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SZ-Karikatur – Vorwurf des Antisemitismus: "Das gehört nicht in eine Zeitung"


Vorwurf des Antisemitismus
"Das gehört nicht in eine Zeitung"

  • Fabian Jahoda
MeinungVon Miriam Hollstein, Fabian Jahoda

Aktualisiert am 27.05.2022Lesedauer: 4 Min.
Meinung
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Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj spricht beim Weltwirtschaftsforum in Davos: Eine Karikatur dieser Szene sorgt für Aufregung.Vergrößern des Bildes
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj spricht beim Weltwirtschaftsforum in Davos: Eine Karikatur dieser Szene sorgt für Aufregung. (Quelle: Laurent Gillieron / Keystone/dpa-bilder)

Eine in der "Süddeutschen Zeitung" erschienene Karikatur sorgt für Diskussionen. Ist die Darstellung des jüdischen Präsidenten der Ukraine antisemitisch? Auch bei t-online gehen die Meinungen auseinander.

Der österreichische Karikaturist Pepsch Gottscheber hat in der "Süddeutschen Zeitung" eine umstrittene Zeichnung veröffentlicht. Sie zeigt den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenksyi bei einem Auftritt vor dem Weltwirtschaftsforum in Davos. Dafür wird der Künstler nun massiv attackiert. Und auch die Zeitung steht im Kreuzfeuer der Kritik. Der Vorwurf wiegt schwer: Antisemitismus.

Immer wieder polarisieren Karikaturisten mit ihren Werken und sorgen für Empörung bei verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen. Doch ist die Karikatur wirklich judenfeindlich? Und wie weit darf Satire gehen? Darüber ist ein erbitterter Streit entbrannt, den wir bei t-online mit einem Pro&Kontra abbilden.

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In ihrem Pro und Kontra diskutieren Miriam Hollstein und Fabian Jahoda daher die Frage:

Ist die Karikatur der "Süddeutschen Zeitung" antisemitisch?

Das Pro von Fabian Jahoda, Redakteur im Ressort Audience Development

Riesig und drohend thront eine mächtige Gestalt über den vermeintlich führenden Köpfen aus internationaler Wirtschaft und Politik. Sie überschattet alles andere und diktiert, worum sich hier alles drehen muss: Was nach nationalsozialistischem Motiv von "jüdischer Weltverschwörung" klingt, ist in Wahrheit eine Karikatur des ukrainischen Präsidenten in der "Süddeutschen Zeitung".

Würde man ein NS-Propagandablättchen neben die Feiertagsausgabe der "SZ" legen, die Unterscheidung fiele schwer – zu ähnlich ist die Bildsprache der Karikaturen.

Zu Recht regt man sich regelmäßig über den Gebrauch von NS-Begriffen bei mancher Person des öffentlichen Lebens auf. Wieso sollte es bei Bildsprache anders sein? Es geht nicht darum, dass man Selenskyj womöglich nicht mag. Es geht nicht darum, dass der ukrainische Präsident Jude ist. Es geht nicht darum, dass sich sein Heimatland im Krieg befindet. Solche Stilisierung gehört in Geschichtsbücher, aber nicht in eine Zeitung aus dem Jahr 2022.

Der Zeichner mag vielleicht kein Antisemit sein, die Wirkung des Bildes gar nicht intendiert haben. Dennoch bedient sich die Karikatur antisemitischer Motive aus der dunkelsten Zeit unseres Landes, ob gewollt oder ungewollt. Auch der Eindruck beim Publikum zählt, nicht nur die Intention des Künstlers.

Natürlich kann eine Karikatur antisemitisch sein und sich entsprechender Motive bedienen, ganz gleich ob der Künstler es als "judenfeindlich" erdacht hat. Das geht sogar ganz unabhängig davon, ob Selenskyj nun selbst Christ, Jude oder Buddhist ist.

Es ist ein Rätsel, wie der Subtext und die Anmutung der Zeichnung zunächst dem Künstler selbst, dann jedoch auch niemandem in der Redaktion auffallen konnten. Dass man selbst jetzt die Entlehnung antisemitischer Motive nicht sehen will, ist unbegreiflich.

Die Rechtfertigung der "Süddeutschen" illustriert, wie dominierend mangelnde Empathie beim Verlag und wie verwurzelt antisemitische Motive bis heute in unserer Gesellschaft sind. In München verschließt man lieber die Augen vor dem, was für Tausende offensichtlich ist. Es sei lediglich "die zeichnerische Umsetzung der Fernsehbilder".

Dass sich die "SZ" nicht das erste Mal für antisemitische Anleihen bei ihren Karikaturen in der Kritik befindet, setzt der ganzen Debatte dabei noch die Sahnehaube auf.

Das Kontra von Miriam Hollstein, Chefreporterin im Hauptstadtbüro von t-online

Pepsch Gottscheber zeigt Selenskyj als grimmige Gestalt, die eine Runde von Weltführern dominiert. Es ist eindeutig: Er mag ihn nicht. Man kann es heikel finden, einen Präsidenten, der jeden Tag ums Überleben kämpfen muss, so darzustellen. Man kann Gottscheber Empathielosigkeit vorwerfen. Man kann ihm sogar vorwerfen, dass seine Karikatur zeichnerisch eher misslungen ist. All das macht ihn aber noch nicht zum Antisemiten.

Das Problem ist, dass seine Zeichnung in einen historisch-kulturellen Kontext fällt, in dem die Karikatur zeitweise zum Instrument antisemitischer NS-Propaganda wurde. Das nationalsozialistische Hetzblatt "Der Stürmer" stellte Juden stets mit grotesk verzerrten Zügen, riesigen Nasen und übergroßen Ohren dar. Oft wurde auch der Mythos vom "Weltjudentum" thematisiert, welcher Deutschland und den Rest der Welt heimlich beherrsche.

An all das fühlen sich die Kritiker von Gottscheber erinnert. Darunter sind viele, die täglich von Antisemitismus direkt betroffen sind. Trotzdem ist es in diesem Fall nicht fair, dem Zeichner Antisemitismus zu unterstellen. Es gehört zur (notwendigen) Strategie Selenskyjs, in regelmäßigen Auftritten gegenüber anderen Ländern auf seine verzweifelte Lage aufmerksam zu machen. Das hat aber nichts mit der künstlichen Darstellung eines "Weltjudentums" zu tun, das den Globus im "Würgegriff" hält. Bestimmte körperliche Merkmale hat Gottscheber übertrieben. Auch das ist nicht per se antisemitisch, es ist das Wesen jeder Karikatur.

George W. Bush wurde regelmäßig recht bösartig mit übergroßen Ohren und Hakennase dargestellt. Und doch wäre niemand auf die Idee gekommen, dies für antisemitisch zu halten, weil er keine jüdische Familiengeschichte hat. Selenskyj ist hingegen Jude. Zugleich zielt die russische Propaganda massiv darauf ab, ihn und seine Regierung als "Nazis" zu diffamieren.

Vielleicht ist die Wahrheit, dass es angesichts dieser Gemengelage äußerst problematisch ist, ihn negativ zu karikieren. Und dass man ihn unter diesen Umständen gar nicht zeichnen sollte. Dann wäre aber genau das die ehrliche Diskussion, die man jetzt führen sollte.

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