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AfD | Abgeordneter Gottschalk spricht über sein überraschendes Outing


AfD-Politiker outet sich als schwul
"So jemanden werde ich nie wieder finden"

  • Annika Leister
InterviewVon Annika Leister

07.03.2023Lesedauer: 6 Min.
Interview
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Kay Gottschalk: Der finanzpolitische Sprecher der AfD im Bundestag outete sich mit einer emotionalen Rede.Vergrößern des Bildes
Kay Gottschalk: Der finanzpolitische Sprecher der AfD im Bundestag hielt eine emotionale Rede im Bundestag. (Quelle: M. Popow/Imago)

Mit 57 Jahren outete sich der AfD-Abgeordnete Kay Gottschalk im Bundestag als schwul. Im Interview erklärt er, warum er den Schritt jetzt gemacht hat – und wie seine Partei reagierte.

Kay Gottschalk durchlebt turbulente Tage. Während des Telefonats mit t-online bricht der AfD-Abgeordnete immer wieder in Tränen aus. Denn Gottschalks Ehemann ist im Alter von nur 39 Jahren gestorben. 20 Jahre lang waren die beiden ein Paar. Gerade plant er Beerdigung und Trauerfeier, meldet das Handy ab, kümmert sich um die Versicherungen. Viel zu viel auf einmal.

Für Gottschalk ist der Tod "seines Marios" aber auch Anlass für einen Befreiungsschlag gewesen, wie man ihn im Bundestag selten erlebt. "Gestatten Sie mir vorab eine persönliche Bemerkung" – so begann der finanzpolitische Sprecher der AfD am Donnerstag seine Rede im Plenum. Was folgte, war in der Tat eine sehr persönliche Einlassung: Gottschalk erzählte vom Tod seines Mannes – und outete sich so zugleich erstmals in seinem Berufsleben als schwul.

Für die AfD-Fraktion war das eine Überraschung, im Anschluss wurde das Video zu Gottschalks Rede weit geteilt. Gottschalk, seit 2013 Mitglied und seit 2017 im Bundestag, ist einer der wenigen Politiker der teils rechtsextremen Partei, die zu ihrer Homosexualität offen stehen. Nicht nur der Lesben- und Schwulenverband attestiert der AfD eine "zutiefst homophobe Politik".

Warum outete er sich erst jetzt? Wie hielt er seine Beziehung so lange geheim? Und wie reagierte seine Partei? Ein sehr persönliches Gespräch mit Kay Gottschalk.

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t-online: Herr Gottschalk, Sie haben am Donnerstag in einer emotionalen Rede im Bundestag überraschend vom Tod Ihres Lebenspartners erzählt und sich damit als schwul geoutet. Warum jetzt?

Kay Gottschalk: Ich habe lange in einem sehr konservativen Umfeld in der Versicherungswirtschaft gearbeitet und komme aus einer Generation, die oft noch nicht so mutig ist wie die Generation meines Mannes. Jetzt habe ich gesagt: Das ist mein Mann mir wert nach 20 Jahren, die wir zusammen waren; nach vier Jahren, die wir verheiratet waren. Was hätte ich auch sagen sollen, wenn ich auf der Arbeit zu heulen anfange? Dass mein Hund gestorben ist? Diese Ehrlichkeit – das war ich meinem Mann schuldig.

Wie und wo haben Sie sich kennengelernt?

Wir haben uns über eine Kontaktbörse kennengelernt, als ich noch in Baden-Württemberg gearbeitet habe. Er meinte: "Ich habe gleich beim ersten Treffen gesehen, dass du dich verknallt hast." Und ihm ging es genauso. Seit dem 7. Juli 2002 waren wir ein Paar.

Das klingt nach Liebe auf den ersten Blick.

Das war es. Er war mein Mensch fürs Leben.

Was war das Besondere an ihm?

Wo soll ich da anfangen? Er war ein Partner auf Augenhöhe. Superintelligent. Wir haben abends oft bei einer Flasche Rotwein über Finanzpolitik diskutiert. Er war sehr ruhig, sehr ausgleichend. Wenn ich mich geärgert habe, hat er mich runtergebracht. Ein absolut verlässlicher Mensch. Wir haben uns einfach blind verstanden. Wie zwei Puzzleteile, die sich gefunden haben.

Sie waren beide berufstätig, haben zeitweise auch an unterschiedlichen Orten gelebt. Wie hat das funktioniert?

Wir haben am Anfang eine Fernbeziehung geführt. Das hat gehalten, weil die Liebe groß genug war. Ich bin fast jedes Wochenende zu ihm gefahren, in Strecken gemessen war das ein Irrsinn. 2005 ist er dann zu mir nach Hamburg gezogen, in unser Haus.

Wann haben Sie geheiratet?

Das war 2019. Wir haben nach 16 Jahren gesagt: "Wir heiraten jetzt, was soll das?" Geheiratet haben wir dann in engstem Kreis. Meine Eltern wussten es eh. Aber wir waren uns da ansonsten selbst genug. Wir haben unser Ding gemacht. Wir haben gesagt: Für uns ist es normal – und niemand anderen geht es etwas an.

Sie sind Mitgründer der AfD, schon seit 2013 sind Sie mit dabei. In Ihrer Fraktion waren alle überrascht von Ihrer Rede. Was wiederum bedeutet: Niemand kannte Ihren Mann, niemand wusste, dass Sie schwul sind. Warum?

Weil ich das nicht wollte. Ich habe es erst in der Versicherungswirtschaft und dann auch in der AfD nicht an die große Glocke gehängt. Und mein Mann hat das akzeptiert.

Und wie hat sich Ihr Mann verhalten?

Er hat da ganz anders getickt. Er ist auf seiner Arbeit nicht nur mit unserer Beziehung ganz locker umgegangen, sondern auch mit seinen Depressionen. Ich habe immer gesagt: Er war da mutiger, er war da klarer.

Politik ist ein Vollzeitjob. Wie schafft man es, über so viele Jahre eine Beziehung geheim zu halten?

Mein Mann hatte seinen Vollzeitjob als Finanzinspektor im Finanzamt und hat nie Wert darauf gelegt, bei den Parteiveranstaltungen mit dabei zu sein. Das war nie seins, auch durch die Depressionen. Er war sehr häuslich, wollte von dem ganzen Rummel eher nichts wissen. Ich finde das auch etwas soapmäßig, sehr amerikanisiert, dass Partner oft so in die Öffentlichkeit gezerrt werden. Ich weiß gar nicht, ob das allen Menschen so recht ist. Man sieht ja auch regelmäßig, wie das umschlagen kann und Menschen bei den Medien in Ungnade fallen. Die private Sphäre, die wollten wir uns bewahren.

Wie hat Ihr Mann zur AfD gestanden?

Er hat mich immer wieder dazu ermutigt, mich stärker einzubringen. Ich kann mich noch genau an den Februar 2013 erinnern, als der AfD-Landesverband in Hamburg gegründet wurde. Da stand ich vor unserem Haus und schippte Schnee. Er kam raus und fragte: "Willst du da nicht mal hingehen?" Ich sagte: "Ach, nö, wir haben doch alles, Job, Haus, jetzt wird Schnee geschnippt." Da erwiderte er: "Kay, du ärgerst dich über den Euro, über die Niedrigzinsen, über die Energiepolitik, über fehlende Mitbestimmung. Beweg jetzt deinen Hintern dahin!" Da bin ich hingegangen und gleich zum stellvertretenden Landesvorsitzenden gewählt worden. Und er hat sich mit mir gefreut: "Hab ich dir doch gesagt, dass das dein Ding ist!"

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2018 stellte die AfD im Bundestag einen Antrag, um die Ehe für alle abzuschaffen – kurz bevor Sie geheiratet haben. Die Regenbogenflagge und die Schwulenrechte gelten vielen Ihrer Parteikollegen als "Gendergaga". Viele fragen sich: Wie kann man als schwuler Mann in der AfD sein?

In einer Partei gehört es immer auch dazu, sich ein Stück weit zurückzunehmen. Der Anspruch ist heute bei vielen, ob in Partei, Beruf oder Partnerschaft: Es muss alles 100-prozentig stimmen. Man akzeptiert kaum noch jemanden, der nur 70 Prozent des Programms trägt. Ein Beispiel ist da Herr Maaßen in der CDU. Aber auch bei uns gibt es viele, die sehr empfindlich reagieren, wenn nicht alles 1:1 umgesetzt wird, wie sie sich das so vorstellen. Bei Anträgen, die ich für falsch halte, stimme ich dagegen. So einfach ist das.

Aber das Contra zur Ehe für alle, das Contra zur Regenbogenflagge – trifft Sie das nicht ganz persönlich?

Ich bin da – wie mein Mann es im Übrigen auch war – konservativ. Die Ehe steht für mich unter besonderem Schutz. Wichtig ist, dass wir dieselben Rechte haben. Aber ob das Ehe heißt, Partnerschaft oder ganz anders, das spielt für mich keine große Rolle. Und wenn wir dieses Selbstbewusstsein haben, dann braucht man auch nicht überall Fahnen zu hissen, dann braucht man keine öffentlichen Liebesbekundungen, dann muss man nicht auf der Straße rumknutschen. Das wünsche ich mir von Heten (Heterosexuelle, Anm. d. Redaktion) im öffentlichen Raum auch nicht.

Die Grünenpolitikerin und Vizepräsidentin des Bundestags, Katrin Göring-Eckardt, hat Ihnen nach Ihrer Rede im Plenum ihr Beileid ausgesprochen. In Ihrer Fraktion waren viele davon überrascht, normalerweise sind sich AfD und Grüne spinnefeind. Was haben Sie da gedacht?

Das war eine große Geste von Frau Göring-Eckardt. Auch wenn wir politisch in vielen Punkten über Kreuz liegen, menschlich hat sie damit bei mir wahnsinnig gepunktet. Ich war auch überrascht davon, dass der ganze Bundestag geklatscht hat. Das tat gut. Da war es mit meiner Fassung auch erst mal vorbei, da sind die Tränen nur so auf mein Skript gekullert.

Welche Reaktionen haben Sie aus der AfD erhalten?

Die haben mich umgehauen. Es haben so viele Kollegen angerufen und geschrieben, dass ich gar nicht mehr hinterhergekommen bin mit dem Antworten. Alle Landesverbände haben sich gemeldet, die Junge Alternative, Parteichef Tino Chrupalla. Sie haben ihr Beileid ausgesprochen, viele haben Hilfe angeboten. Ich habe das im Voraus nicht erwartet, es war mir eigentlich auch egal. Aber das hat mich tief beeindruckt, es hat mir viel Kraft gegeben. Da war ich sehr stolz auf meine Partei.

Wie geht es für Sie jetzt weiter?

Für mich ist eine ganze Welt zusammengebrochen. Ich werde jetzt einen Schritt nach dem anderen machen. Gerade plane ich die Beerdigung und die Trauerfeier. Fest steht für mich: So jemanden wie Mario werde ich nie wieder finden. Das war einzigartig.

Danke für das Gespräch, Herr Gottschalk!

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Kay Gottschalk
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