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Tagesanbruch: Amerika hat gewählt – und wir erleben die Folgen


Tagesanbruch
Was heute Morgen wichtig ist

MeinungVon Florian Harms

07.11.2018Lesedauer: 7 Min.
Meinung
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Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
Anhänger der Demokraten feiern ihren Sieg in New York.Vergrößern des Bildes
Anhänger der Demokraten feiern ihren Sieg in New York. (Quelle: Andrew Kelly/Reuters-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

E pluribus unum – Aus vielen eines: Dieses stolze Motto steht seit 236 Jahren im Siegel der Vereinigten Staaten von Amerika. Heute müsste dort stehen: Tempi passati. Denn die Einigkeit ist längst passé. Republikaner gegen Demokraten, Arme gegen Reiche, Weiße gegen Schwarze, Weiße gegen Latinos, Ultrareligiöse gegen Atheisten, Städter gegen Landbewohner, Trump-Fans gegen Trump-Verächter: Heute sind die USA ein gespaltenes Land – und das hat Folgen für die Welt. Wir sehen kopfschüttelnd zu, wie ein Präsident, der nur einen Teil seines Landes vertritt, internationale Abkommen aufkündigt und über diplomatische Gepflogenheiten hinwegwalzt, um seinen Anhängern zu gefallen. Der Ausstieg der USA aus dem Pariser Klimaschutzvertrag, die Attacken gegen die Europäische Union und die Nato, die Torpedierung des mühsam ausgehandelten Atom-Abkommens mit dem Iran, die Schmähungen gegen Medien wären nicht zu verstehen ohne diese tiefe Spaltung der Unvereinigten Staaten von Amerika.

Und diese Spaltung zeigt sich heute auch im Ergebnis der Kongresswahl. So wie es am frühen Morgen aussieht, verteidigen die Republikaner zwar die Mehrheit im Senat, verlieren aber die Mehrheit im Repräsentantenhaus an die Demokraten (Ergebnisse, Sieger und Verlierer, Stimmen und Beobachtungen lesen Sie im Liveblog meiner Kollegen Fabian Reinbold und Jonas Schaible). Abseits aller Eilmeldungen, Sondersendungen und Rededuelle bedeutet das im Wesentlichen eines: Die Demokraten können US-Präsident Trump nun stärker kontrollieren. Sie können seiner konfrontativen, teils chaotischen Politik etwas entgegensetzen. Sie können nun mit öffentlichen Anhörungen, Einsicht in interne Unterlagen und möglicherweise auch weiteren Ermittlungsverfahren Einfluss auf seine Regierungsgeschäfte nehmen. Sie könnten alle wichtigen Gesetze blockieren, da diese vom Repräsentantenhaus abgenommen werden müssen. Sie könnten die Parlamentsgremien dominieren – etwa den Geheimdienst- und den Justizausschuss – um Trumps Russland-Verbindungen noch intensiver zu untersuchen. Sie könnten sogar mit einer einfachen Mehrheit ein Amtsenthebungsverfahren gegen Trump anstoßen. Durchsetzen würden sie dieses allerdings kaum, denn da müsste der Senat mit Zweidrittelmehrheit zustimmen, also einschließlich der Republikaner. Das ist die neue Ausgangslage der US-Politik nach dieser Kongresswahl.

Der Kampf zwischen den politischen Lagern im mächtigsten Land der Welt wird sich also in den kommenden zwei Jahren weiter verschärfen. Wir werden weiterhin ein Amerika der Extreme, der Fehden, der Spaltung und wohl auch des wachsenden Hasses erleben.

Es gibt allerdings auch noch das andere Amerika. Das Amerika der Hoffnung, des Aufbruchs, der zivilisierten Debatte und der Solidarität. Dieses Amerika verkörpert Alexandria Ocasio-Cortez, die mit 29 Jahren als jüngste weibliche Abgeordnete in den Kongress einzieht. Dass sie als politisch links gilt, mag weniger bedeutsam sein als dass sie zur Minderheit der Latinos zählt. Diese stellen zwar einen wachsenden Teil der amerikanischen Gesellschaft dar, werden politisch bisher aber nicht angemessen repräsentiert. Das ändert sich nun, zumindest ein bisschen.

Und noch etwas könnte sich ändern: Die Spaltung des US-Kongresses dürfte absehbar dazu führen, dass Amerika sich noch stärker als ohnehin schon mit sich selbst beschäftigt. International kann das negative Folgen haben, etwa wenn die US-Regierung sich noch weniger für den Kampf gegen die Klimakrise oder den weltweiten Hunger interessiert. Es kann allerdings auch dazu führen, dass Washington sich weniger in Krisenherde und die Belange anderer Länder einmischt. Unter diesem Präsidenten wäre das eher eine positive Entwicklung.

WAS STEHT AN?

Männer in blutbeschmierten Kitteln treten Kühe, malträtieren sie mit Elektroschockern so lange, bis sie endlich auf die Schlachtwanne stolpern, stechen sie dann bei vollem Bewusstsein ab: Die Bilder, die uns aus einem Schlachthof in Oldenburg erreichen, gehen an die Grenze des Erträglichen. Der Verein Deutsches Tierschutzbüro hat die grausamen Praktiken mit verdeckter Kamera gefilmt und gestern öffentlich gemacht. Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen den Betrieb wegen, es klingt fast zynisch, “des Verdachts auf Verstoß gegen das Tierschutzgesetz“.

Wenn Sie jetzt denken: Diese Grausamkeit ist hoffentlich ein Einzelfall! Dann muss ich Ihnen sagen: leider nein. Erst vor wenigen Wochen haben die Behörden einen anderen Schlachthof in Bad Iburg stillgelegt. Warum habe ich dieses Thema nicht in der Rubrik “Was war“ einsortiert, sondern bei “Was steht an?“ Weil zu Tierquälereien wie denen in Oldenburg und Bad Iburg immer mehrere Verantwortliche gehören: sicher, zuerst die Besitzer und die Angestellten solcher Höfe. Aber einen Teil der Verantwortung tragen auch wir Kunden, wenn wir im Supermarkt partout die billigste Wurst und das günstigste Schnitzel erwerben wollen. Ja, Biofleisch ist teuer. Aber wer es kauft, kann wenigstens einigermaßen sicher sein, dass für seinen Genuss nicht andere Geschöpfe Höllenqualen erleiden müssen. Womöglich ist auch nicht unbedingt jeden Tag Fleisch auf dem Tisch nötig. Vielleicht mögen Sie ja heute beim Einkauf daran denken. Sie haben die Wahl.

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Selten habe ich so viele Zuschriften bekommen wie zum Tagesanbruch vom Montag, in dem ich schrieb, dass die Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg weiterhin saudi-arabische Offiziersanwärter ausbildet. Wie kann das sein, fragen viele Leserinnen und Leser, wenn Deutschland doch weiß, dass das Regime in Riad für den grausamen Krieg im Jemen mitverantwortlich ist, den Publizisten Jamal Khashoggi ermordet und zahlreiche Journalisten und Menschenrechtler eingekerkert hat?

Ja, wie bitte kann das sein? Diese Frage hat mein Kollege Lars Wienand auch dem Verteidigungsministerium und den verteidigungspolitischen Sprechern der Parteien im Deutschen Bundestag gestellt. Die Antworten erscheinen mir zum Teil ebenso haarsträubend wie die unbekümmerte Haltung der Bundeswehr. Da wird argumentiert, die saudischen Soldaten könnten hierzulande demokratische Werte erlernen und diese irgendwann mit nach Hause nehmen.

Aber die fortgesetzte Militärkooperation signalisiert den Scheichs doch zugleich, dass Deutschland es mit der Empörung über ihre Machenschaften nicht ganz so ernst meint: Dieser Gedanke scheint vielen im Berliner Regierungsviertel nicht gekommen zu sein. Oder er scheint sie zumindest nicht zu stören. Hätte ich heute einen Wunsch frei, er klänge so: Die Herren und vor allem die Dame im Verteidigungsministerium mögen ihre Haltung bitte noch mal überdenken.

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Merz! Merz! MERZ! Würde der CDU-Vorsitz nach der Zahl bestimmt, wie häufig ein Kandidat auf Titelseiten abgebildet und in Nachrichtensendungen genannt wird, hätte der Mann aus dem Sauerland den Chefposten von Deutschlands größter Partei längst sicher. Nun hat der Parteivorstand vor den Chefsessel allerdings einen demokratischen Prozess gesetzt, mögen sich manche Medien in ihren Begeisterungsstürmen für den Kandidaten auch noch so überschlagen. Also müssen alle Bewerber (ja, auch Herr Merz) auf Regionalkonferenzen, in diversen Gremien und schließlich auf dem Parteitag am 7. und 8. Dezember in Hamburg um Zustimmung werben. Von Herrn Merz (und auch vom voraussichtlich chancenlosen Jens Spahn) erfahren wir nun an jeder Ecke, warum sie Chef werden wollen. Von Annegret Kramp-Karrenbauer erfahren wir es heute: Am Vormittag erklärt sich die CDU-Generalsekretärin zu ihren Plänen. Danach können wir die Kandidaten besser vergleichen. Und vielleicht berichten dann auch die Kollegen gewisser Medien etwas ausgewogener. Besonders interessant dabei: Was sind die Hintergründe des Ermittlungsverfahrens gegen den Vermögensverwalter Blackrock, dem Merz als Aufsichtsratschef dient? Welche Rolle spielte die Firma bei den Cum-Ex-Geschäften, die den deutschen Steuerzahler mehr als fünf Milliarden Euro kosteten?

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Apropos Pläne: Die Bundesregierung will heute ihr geplantes Diesel-Paket im Kabinett verabschieden. Hier erfahren Sie, worum es dabei geht.

Apropos Pläne zum zweiten: Mal abgesehen von Streitereien und Personaldiskussionen, welche ihrer politischen Vorhaben hat die große Koalition bisher schon umgesetzt, welche noch nicht? Viel wird an dieser Regierung herumgekrittelt, auch vom notorisch kritischen Tagesanbruch-Autor. Aber ganz so schlecht fällt die Zwischenbilanz knapp acht Monate nach dem Start nicht aus. Die Kollegen der “Zeit“ haben einen Überblick erstellt.

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Bitte schließen Sie die Augen. Und jetzt versetzen Sie sich bitte 30 Jahre zurück in die Vergangenheit: Die sowjetische Armee beginnt ihren Rückzug aus Afghanistan, im Kino läuft Loriots “Ödipussi“, Steffi Graf gewinnt als erste Deutsche alle vier Grand-Slam-Turniere – und im Privatfernsehen läuft eine wunderliche neue Sendung. Da wird ein Rad gedreht, da klopft ein quietschfideler Mann Sprüche, und da deckt eine adrette Frau an einer Wand Buchstaben auf, die nach und nach Worte ergeben. Ja, nun wissen Sie, wovon ich spreche: Heute vor 30 Jahren wurde die erste “Glücksrad“-Folge ausgestrahlt – und Maren Gilzer war als Glücksfee von Anfang an dabei. Was macht sie heute und wie schaut sie auf die damalige Zeit zurück? Mein Kollege Luca Cordes hat mit Frau Gilzer gesprochen und nicht schlecht gestaunt, als diese ihrem damaligen Kompagnon Peter Bond unverblümt Macho-Attitüden vorwarf.

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Wo wir gerade in der Vergangenheit sind: Zu seiner aktiven Zeit war das Skispringen eine der beliebtesten Sportarten Deutschlands – jetzt hofft Martin Schmitt auf die Wiederauferstehung seines Sports. Was traut er seinen Nachfolgern zu, wenn in wenigen Tagen die Saison beginnt? Das hat er meinem Kollegen Florian Wichert erklärt.

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WAS LESEN?

Eine Frau lässt ihr Baby kurz nach der Entbindung im Gebüsch zurück. Eine Mutter ertränkt ihren Säugling. Eine andere schüttelt ihr Kind so stark, dass es an Hirnverletzungen stirbt. Schreckliche Taten, die nicht aus einem Krimi stammen, sondern wirklich so geschehen sind. Was veranlasst Mütter zu so grausamen Handlungen? Meine Kollegin Claudia Hamburger hat es sich von der Kriminalpsychologin Lydia Benecke erklären lassen. Nach der Lektüre war ich betroffen. Aber auch klüger.

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WAS FASZINIERT MICH?

Die USA sind die größte Wirtschaftsmacht der Erde, aber China holt auf, und Deutschland ist natürlich auch stark und… Gähn! Nächstes Thema bitte. Moment! Ganz so schnell lasse ich Sie nicht gehen. Vorher möchte ich Ihnen eine Wette anbieten: Wetten, dass Sie kein einziges Mal gähnen, wenn Sie hier und jetzt knapp zwei Minuten Ihrer Zeit dem Thema widmen, das ich gerade anmoderiert habe? Top, die Wette gilt!

Ich wünsche Ihnen einen aufgeweckten Tag.

Ihr Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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