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Russlands neue Weltpolitik: Putin will es, Putin bekommt es


Russlands neue Weltpolitik
Putin will es, Putin bekommt es

  • Gerhad Spörl
MeinungVon Gerhard Spörl

Aktualisiert am 13.07.2020Lesedauer: 4 Min.
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Russlands Präsident Wladimir Putin: Der Westen war zu weit gegangen, das ist einfach so – eben genau so weit wie Barack Obama, der Russland eine Regionalmacht nannte und damit gedankenlos demütigte.Vergrößern des Bildes
Russlands Präsident Wladimir Putin: Der Westen war zu weit gegangen, das ist einfach so – eben genau so weit wie Barack Obama, der Russland eine Regionalmacht nannte und damit gedankenlos demütigte. (Quelle: Mikhail Svetlov/getty-images-bilder)

Kriege, Auftragsmorde, Kopfgelder: Russlands Auftreten auf dem Parkett der Weltpolitik wird immer aggressiver. Während der Westen oft nur zuschaut, weitet der Kreml seinen Einfluss weiter aus.

Der Uno-Sicherheitsrat beschloss am Sonntag nach langem Hin und Her, dass weiterhin humanitäre Güter in den Norden Syriens transportiert werden dürfen. Für 2,8 Millionen Syrer sind Lebensmittel und Medizin überlebenswichtig. Die Konvois konnten früher über vier, später nur noch über zwei Grenzübergänge fahren. Von nun an wird es nur noch ein Übergang sein. Russland will es so, Russland bekommt es so, Russland triumphiert darüber.

Russlands kalte Machtpolitik

Wladimir Putin ist zu einer seltsam düsteren Figur der Weltpolitik geworden. Ihm kommt es darauf an, den Westen vorzuführen, ihm die Grenzen aufzuzeigen, um sich damit zu erhöhen. Seine Strategie ist im Grunde banal: Ich zeige euch, wo der Hammer hängt, ich zeige euch, wie wichtig mein Land ist. Auf mich kommt es an, in Syrien und Libyen, in der Ukraine und auf der Krim sowieso, und jedes Mal mache ich, was ich will, auch in Afghanistan.

Auf Destruktion eine Antwort zu finden, fällt schwer. Empörung liegt nahe, ist aber kein Argument – schon gar nicht in einer geschichtlichen Umbruchphase, in der Zynismus gang und gäbe ist und echte wie angemaßte Großmächte ihr Spiel Jeder-für-sich und Wir-gegen-alle spielen. Russland betreibt diese kalte Machtpolitik auf allen Ebenen, auch mit Morden im Berliner Tiergarten oder Giftanschlägen in London.

Ein Treppenwitz der Geschichte

Kürzlich kam heraus, dass Russland Kopfprämien für getötete US-Soldaten in Afghanistan auslobte. Das Geld floss an die Taliban. Der Treppenwitz der Geschichte besteht darin, dass die Taliban zu den erbittertsten Feinden der Roten Armee gehörten, die 1979 Afghanistan besetzt hatten. Zehn Jahre später zogen die Sowjetsoldaten ruhmlos wieder ab.

Das gleiche Schicksal erlitt Amerika, das Afghanistan nach 9/11 besetzte und nun den Großteil seiner Soldaten abziehen möchte. Zu diesem Zweck verhandelte Amerika in Doha lange und zäh mit den Taliban. In dieser Zeit starben etliche US-Soldaten, zum Beispiel vier Marinesoldaten im April 2019 bei einem Bombenanschlag auf ihr Fahrzeug. Für wie viele am Ende Kopfprämien gezahlt wurden, ist schwer zu sagen. Natürlich dementieren der Kreml und ein Sprecher der Taliban das Komplott.

Trumps merkwürdiges Schweigen

Interessant daran ist die Reaktion Donald Trumps, genauer gesagt: das dröhnende Schweigen danach. Seine permanente Erregungsbereitschaft ist im Fall Russland merkwürdig gering. Als die großen US-Zeitungen, angefüttert aus CIA-Kreisen, über das Kopfgeld berichteten und irgendjemand irgendwie antworten musste, murmelte Trump zuerst etwas von Fake News, sagte danach, er sei nicht informiert worden. Wobei sich sofort die Frage stellt, warum nicht. Dann meinte er schließlich, die Sache mit den Kopfprämien sei in den Geheimdiensten umstritten.

Natürlich deuten die notorischen Trump-Verächter an, dass er nicht nur eine Schwäche für selbstherrliche Autokraten hegt, sondern sich prinzipiell gegenüber Putin zurückhält, was ihn verdächtig machen soll. Das lassen wir jetzt einfach mal so stehen und widmen uns der relevanten Frage, warum Putin sich so verhält, wie er sich verhält.

Russlands neue Aggression

Der Bruch Russlands mit dem Westen ist keine 20 Jahre her. Kurz nach 9/11 noch hielt Wladimir Putin eine bemerkenswerte Rede im deutschen Bundestag, in der er davon sprach, dass der Kalte Krieg endgültig vorbei sei. War er damals auch, aber nicht mehr lange. Zuerst führte Russland einen unfassbar brutalen Dauerkrieg in Tschetschenien, der bis 2009 anhielt. Dann folgte ein schneller Krieg gegen Georgien, das am liebsten in die Nato und die EU eingetreten wäre. Und als die Ukraine mit ähnlichen Gedankenspielen hervortrat, annektierte Russland die Krim und bemächtigte sich der Ostukraine.

Putin hat einmal gesagt, die größte strategische Katastrophe des 20. Jahrhunderts sei der Zusammenbruch der Sowjetunion gewesen. Diese Erkenntnis hing mit der Enttäuschung über den Lauf der Dinge zusammen. Seither bedeutet er dem Westen: Bis hierhin und nicht weiter, keine weitere Ausdehnung der Nato, keine neuen Rüstungsabkommen. Ich mache Russland wieder groß.

Russland stößt in die vom Westen hinterlassenen Lücken

Der Westen war zu weit gegangen, das ist einfach so – eben genau so weit wie Barack Obama, der Russland eine Regionalmacht nannte und damit gedankenlos demütigte. Das ist der Hintergrund der sinistren russischen Machtpolitik. Hintergründe sind zum Verständnis historischer Ereignisse wichtig. Sie erklären, sie stellen in den Zusammenhang. Sie rechtfertigen jedoch nichts.

Wo immer sich auch Lücken ergeben, zum Beispiel durch den Rückzug Amerikas aus dem Irak, der Nicht-Intervention in Syrien, dem Vakuum in Libyen nach Gaddafis Tod, ist Russland zur Stelle, entweder mit eigenen Truppen oder mit Waffenlieferungen. Überall sammelt Wladimir Putin Beweise gegen die Behauptung, Russland sei nur eine unbedeutende Regionalmacht.

Frieden ist keine Option

Jeden dieser Konflikte stellt Russland auf Dauer, egal ob in der Ostukraine oder im Nahen Osten. Der ultimative Zynismus besteht darin, dass Frieden oder auch nur maßvolle Veränderung keine Option ist. Er zieht den inhumanen Status quo vor. Disruption durch Krieg und Bürgerkrieg ist das Ergebnis.

Was macht man dagegen? Sanktionen sind lästig, aber ohne tiefere Wirkung. Eine Doppelstrategie aus Verhandlungen über Konflikte und Kriege und Angeboten, die auf mittlere Sicht zu Veränderungen führen, ist kompliziert und verlangt nach einer langfristigen Strategie. Wer formuliert sie, wer verfolgt sie? Putin ist seit der Verfassungsreform Zar auf Lebenszeit, wird also noch eine Weile nach Mitteln und Wegen suchen, um seinen Einfluss auf Kosten des Westens zu mehren.

Amerika ist nicht mehr alles, aber ohne Amerika ist alles nichts. Barack Obama hat mit seiner Arroganz gegenüber Putin einen schweren Fehler begangen. Donald Trump sorgt im Nahen Osten und in Afghanistan mit seinem (verständlichen) Rückzug für Raum zur russischen Expansion.

Die humanitäre Resolution im Uno-Sicherheitsrat ging übrigens auf einen belgisch-deutschen Vorschlag zurück. Mehr ließen die Machtverhältnisse nicht zu. Was herauskam, ist nicht viel, aber immerhin ein Akt der Humanität in einer zynischen Welt.

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