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"Undercover Deutschland": Grenzwertiges TV-Format


"Undercover Deutschland"
Grenzwertiges TV-Format mit Hang zum Voyeurismus

Tanja Zech, t-online.de

Aktualisiert am 15.07.2014Lesedauer: 4 Min.
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Die RTL-Reporter Miriam Werning und Wolfram Kuhnigk recherchierten im neuen RTL-Format "Undercover Deutschland".Vergrößern des Bildes
Die RTL-Reporter Miriam Werning und Wolfram Kuhnigk recherchierten im neuen RTL-Format "Undercover Deutschland". (Quelle: RTL)

Der erste Fall der neuen RTL-Serie "Undercover Deutschland" hat in jeder Hinsicht die Grenzen des Erträglichen gesprengt. Die Reporter Wolfram Kuhnigk und Miriam Werning recherchierten mit getarnten Identitäten im Milieu von Pädophilen und Leihmüttern. Beim Beitrag über Kinderschänder entgleiste das TV-Format.

Kuhnigk gelang es, mit falscher Identität in die Pädophilen-Szene einzudringen, die im anonymen "Darknet" chattet. Seine risikoreiche Recherche trug dazu bei, dass die Polizei im Mai dieses Jahres in Aschersleben (Sachsen-Anhalt) einen Pädophilen-Ring ausheben konnte.

Damit hat Kuhnigk das bestmögliche Ziel von investigativem Journalismus erreicht. Doch bei der Darstellung der Rechercheergebnisse schoss der Privatsender bei seiner Quotenjagd über das erklärte Ziel hinaus, sich mit "seriös recherchiertem Enthüllungsjournalismus neu zu positionieren", wie es in einer Agenturmeldung hieß.

RTL überschreitet Grenze zum Voyeurismus

Unnötig lange und detailreich werden Missbrauchstaten und Phantasien von Kinderschändern wiedergegeben, wo Andeutungen völlig genügt hätten. Zu heimlich aufgenommenen Wackelbildern aus einem biederen Wohnzimmer sind Schilderungen zu hören, die nicht nur für Eltern kaum zu ertragen sind.

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Der schmale Grat zwischen Informationsgehalt und Voyeurismus beim sensiblen Thema Kindesmissbrauch kippt endgültig, als der Zuschauer mit der Verheißung "Gleich: Ein Pädophiler bringt ein Kind mit!" in die Werbepause entlassen wird und die Perversionen danach noch einmal im Schnelldurchlauf vorgesetzt bekommt. Das wäre Grund genug, um dem neuen "Undercover"-Format mit der Fernbedienung eine Absage zu erteilen.

Dabei sind die nüchternen Fakten berichtenswert und drastisch genug.

Die schmutzigen Tricks der Kontaktanbahnung

Getarnt mit dem Decknamen Wolfgang und einer Zottelperücke kommt der Journalist Kuhnigk in Kontakt mit einem vorbestraften Kinderschänder, der sich Sascha nennt. "Ein unscheinbarer Typ, introvertiert, gebildet", so Kuhnigk. Sascha ist bestens informiert über die Gesetzgebung anderer Länder, die sexuelle Kontakte zu Kindern nicht unter Strafe stellen. Danach sucht er seine "Urlaubsziele" aus.

Kuhnigk gewinnt Saschas Vertrauen und Einblick in die Tricks der Kontaktanbahnung zu Kindern in Deutschland, sei es über Internetchats, eine Scheinbeziehung zur Mutter oder ehrenamtliches Engagement in Einrichtungen für Kinder.

Als der getarnte Reporter zu einem Treffen des Pädophilen-Rings eingeladen wird, weiht er die Polizei in seine Erkenntnisse ein. "Alice Day" nennt sich das geheime Jahrestreffen zum Erfahrungsaustausch über die gemeinsame sexuelle Neigung. Doch dabei bleibt es nicht. Geplant ist auch ein Ausflug zu einem Kinderflohmarkt und in den Zoo, mit dem Vorhaben, dort mit Kindern in Kontakt zu kommen. Einer der Männer bringt als Lockvogel sogar seine fünfjährige Nichte mit.

Verdeckte Ermittler beobachten das Geschehen, dann startet die Polizei in Aschersleben einen Großeinsatz gegen die Pädophilen-Gruppe. Gegen zehn Männer und eine Frau wird nun wegen des Verdachts auf sexuellen Missbrauch von Kindern und Verbreitung von Kinderpornographie ermittelt.

10.000 Euro für Leihmutterschaft geboten

Im zweiten Fall der ersten Folge ist Autorin Miriam Werning Leihmutterschaft und Kinderhandel in Deutschland auf der Spur. Paare, die kein Kind bekommen können, haben oft einen langen Leidensweg mit vergeblichen Fruchtbarkeitsbehandlungen oder bürokratischen Hürden bei der Adoption hinter sich. Einzelne sind bereit, sich den Kinderwunsch auf illegalen Wegen zu erfüllen.

In einem Internetforum stößt Werning auf den Aufruf "suche ehrliche Leihmutter". Kein Einzelfall. Wernig schreibt suchende Paare an und gibt sich als Studentin aus, die mit ihrer Gebärmutter ihr Studium finanzieren will.

Es meldet sich ein Paar um die 40, das behauptet, schon zehn vergebliche Versuche künstlicher Befruchtungen hinter sich und dafür rund 60.000 Euro ausgegeben zu haben. Weitere 10.000 Euro bietet der Mann der vorgeblichen Leihmutter, wenn sie nicht nur ihren Bauch, sondern auch eine ihrer Eizellen zur Verfügung stellt. Andernfalls müsse noch eine geeignete Eizellspenderin gefunden werden.

"Dienstleistungen" für ungewollt Kinderlose

In Deutschland ist sowohl Leihmutterschaft als auch Eizellspende gemäß Embryonenschutzgesetz verboten. Wichtig dabei ist die Differenzierung, die in der RTL-Sendung allerdings zu kurz kam: Strafbar sind nur die Vermittlung und ärztliche Unterstützung, während die Leihmütter und das Auftraggeber-Paar nichts zu befürchten haben. Die Mutter im rechtlichen Sinn ist nach deutschem Gesetz die Frau, die das Kind geboren hat, also die Leihmutter.

In anderen europäischen Ländern ist Leihmutterschaft legal, beispielweise in Belgien, Frankreich, Großbritannien, Russland und in der Ukraine. Dort sind diese "Dienstleistungen" für kinderlose Paare aus Deutschland ein florierendes Geschäft.

Leihmutterschaft als One-Night-Stand getarnt

Wie eine Leihmutterschaft auch bei uns funktionieren könnte, dazu hat der Mann schon einen Plan ausgeheckt, der erschreckend simpel klingt: "Wenn du schwanger bist, gehen wir zum Jugendamt und ich erkenne die Vaterschaft an. Nach der Geburt wird das Kind von meiner Frau adoptiert. Du bekommst dein Geld und wir nehmen das Kind." Bis zu 50.000 Euro für ein Kind auf Bestellung

Rollenwechsel: Für die nächste Recherche tarnt sich die RTL-Reporterin als kinderlose Mittdreißigerin und kontaktiert eine Frau, die sich als kommerzielle Leihmutter andient. Manche Paare hätten dafür bis zu 50.000 Euro geboten. Ihr Geschäftsprinzip: Bestellkind gegen Höchstgebot, gezeugt mit der "Bechermethode", also mit angeliefertem Sperma des biologischen Vaters. Die Frau behauptet sogar, keine emotionale Bindung zu dem heranwachsenden fremden Baby in ihrem Bauch zu entwickeln.

Unerwünschtes Kind zu verkaufen

Miriam Werning, zum Zeitpunkt ihrer Recherche selbst im vierten Monat schwanger, verfolgt noch eine Spur aus einem nicht näher bezeichneten Forum. Ein Paar scheint bereit zu sein, von einer Schwangeren ein unerwünschtes Kind zu übernehmen, wenn nicht sogar zu kaufen. Dies wäre ein klarer Fall von Menschenhandel.

Unter falscher Identität bietet Werning ihr eigenes, ungeborenes Baby an und stößt auf Interesse, der Handel bahnt sich an. Zum Treffen in einem Café erscheinen ein Mann und eine Frau Anfang 50, die als Motiv angeben, unerwünschte Kinder retten zu wollen - "manche werfen ihr Baby einfach auf den Müll".

Auch dieses Paar liefert gleich die Idee, wie der illegale Kinderhandel unentdeckt ablaufen könnte: Ungeheuerlich klingt der Hinweis das strafbare Hilfsangebot einer Hebamme, die sich angeblich bereit erklärt, bei einer Hausgeburt den Geburtsschein zu manipulieren. Mit einer Urkundenfälschung bekäme das Kind neue Eltern und eine falsche Identität.

In Deutschland bieten das Recht auf anonyme Geburt und die Babyklappen verzweifelten Frauen einen Ausweg und retten unerwünschten Kindern das Leben. Unter behördlicher Kontrolle können ihnen dann Adoptiveltern vermittelt werden.

RTL hat zunächst vier Folgen von "Undercover Deutschland" geplant. Die Staffel wurde rund zwei Jahre lang vorbereitet. Themenschwerpunkt: soziale Randerscheinungen.

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