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Ukraine-Krieg | Streit um Kampfpanzer: Scholz macht den gleichen Fehler


Zögern bei Panzerlieferungen
Ein vergiftetes Geschenk

MeinungVon Miriam Hollstein

19.01.2023Lesedauer: 4 Min.
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Olaf Scholz (Archivbild): Zuletzt hatte der Bundeskanzler gesagt, sich nicht zu einer Entscheidung drängen lassen zu wollen.Vergrößern des Bildes
Olaf Scholz (Archivbild): Zuletzt hatte der Bundeskanzler gesagt, sich nicht zu einer Entscheidung drängen lassen zu wollen. (Quelle: Sven Eckelkamp/imago images)

Der Kanzler fürchtet eine Eskalation des Ukraine-Krieges – und will deshalb nur Panzer liefern, wenn es die USA auch tun. Doch damit wiederholt er einen Fehler.

Es ist ein vergiftetes Geschenk, das Olaf Scholz seinem neuen Verteidigungsminister Boris Pistorius ungewollt gemacht hat. Kurz vor dessen Ernennung wurde bekannt, dass der Kanzler nur unter einer Bedingung bereit ist, Leopard-2-Panzer an die Ukraine zu liefern. Und die lautet: Wenn die USA auch Kampfpanzer liefern.

Und so kam es, dass am Donnerstag nicht nur die Klänge des Musikkorps der Bundeswehr Pistorius ins Amt begleiteten, sondern auch die Dissonanzen eines internationalen Shitstorms mit einem mittlerweile beliebten Leitmotiv: Deutschland duckt sich mal wieder weg.

Ist der schlechte Ruf der Bundesrepublik gerechtfertigt? Die Antwort hängt davon ab, was man betrachtet.

Laut "Ukraine Support Tracker" vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel, der alle militärischen, finanziellen und humanitären Hilfen für die Ukraine sowie die Aufnahme von Flüchtlingen erfasst, hat die Bundesrepublik bislang 9,6 Milliarden Euro an Unterstützung zugesagt. Damit liegt sie auf Platz zwei, direkt hinter den USA. Und selbst bei der Militärhilfe, wo der Ruf des Drückebergers Deutschland besonders ausgeprägt ist, rangiert es immer noch auf Platz drei (hinter den USA und Großbritannien).

Auch bleibt Scholz eigentlich nur seiner Haltung treu, die er seit Kriegsbeginn eingenommen hat: Wir handeln nicht ohne unsere Verbündeten. Nicht zuletzt weiß er mit seinem vorsichtigen Kurs einen Großteil der Bevölkerung hinter sich. Denn laut jüngstem ARD-Deutschlandtrend finden 44 Prozent der Deutschen, dass die Regierung bereits genug Waffen an die Ukraine liefert. Nur rund einem Viertel ist es jeweils zu viel oder zu wenig.

Vom Führer der freien Welt zum Feigling

Deutschland ist also viel besser als sein Ruf. Und dennoch ist Scholz' jüngste Ankündigung verheerend. Denn sie verstärkt den Eindruck, dass die Bundesregierung ein unsicherer Kantonist sei, der sich lieber hinter anderen verstecke, als selbst Verantwortung zu übernehmen.

Dass dieses Bild überhaupt entstehen konnte, hat Scholz sich vor allem selbst zuzuschreiben. Er hielt viel zu lange am deutsch-russischen Pipeline-Projekt Nordstream 2 fest und ließ sich militärische Unterstützung für die Ukraine zu Beginn des Krieges immer nur scheibchenweise abringen. So gewannen Polen, Balten und Ukrainer den Eindruck, dass man auf Deutschland im Zweifel nicht setzen kann.

Vor allem mit Blick auf die Ukraine ist das bitter, schließlich war Deutschland schon vor dem Krieg nach den USA zweitgrößter Geldgeber für das Land und entsprechend wohlgelitten. Nun dürften die bilateralen Beziehungen auf absehbare Zeit beschädigt sein.

Doch nicht nur die. "Wenn Deutschland wirklich aus seiner Vergangenheit gelernt hat, schickt es Panzer zur Verteidigung der Ukraine", kommentiert der britische Historiker Timothy Garton Ash, einer der renommiertesten Kenner europäischer Geschichte, im "Guardian". "Der Ansatz des deutschen Kanzlers ergibt keinen Sinn", wettert der frühere belgische Premier Guy Verhofstadt auf dem Kurznachrichtendienst Twitter: "Frankreich und Großbritannien schicken Panzer, aber Deutschland will dafür plötzlich Bedingungen an die USA stellen?"

Nun kann man sich, wie es der Kanzler gern macht, auf die Argumentation zurückziehen, dass man langfristig meistens mit seiner Einschätzung recht gehabt habe. Nur hilft das im Moment nicht. Denn Deutschland ist dabei, seinen Ruf zu verspielen: Es mutiert vom "Führer der freien Welt" (wie die Merkel-Regierung genannt wurde, nachdem in den USA Donald Trump zum Präsidenten gewählt worden war) zum "Feigling der freien Welt".

An die hochgelobte "Zeitenwende", die Scholz vor einem Jahr versprach, glaubt in Brüssel, Paris, London und Washington inzwischen kaum noch jemand. Dort sieht man eher eine weitere Selbstverzwergung Deutschlands als den Willen, nicht mehr nur wirtschaftlich die führende Kraft Europas zu sein. Um dieses Image abzustreifen, müsste der Kanzler einmal vorangehen, statt immer nur hinterherzulaufen. Oder zumindest diesen Eindruck glaubhaft vermitteln.

Aber, so ließe sich argumentieren, hilft er mit seiner Zurückhaltung am Ende vielleicht nicht auch, eine Eskalation des Konflikts und damit womöglich einen Dritten Weltkrieg zu verhindern? Denn die Sorge, dass dieses Risiko Realität wird und sich Russlands Aggression im Zweifel auch nuklear gegen Deutschland und Europa richtet, dürfte eines der Hauptmotive für Scholz' Handeln sein.

Die trügerische Sicherheit des Appeasements

Es ist eines der wichtigsten Argumente. Doch es erscheint fragwürdig: Wladimir Putin agiert schon lange nicht mehr rational. Die Hoffnung, dass eine deutsche Appeasement-Politik ihn von einer Eskalation abhalten könnte, ist trügerisch.

Scholz nimmt in Kauf, dass Deutschland immer wieder vorgeführt wird. Von den Briten, die die Lieferung von 14 Kampfpanzern angekündigt haben. Von den Polen, die Leopard 2 senden wollen. Wie peinlich wäre es, wenn Deutschland dafür eine Exportgenehmigung erteilen würde, selbst aber bei seiner Verweigerung bleibt?

Mit der jüngsten Ankündigung wendet sich der Kanzler außerdem vom viel beschworenen Ziel ab, dass sich Europa in Fragen der Sicherheit von den USA endlich emanzipieren muss. Wenn der Kanzler die Rolle Deutschlands nicht dauerhaft schwächen will, müsste er einmal als Erster militärische Unterstützung ankündigen.

Stattdessen wiederholt er nicht zum ersten Mal den gleichen Fehler: zögern und warten, bis andere vorangehen und man selbst am Ende doch noch zustimmt. Und nimmt in Kauf, dass sein neuer Verteidigungsminister beim Treffen auf der US-Militärbasis Ramstein blank dasteht und geschwächt ins Amt geht.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Der Ukraine Support Tracker: https://www.ifw-kiel.de/de/publikationen/data-sets/daten-des-ukraine-support-trackers-17410/
  • Artikel von Timothy Garton Ash: https://www.theguardian.com/commentisfree/2023/jan/18/germany-history-defend-ukraine-zelenskiy
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