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Tagesanbruch – Kompromiss beim Klimapaket: Ach, dieser Klima-Kokolores


Was heute wichtig ist
Ach, dieser Klima-Kokolores

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 17.12.2019Lesedauer: 7 Min.
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Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
Strandbesucher betrachten im Smog die Skyline von Sydney. Der wochenlange Qualm stammt von den verheerenden Buschfeuern, die durch die klimabedingten Dürren begünstigt werden.Vergrößern des Bildes
Strandbesucher betrachten im Smog die Skyline von Sydney. Der wochenlange Qualm stammt von den verheerenden Buschfeuern, die durch die klimabedingten Dürren begünstigt werden. (Quelle: imago images)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Das Diminutiv ist in der Welt der Politik ein seltener Gast. Zwischen großen Gesten und großen Worten hat die grammatikalische Verkleinerungsform einen schweren Stand. Als Schwabe mag man das beklagen, als Wort muss man’s ertragen: Hinten raus bleibt alles nüchtern. Gestern aber durfte sich das Diminutiv endlich einmal in voller Pracht dem Publikum präsentieren, indem es gleich im Doppelpack auflief. Der Einsatz der Bundesregierung zur Rettung des Weltklimas hat im Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat eine bemerkenswerte Steigerung erfahren: Aufgepumpt durch ein paar Hier-noch-was-und-da-noch-ein-Bisschen, plustert sich das viel gescholtene Klimapäckchen zum Klimapäckle auf. Nach der gescheiterten Klimakonferenz von Madrid ist das geradezu ein spektakulärer Erfolg. Oder, um die Sprache der Politik zu bemühen: "exzellente Arbeit", wie es Kanzlerin Merkel auszudrücken beliebte. Etwas nüchterner betrachtet wirken die großen Adjektive eher fehl am Platz:

Der CO2-Preis im Verkehr und bei Gebäuden soll zum 1. Januar 2021 nun mit 25 statt 10 Euro pro Tonne einsetzen. Damit verteuert sich Benzin um 7,5 Cent pro Liter. Bis 2025 erhöht sich der CO2-Preis schrittweise auf 55 Euro (statt 35), ab 2026 liegt er zwischen 55 und 65 Euro. In manchen Ohren mag das groß klingen, de facto ist es klein. Ein politisches Diminutiv. Wissenschaftler sagen: So wird die gewünschte Wirkung verfehlt. Stattdessen bräuchte es einen Preis von mindestens 50, später 80 Euro pro Tonne, wirklich wirksam wäre er oberhalb von 100 Euro. Das Geld könne den Bürgern natürlich an anderer Stelle erstattet werden.

In sehr viel kleinerem Maßstab hat sich das auch die Bundesregierung so gedacht und will daher die Pendlerpauschale erhöhen. Nach der Korrektur der Grünen im Bundesrat soll sie nun für längere Strecken bei 38 (statt 35) Cent pro Kilometer liegen. Also 3 Cent mehr. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) wählte dafür die Formulierung "noch eine Schippe draufgelegt".

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Trotzdem will die Regierung durch den höheren CO2-Preis Geld einnehmen – und dieses dafür verwenden, die EEG-Umlage zu senken. Hinter dem bürokratischen Begriff verbirgt sich eine Subvention für den Ausbau erneuerbarer Energien, die wir alle mit der Stromrechnung bezahlen. Im Jahr 2021 soll sie um insgesamt 5,4 Milliarden Euro reduziert werden (derzeit beträgt sie rund 33 Milliarden), dann schrittweise weiter sinken. Kommen Sie bei all den Zahlen noch mit? Gut, dann noch schnell dieses Detail:

Ab dem kommenden Jahr senkt die Bahn ihre Preise, damit wir alle öfter Zug und seltener Auto fahren oder fliegen: Im Fernverkehr werden dann ebenso wie im Nahverkehr nur noch 7 statt 19 Prozent Mehrwertsteuer fällig, auch die Grundpreise der Tickets sollen sinken. Sicherlich ist nichts dagegen einzuwenden, dass Bahn fahren hierzulande endlich erschwinglicher wird. Das allein reicht allerdings nicht, um den Schienenverkehr attraktiver zu machen. Meine Kollegen Tim Blumenstein und Nathalie Rippich haben notiert, was noch nötig wäre.



Nun soll man mit Kritik nicht vorschnell sein. Zu den politischen Prozessen unseres Landes gehört es, dass die Bundesregierung die Interessen aller Bürger im Blick hat und die Regierungsfraktionen des Bundestags bei zustimmungspflichtigen Gesetzen mit den Ländervertretern im Bundesrat Kompromisse schließen. Auch ist ein entschlossener Klimaschutz nichts, was in der Bevölkerung auf ungeteilte Begeisterung stößt. Viele Leute empfinden schon die oben genannten Beschlüsse als übertrieben, manche meinen, dass sich an der Erderhitzung eh nichts ändern lasse, und ein paar Engstirnige halten gar den menschengemachten Klimawandel per se für Kokolores. Das ist ihr gutes Recht, jeder darf seine Meinung haben. Auch wenn sie Kokolores ist.

Der Punkt ist nur: Die Klimakrise entzieht sich herkömmlichen politischen Koordinaten, sie ist mit den Instrumenten des Hier-noch-was-und-da-noch-ein-Bisschens nicht zu bewältigen. Unsere Welt verändert sich rasant, und die Wirklichkeit ist schlimmer, als es die meisten Menschen wahrhaben wollen. Die Antwort darauf kann und darf kein Diminutiv sein. Sie muss mutig, groß und entschieden ausfallen – und möglichst viele Bürger einbeziehen. Denn was wir derzeit erleben, ist gescheiterte Kommunikation: Die Regierenden in Bund und Ländern handeln hinter verschlossenen Türen ein Kompromisschen aus, loben sich dann wortreich selbst dafür – während die Demonstranten auf den Straßen ihre Maximalforderungen skandieren. So reden beide Lager aneinander vorbei, so wird kostbare Zeit vergeudet und unsere Zukunft verspielt.

Wie weit sind wir bereit zu gehen, um das Klima wirklich effektiv zu schützen? Welche Einschränkungen würde die Mehrheit der Bürger in Kauf nehmen – und welche auf keinen Fall? Wie verändern sich Sichtweisen, wenn die Folgen der Umweltkrise wirklich allgemein bekannt sind? Die Antworten auf diese Fragen sind so groß, dass sie auch in einer repräsentativen Demokratie nicht allein von Parteien, Ministern, einer Kanzlerin oder Umfrageinstituten beantwortet werden können. Es braucht neue demokratische Foren – zum Beispiel eine Klima-Bürgerversammlung (hier mehr dazu). Ja, das wäre ein erheblicher Aufwand. Aber große Probleme brauchen große Lösungen. Mit Diminutiven jedenfalls kommen wir aus dieser Krise nicht heraus.


Apropos große Probleme: Es gibt Situationen, in denen Menschen die Maske fallen lassen. Der quer auf dem Gehweg geparkte E-Roller? Niemand, der schon einmal sein Fahrrad abgestellt hat, muss lernen, wie man so etwas richtig macht: schön an der Seite. Selbst alkoholbetankt ist wirklich jedem klar, dass Querparken gar nicht geht. Aber weil der Roller einem nicht gehört und gerade niemand schaut, offenbart sich ein Egoismus, den die Erziehung eigentlich hätte zügeln sollen. Nichts anderes erleben wir bei rücksichtslosen Dränglern auf der Autobahn: ungebremste Selbstsucht, die andere in Gefahr bringt. Und wir finden es auf der politischen Bühne vor, auch auf internationalem Parkett.

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Es ist schon richtig: Staaten haben keine Freunde, sondern Interessen. Trotzdem gibt es Momente, in denen die Maske fällt. Beispielsweise auf der Klimakonferenz, die sich gerade in Madrid zu ihrem Ende gequält hat. Dort haben die USA nicht nur die Position ihres Präsidenten zur Geltung gebracht, dass das mit dem Klima alles Quatsch sei und ein bisschen mehr Wärme noch keinem geschadet habe. Von dieser haarsträubenden Haltung einmal abgesehen, drückten frühere US-Regierungen unter Obama oder Clinton ihren Standpunkt ebenfalls knallhart durch. Doch in Madrid haben Donald Trumps Vertreter einen Prozess sabotiert, an dem sie selbst nicht länger teilnehmen werden. Die USA werden das Pariser Klimaabkommen verlassen, das ist beschlossene Sache. Aber warum dann auch noch dem Rest der Welt einen Strich durch die Bemühungen machen?

Natürlich darf man dahinter auch Interessenpolitik vermuten. Wenn der Rest der Welt sich erfolgreich auf Maßnahmen zur Lösung der Klimakrise einigt, dann stehen die Amerikaner zunehmend isoliert da. Nicht nur dürfte das den Widerstand gegen Trumps Kurs innerhalb der USA stärken, erst recht im bevorstehenden Wahlkampf. Genauso könnten rund um den Globus nach und nach regulatorische Hürden entstehen, die Waren aus dem Land der unbegrenzten Verschmutzungsrechte von lukrativen Absatzmärkten ausschließen. Aber außer der Jagd nach dem schnöden Mammon sind auch noch andere Kräfte am Werk: Selten hat eine Regierung unmoralische Egomanen und zweifelhafte Gestalten so angezogen wie das Weiße Haus unter Donald Trump. Die Liste ehemaliger Kabinettsmitglieder, Berater und hochrangiger Mitarbeiter, die aufgrund von Skandalen zurücktreten, sich vor Gericht verantworten oder ins Gefängnis einziehen mussten, ist zu lang für den Tagesanbruch.

Auch politische Beschlüsse aus dem Weißen Haus sind mitunter so grotesk, als wolle man dort die Rolle des Bösen geradezu vorsätzlich für sich reklamieren. Abgasgrenzwerte, die selbst die Automobilhersteller lieber behalten würden? Abschaffen! Sicherheitsvorschriften auf Bohrinseln, eingeführt nach einer Brandkatastrophe mit vielen Toten und großflächiger Verseuchung des Golfs von Mexiko? Weg damit! Regeln, damit Wale nicht in Fischernetzen verenden? Wer braucht denn das? Wundern müssen wir uns darüber nicht, schließlich hielt man es in dieser Regierung für angemessen, an der Grenze zu Mexiko systematisch Kinder von ihren Eltern zu trennen und in Käfige einzusperren.

Politiker haben oft kein gutes Image, gelten als kalkulierend, machthungrig, nur auf Posten und Karriere bedacht. Und natürlich ist Politik ein hartes Geschäft: Es wird ausgeteilt, man muss einstecken können, und ohne Selbstvermarktung geht es nicht. Trotzdem gibt es Grenzen, und auch im politischen Betrieb halten die meisten Menschen sie ein. Dass das funktioniert – und nicht der rücksichtsloseste Demagoge sich ungestraft den Weg an die Spitze planiert –, liegt an uns, den Wählern. Wir sorgen dafür, dass die Überschreitung roter Linien Konsequenzen hat. Wo das nicht mehr geschieht, wie in Trump-Land, geht in der Chefetage jeglicher Anstand über Bord. Es ist also tatsächlich überragend wichtig, dass wir den Konsens über die Grenzen auch unter uns im Alltag aufrechterhalten. Dafür gibt es kein Gesetz. Und eigentlich braucht man es auch nicht. Schließlich wissen wir alle, wie man einen Roller richtig parkt.


WAS STEHT AN?

Innenminister Horst Seehofer, Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang und Bundeskriminalamt-Chef Holger Münch erklären heute in Berlin, wie sie Deutschlands Sicherheitsbehörden neu aufstellen wollen, um den Rechtsextremismus zu bekämpfen.

In London tritt das frisch gewählte britische Parlament zusammen. Vorsitzender ist der exzentrische Brexit-Enthusiast Jacob Rees-Mogg, Spitzname "Lord Hochnase".

In Paris wird die dritte Großdemonstration gegen die Rentenreform von Präsident Emmanuel Macron erwartet. Auch moderate Gewerkschaften schließen sich nun dem Protest an.

In Straßburg stellt die EU-Kommission ihren Bericht zur Wachstumsentwicklung in der Eurozone vor.

Die Organisation Reporter ohne Grenzen veröffentlicht ihre Jahresbilanz zur Pressefreiheit. Hier sind die Ergebnisse.


WAS LESEN UND ANSCHAUEN?

In Deutschland darf jeder seine Meinung sagen, und das ist gut so. Weniger gut ist, dass sich viele Debatten nur noch in Filterblasen drehen; man redet übereinander statt miteinander. Schert dann doch mal jemand aus und provoziert mit einer abweichenden Meinung, ist der Aufschrei groß. So stand plötzlich der Kabarettist Dieter Nuhr im Feuer, als er die Umweltaktivistin Greta Thunberg aufs Korn nahm. Unser Videochef Martin Trotz meint: Natürlich sind Witze über "Fridays for Future" und Greta Thunberg legitim – aber Dieter Nuhrs Warnung vor einer angeblich eingeschränkten Meinungsfreiheit ist dumm.


Kleopatra war die berühmteste Herrscherin der Antike, sie starb nach einer verlorenen Schlacht – aber wie? Beging die Pharaonin Suizid mittels eines Kobra-Bisses, oder half ihr römischer Gegenspieler nach? Unser Kriminalreporter Dietmar Seher hat sich diesmal eines sehr alten Falls angenommen.


WAS AMÜSIERT MICH?

Die Deutsche Bahn hat eine Spitzenidee, wie sie endlich attraktiver wird.

Ich wünsche Ihnen einen spitzenmäßigen Tag. Herzliche Grüße

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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