experte der Menschenrechtsorganisation Amnesty International, darüber gesprochen, ob die aktuellen Vorwürfe glaubwürdig sind, wie viel Boykott-Forderungen der Olympischen Spiele bringen und was die deutsche Politik tun sollte.

t-online: In einem aktuellen BBC-Bericht berichten ehemalige Insassinnen, die in chinesischen Lagern festgehalten wurden, von systematischer Vergewaltigung, sexuellem Missbrauch und Folter uigurischer Frauen. Halten Sie diese Vorwürfe für glaubwürdig?

Dirk Pleiter: Wir haben in den letzten Monaten immer wieder Berichte von Maßnahmen in den Lagern gehört, die sich explizit gegen Frauen richten, sei es sexuelle Gewalt oder Zwangssterilisation. Leider ist es sehr schwer, diese Berichte zu überprüfen, da die chinesische Regierung keine unabhängigen Recherchen vor Ort zulässt. Allerdings wissen wir, dass es in diesen Haftstätten seit Jahren zu massiver Gewalt kommt und Folter und Missbrauch zum Haftalltag gehören. Vor diesem Hintergrund erscheinen die Vorwürfe in dem BBC-Bericht vorstellbar.

Dirk Pleiter, 52, ist seit den 1980er Jahren als China-Experte in der deutschen Sektion der internationalen Menschenrechtsorganisation Amnesty International aktiv.

Um was für Lager handelt es sich dabei genau?

Im Nordwesten Chinas liegt die autonome Region Xinjiang. Dort leben viele ethnische Minderheiten, die größte davon sind die muslimischen Uiguren. Gegen diese Minderheiten geht die chinesische Regierung in den letzten Jahren zunehmend repressiv vor. Diese Repressionskampagnen beinhalten zum Beispiel permanente Überwachung in Städten, aber eben auch die Inhaftierung hunderttausender Uiguren in sogenannten "Bildungs- und Transformationseinrichtungen". Offiziell handelt es sich um Weiterbildungszentren, um die wirtschaftliche Entwicklung in der Region voranzutreiben. De facto werden die Menschen dort aber gegen ihren Willen aus politischen Gründen festgehalten.

Sie haben ja bereits betont, dass unabhängige Recherchen vor Ort verboten sind. Was wissen Sie darüber, was in den Lagern passiert?

Wir wissen aus vielen Einzelberichten, dass die inhaftierten Menschen einem politischen Indoktrinationsprogramm unterzogen werden. Sie müssen Schulungen machen und werden beispielsweise gezwungen Chinesisch zu lernen, auch im hohen Alter. Meist haben sie keinen Kontakt zur Außenwelt. Aus den Berichten haben wir auch erfahren, dass die meisten Inhaftierten gefoltert oder misshandelt werden.

Wer wird in diesen Lagern festgehalten?

Die Repressionskampagnen der letzten Jahre betreffen eigentlich jeden Uiguren, der in der Region Xinjiang lebt. Genauso ist es auch mit den Inhaftierungen. Sie können willkürlich jeden treffen: Menschen, die sich politisch für mehr Autonomie der Region eingesetzt haben, genauso wie Personen, die sich selbst als assimiliert in die chinesische Gesellschaft bezeichnen.

Das heißt: man kann theoretisch jederzeit aus seinem Leben gerissen werden – auf unbestimmte Zeit?

Es gibt viele, die nur kurzzeitig da sind, für Wochen oder Monate. Wenn Leute gleichzeitig auch strafrechtlich verfolgt werden, können sie auch zu lebenslanger Haft in den Lagern verurteilt werden. Es gibt zudem auch Berichte, dass Uiguren zu Zwangsarbeit in Fabriken oder auf dem Feld verpflichtet werden und hierfür dann in andere Teile Chinas übersiedeln müssen.

Warum geht die chinesische Regierung überhaupt so repressiv gegen die ethnischen Minderheiten vor?

Für die chinesische Regierung geht es darum, wie sie die Stabilität des Landes sicherstellen und vermeiden kann, dass die territoriale Integrität Chinas in Frage gestellt wird. Deshalb werden Regionen, die von ethnischen Minderheiten bewohnt werden, massiv kontrolliert. So ergeht es auch den Tibetern und Mongolen.

Der ehemalige US-Außenminister Mike Pompeo warf China zuletzt sogar “Völkermord” vor. Was meinte er damit?

Viele Quellen sprechen in dieser Situation von einem "kulturellen Genozid". Wir von Amnesty verwenden diesen Begriff nicht, weil er nicht gut definiert ist, er weist aber auf eine generelle Problematik hin: Im Fall der Uiguren haben wir es nicht nur mit der Verletzung von bürgerlichen und politischen Menschenrechten zu tun, sondern mit einem systematischen Vorgehen der chinesischen Behörden gegen das kulturelle Selbstverständnis der in Xinjiang lebenden ethnischen Minderheiten. Teil dessen ist beispielsweise, dass man versucht, Chinesisch als Alltagssprache zu etablieren, dass in der Schule nur noch chinesisch gesprochen werden darf und dass die Uiguren auf dem Arbeitsmarkt diskriminiert werden. Hinter Pompeos Aussage steht also letztlich die Befürchtung, dass die Kultur der Uiguren eliminiert werden könnte.

Am Mittwoch haben 180 Menschenrechtsgruppen den Boykott der Olympischen Winterspiele 2022 gefordert. Halten Sie einen solchen Boykott für sinnvoll?

Amnesty International gehört nicht zu den Menschenrechtsgruppen, die zu dem Boykott aufgerufen haben. Wir glauben eher, dass die Spiele ein guter Anlass sind, um Druck auf die chinesischen Behörden auszuüben und die Welt daran zu erinnern, dass in China schwere Menschenrechtsverletzungen stattfinden.

Glauben Sie, dass politischer Druck tatsächlich etwas bringt?

Natürlich ist China ein globaler Player, der sich seiner Stärke bewusst und weniger empfänglich für Druck aus dem Ausland ist. Dennoch wissen wir, dass es für die chinesische Regierung nach wie vor wichtig ist, international eine positive Reputation zu haben. Das sehen wir in der Corona-Pandemie. Auch im Umfeld von Olympia ist davon auszugehen, dass die Regierung ein positives Bild von China vermitteln will und entsprechend empfindlich wird sie reagieren, wenn die Menschenrechtsverletzungen thematisiert werden.

Was heißt das konkret?

Es ist zum Beispiel wichtig, dass Europa bei seiner Kritik mit einer einheitlichen Stimme auftritt, um gegen mögliche repressive Reaktionen der chinesischen Regierung geschützt zu sein. Gleichzeitig wünschen wir uns, dass die Bundesregierung sich noch deutlicher gegen die Unterdrückung der Uiguren positioniert und das Menschenrechte auch in wirtschaftlicher Zusammenarbeit eine größere Rolle spielen.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Pleiter!

Verwendete Quellen
  • Telefonat mit Dirk Pleiter am 04.02.2021
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