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Wladimir Putin – politischer Dauerbrenner: Warum die Russen nicht genug bekommen


Ewiger Präsident
Warum die Russen von Putin gar nicht genug bekommen können

MeinungVon Wladimir Kaminer

13.01.2022Lesedauer: 4 Min.
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Wladimir Putin in voller Pose: Mit zahlreichen Auftritten gibt er immer wieder den virilen Staatschef, meint Wladimir Kaminer.Vergrößern des Bildes
Wladimir Putin in voller Pose: Mit zahlreichen Auftritten gibt er immer wieder den virilen Staatschef, meint Wladimir Kaminer. (Quelle: Alexey_Druzhinyn/dpa-bilder)

Putin, Putin, Putin – und kein Ende in Sicht. Was aber finden die Russen am starken Mann im Kreml eigentlich so toll? Die Antwort ist erschreckend einfach. Meint Wladimir Kaminer.

Es ist beinahe unmöglich für die Russen geworden, ein amerikanisches Visum zu bekommen, die US-Botschaft in Moskau ist so gut wie zu. Einige versuchen es über Indonesien, andere suchen ihr Glück in Warschau, wenn sie einen Reisepass mit EU-Visum besitzen und mit Westvakzinen geimpft sind.

Wahrscheinlich denken die Amerikaner, alle Russen, die nach Amerika reisen wollen, hätten nur eins im Kopf: sich in den amerikanischen Wahlkampf einzumischen oder zu spionieren. "The Americans" – eine Serie über russische Spione wurde mit Emmys und Golden Globes überschüttet und war eine Zeit lang die beliebteste Serie in den USA. Zum Glück ist der Serienmarkt in Amerika groß und die Serien werden relativ kurzgehalten, nach acht Staffeln ist es in der Regel vorbei.

(Quelle: Frank May)

Wladimir Kaminer ist Schriftsteller und Kolumnist. Er wurde 1967 in Moskau geboren und lebt seit mehr als 30 Jahren in Deutschland. Zu seinen bekanntesten Büchern gehört "Russendisko". Kürzlich erschien sein neuestes Buch "Die Wellenreiter. Geschichten aus dem neuen Deutschland".

In anderen Ländern dauern die Serien Jahrzehnte, die Darsteller altern mit den Zuschauern zusammen.

Neben der Türkei und Staaten in Südamerika ist Russland ein Land der endlosen Serien. Sogar die Fans vergessen in der Regel nach 150 Folgen, wie die Geschichte angefangen hat – schauen aber trotzdem brav weiter. Die meisten Serien Russlands erzählen von unglücklicher Liebe und sagenhaftem Reichtum, manche behandeln das Thema "amerikanische Spione".

Doch die längste russische Serie heißt "Präsident Putin", sie läuft auf allen Fernsehkanälen ohne Pause, jeden Tag von morgens bis abends. Und das seit 22 Jahren. Für die heutige Jugend ist es unmöglich, sich ihr Land ohne die Putin-Serie vorzustellen, sie war immer da.

Mal spielt Putin darin Eishockey, mal reitet er auf einem Pony oder rettet die Tiger in der Taiga. Er kann gut schwimmen und Auto fahren. Er ist schon mal mit den Kranichen in einem Kranich-Kostüm geflogen und mit einem U-Boot auf dem Meeresgrund gewesen.

Über Putins Vergangenheit, seine Kinder, seinen Familienstand weiß man wenig. Sein Aussehen, seine Art zu reden, ändern sich von Staffel zu Staffel. Mit der Zeit sieht Putin immer jünger aus, redet aber wie ein alter Mann. Am liebsten erzählt er seinem Volk die Geschichte des Landes neu.

Er schwelgt gern in der Vergangenheit, gestikuliert, schimpft über den Westen, klagt und droht. In der letzten Staffel waren die "Verfluchten Neunziger" zu seinem Lieblingsthema geworden. Ausführlich erzählte er, wie es damals in den Neunzigerjahren wirklich war: Das große, aber naive Russland habe dem wilden Westen vertraut, wurde verraten, ausgenommen, abgehängt, dem Weltkapital zum Frühstück serviert.

Lenkrad statt Staatslenkung

"Die Amerikaner haben die sowjetischen Atom-U-Boote aus dem Wasser geholt und vor den Kameras zersägt, sie haben unsere Raketen auseinandergenommen und die russische Regierung mit CIA-Agenten infiltriert", erzählte der Präsident kurz vor Weihnachten. Er selbst, damals arbeitslos gewordener Oberst der Staatssicherheit, habe mit dem eigenen Auto Taxi fahren müssen, um über die Runden zu kommen.

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Da waren sich die Zuhörer und die Journalisten einig: Die Geschichte mit dem Taxi fahrenden Präsidenten ist der Höhepunkt in der neuen Staffel. Bleibt nur zu fragen, ob sie auf wahren Ereignissen basiert. Wenn Putin wirklich in den Neunzigern als Taxifahrer unterwegs war, warum hat sich bis jetzt kein einziger Passagier von ihm gemeldet?

Eigentlich waren die "verfluchten Neunziger" die Zeit seines Aufstieges. Und nicht nur seines. Die Demokratisierung des Landes und neue liberale Gesetze sorgten dafür, dass Menschen mit Chuzpe und Charisma innerhalb kürzester Zeit großartige Karieren hinlegten, von den Pionieren zu Millionären, oder wie Putin selbst vom Taxifahrer zum Präsidenten, da kann man nicht meckern.

Am Anfang der Serie suchte Putin die Freundschaft mit dem Westen, er spielte mit dem Gedanken, sein Land könnte der Nato beitreten, wollte eine der Hauptrollen auf der Bühne der Weltpolitik. Doch der ihm zugewiesene Platz war weit von der Bühne entfernt, es war nicht einmal im Parkett, sondern irgendwo im 3. Rang. Der Westen war nämlich in den alten Klischees behaftet. Ronald Reagan nannte die Sowjetunion vor 40 Jahren "Das Imperium des Bösen". "Einmal böse, immer böse", so dachten wahrscheinlich die Amerikaner. Sie konnten sich Russland in der Nato einfach nicht vorstellen.

Vom Taxi zum Panzer

Und irgendwann in der fünften Staffel platzte dem Präsidenten dann der Kragen. "Egal was wir tun, wir werden nie auf der gleichen Augenhöhe mit dem Westen reden können, es sei denn wir holen 'das Imperium des Bösen' aus der Mottenkiste der Geschichte wieder zurück. Zum Teufel mit Demokratie, zum Teufel mit der Liberalisierung. Ihr wollt das Böse? Also bekommt ihr das Böse!", dachte der Präsident, holte sein altes Taxi aus der Garage und rüstete es zu einem Panzer um.

Schritt für Schritt begann er, die Vergangenheit nachzubauen. Er nahm alle bürgerlichen Freiheiten zurück; unabhängige Richter, mündiges Parlament und freie Presse ersetzte er durch seine Handlanger, manipulierte die Wahlen, schrieb die Verfassung um und nahm sich mehr Macht, als die russischen Zaren oder ein sozialistisches Politbüro jemals innehatten.

Die Wirtschaft wurde wieder verstaatlicht, das Geld in die Militarisierung des Landes gesteckt, die alten, von den Amerikanern zersägten U-Boote von der Müllhalde geholt und wieder zusammengeschweißt. Alle namhaften politischen Gegner wurden in den Knast gesteckt, außer Landes verwiesen oder vernichtet. Die russischen Geheimagenten mit der Lizenz zum Töten jagten überall auf der Welt in Ungnade gefallene Banker, ehemalige Politiker und zu frech gewordene Journalisten.

Oft kamen dabei auch Menschen um, die überhaupt keiner kannte. Waren es zufällige Opfer? Oder gar die Fahrgäste aus Putins altem Taxi, aus den "verfluchten Neunzigern", damit sie niemandem erzählen können, was sie ihm damals an Trinkgeld gegeben haben? Wer weiß ...

Fest steht hingegen: Die Fortsetzung von "Präsident Putin" kommt.

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben die Meinung der Autoren wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der t-online-Redaktion.

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