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Robert Habeck: Erklären statt Schweigen – was Olaf Scholz von ihm lernen kann


Tagesanbruch
Die Anderserklärer

MeinungVon Camilla Kohrs

Aktualisiert am 28.04.2022Lesedauer: 6 Min.
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Annalena Baerbock und Robert Habeck: Erklären statt Schweigen.Vergrößern des Bildes
Annalena Baerbock und Robert Habeck: Erklären statt Schweigen. (Quelle: F. Kern/Future Image/imago-images-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

es ist ein bemerkenswertes Video, das Robert Habeck gestern ins Netz stellen ließ. Am Tag zuvor hatte der Wirtschaftsminister verkündet, Deutschland könne innerhalb kurzer Zeit auf russisches Öl verzichten. Die Ansage machte Schlagzeilen, hatte doch die Bundesregierung noch im März ein Ölembargo gegen Russland entschieden abgelehnt.

Nun erklärt Habeck Punkt für Punkt, warum sich die Lage geändert habe. Deutschland habe seine Abhängigkeit von 35 auf 12 Prozent reduziert. Zwei von drei großen Problemen habe man aus dem Weg geräumt, jetzt stehe man vor dem letzten: der Raffinerie im brandenburgischen Schwedt, die vom russischen Staatskonzern Rosneft betrieben wird und deswegen natürlich kein Interesse habe, sich nach Alternativen zu russischem Öl umzuschauen. "Also, wenn ich da anrufe und sage: 'Hallo, was wollt ihr eigentlich tun, um unabhängig von russischem Öl zu werden', dann nehmen die den Hörer gar nicht ab." Er wählt nicht nur eine einfache Sprache – auch das Video ist betont locker gehalten. Die Kamera schwenkt hin und her, es wirkt wie einfach mal schnell draußen aufgenommen. (Hier finden Sie das Video und mehr dazu).

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Habeck bedient ganz einfache Regeln der Kommunikation: Wo liegen die Probleme, wo die Lösungen, welche Fortschritte gibt es? Die zwölf Prozent verbleibende Abhängigkeit seien noch immer viel, "aber nicht so viel, dass es unmöglich wäre, es aufzufangen", so Habeck. "Es würde sicherlich zu regionalen Engpässen führen, es würde sicherlich zu höheren Preisen führen, es würde möglicherweise auch zu regionalen Unterbrechungen führen." Auch zu der Situation der Gas- und Kohle-Abhängigkeit gibt er ein Status-Update. Ganz so als wären sein Ministeramt und die damit verbundenen Aufgaben eine Reise, auf die er den Bürger mitnehmen will.

Besonders auffällig: Er wählt eine direkte und nüchterne Ansprache, verzichtet auf leere Worthülsen. Ganz im Gegensatz zu anderen Regierungsmitgliedern, allen voran Kanzler Olaf Scholz. Vielleicht erinnern Sie sich an seine Pressekonferenz in der vergangenen Woche. In Deutschland tobte eine Debatte über die Lieferungen von schweren Waffen, und der Druck war immens – auch dank des Dreiergespanns aus Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), Anton Hofreiter (Grüne) und Michael Roth (SPD), die Scholz in Talkshows zum Handeln aufforderten.

Als der Kanzler am Dienstag vergangener Woche dann in der kurzfristig anberaumten Pressekonferenz ans Mikrofon trat, wirkte er bereits wie ein Getriebener. Dann folgten fast nur Floskeln ("Wir spüren große Wut auf den russischen Präsidenten und diesen sinnlosen Krieg"), längst Bekanntes ("Unser Handeln wird von diesen Prinzipien getragen größtmögliche Unterstützung für die Ukraine, aber keine Beteiligung der Nato an dem Krieg") und schwammige Aussagen zum eigentlichen Thema der Debatte, der Lieferung schwerer Waffen. Selbst als ein Journalist die Nachfrage stellte: "Herr Bundeskanzler, ich habe noch nicht genau verstanden, ob Deutschland nun schwere Waffen liefern wird oder nicht", gab es keine konkrete Antwort. Dafür erklärte Scholz drei Tage später in einem Interview mit dem "Spiegel" (Bezahlschranke) seine Politik mit klareren Worten.

Verstehen Sie mich nicht falsch, natürlich muss ein Bundeskanzler die Zeit haben, seine Entscheidungen nach bestem Wissen und Gewissen zu treffen, das Pro und Kontra abwägen. Doch macht auch, verzeihen Sie mir diese Floskel, der Ton die Musik. Scholz versucht sich an der Merkel'schen Methode: lange abwarten, vage bleiben. Ist eine Entscheidung dann gefällt, ist sie ganz ohne Zweifel die richtige. Und wird sie später revidiert, wird das nicht groß erklärt (eine berühmte Ausnahme bei Ex-Kanzlerin Merkel war die sogenannte Osterruhe 2021, vielleicht erinnern Sie sich). Für Scholz geht diese Methode allerdings nicht auf: Der Kanzler wirkt stets in die Defensive gedrängt, reagiert auf Kritik dünnhäutig.

Besonders deutlich macht das der Kontrast zu den Ministern Habeck und Annalena Baerbock. Denn auch die Außenministerin ging gestern in die Offensive. In ihrer Regierungserklärung vor dem Bundestag griff sie die Kritik – Deutschland liefere nicht genug Waffen – von vorneherein auf und sagte: "Ich möchte hier einmal (…) deutlich machen, was wir geliefert haben, ohne jetzt zu stark ins Detail zu gehen: Tausende Panzerfäuste, Flugabwehrraketen Stinger, Fliegerfäuste Strela, im zweistelligen Millionenbereich Munition, Bunkerfäuste, Maschinengewehre, Panzerabwehrrichtminen, im sechsstelligen Bereich Handgranaten, Sprengladungen." Zudem sei, als es keine eigenen Bestände mehr gegeben habe, eine Industrieliste aufgelegt worden, mit weiteren Panzerminen und Artilleriemunition (mehr dazu hier).

Sie erklärt auch, weshalb sich die Bundesregierung bei dem Thema bedeckt gehalten habe. "In einem Krieg, der mit allen Regeln, auf die wir uns mal verständigt haben, bricht, da kann man nicht voraussehen: Rational müsste das russische Regime dann Folgendes tun", sagte sie. Das habe den Vorteil gehabt, dass die Lieferorte geheim waren. Sie wisse aber auch, dass das international zu Irritationen geführt habe.

Vielleicht geht es Ihnen wie mir. Dass in diesen unsicheren Zeiten Politiker wie Baerbock oder Habeck nicht nur ihre Politik transparent machen, sondern auch die Dilemmata, die ihre Entscheidungen mit sich bringen, halte ich für wichtig. Das ist kein Ausdruck von planloser Politik, sondern genau das Gegenteil. Die Welt ist eben kein Ort von "Richtig" und "Falsch". Einmal getroffene Entscheidungen können sich schnell überholen. In Extremsituationen, wie jetzt im Ukraine-Krieg, sind auch die Politiker mit Rechnungen konfrontiert, die sehr viele Unbekannte enthalten. Habeck sagte etwa in seinem Video zu einem möglichen Ölembargo, dass er noch vor zwei Monaten der Meinung gewesen wäre: "Oje, das hält Deutschland kaum aus. Man weiß gar nicht, was dann passiert." Nun aber würde er das nicht mehr sagen.

Nun haben Baerbock und Habeck gleich mehrere Vorteile gegenüber den Kollegen in der Kanzlerpartei SPD. Sie setzen schon lange auf diese Art der politischen Kommunikation, sind längst darin geübt. Was das Kalkül dahinter ist, analysierten meine Kollegen Johannes Bebermeier und Fabian Reinbold kürzlich. Habeck tue das "natürlich nicht allein aus reiner Herzensgüte oder um der Wahrheit willen. Er tut es auch, weil es für ihn funktioniert, ganz persönlich", schrieben sie. "Habeck, der Quereinsteiger, ist auf diese Weise groß geworden. Als Antipolitiker, zumindest was seine Sprache und sein Auftreten angeht."

Zudem sind die beiden Minister auch nicht Teil der Partei, die die nun als gescheitert geltende Russlandpolitik lange aktiv mitgestaltet hat.

Und doch ist es auch für einen grünen Wirtschafts- und Klimaschutzminister nicht einfach, neue Kohle- und Ölimportwege zu rechtfertigen.

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Es war Kanzler Olaf Scholz, der im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg das Wort "Zeitenwende" prägte. Er täte gut daran, diese auch in Bezug auf seine Kommunikation einzuläuten – mit weniger Floskeln und mehr Klartext.


Die Termine

Der Bundestag debattiert heute ab 9 Uhr unter anderem über Waffenlieferungen an die Ukraine, die geplante Abschaffung der Umlage für erneuerbare Energien beim Strompreis und die Einmalzahlung an Bedürftige.

Olaf Scholz ist zu seiner ersten Asienreise als Bundeskanzler aufgebrochen und trifft sich heute in Japan mit dem Ministerpräsidenten Fumio Kishida. Das Land zählt zu den führenden demokratischen Wirtschaftsmächten, zur G7-Gruppe, deren Vorsitz Deutschland in diesem Jahr innehat. Es wird ein kurzer Besuch: Nach nur 20 Stunden geht es wieder zurück.

Nach seinem Besuch in Moskau ist UN-Generalsekretär António Guterres nun in die Ukraine gereist. Heute will er den Präsidenten Wolodymyr Selenskyj treffen und die vor Kurzem noch heftig umkämpften Orte Butscha, Irpin und Borodjanka besuchen.


Was lesen?

Ein Städtchen in Brandenburg wird zum Symbol: Die Raffinerie in Schwedt, die Wirtschaftsminister Robert Habeck in seinem Video (s. o.) thematisiert, ist engstens mit Russland verbunden – und versorgt große Teile der Republik mit Benzin. Meine Kollegen Nele Behrens und Fabian Reinbold gehen der Frage nach, ob die Abkopplung gelingen kann.


Mit der neuen Phase im Ukraine-Krieg vollziehen die USA einen heiklen Strategiewechsel. Russland dauerhaft zu schwächen, ist jetzt das erklärte Ziel. Über die Hintergründe berichtet unser Washington-Korrespondent Bastian Brauns.


Russland liefert kein Gas mehr nach Polen und Bulgarien. Eine neue Eskalation Putins? Die Nervosität steigt auch hierzulande, berichtet meine Kollegin Lisa Becke.


Was amüsiert mich?

Morgen schreibt wieder Florian Harms für Sie. Ich wünsche Ihnen einen sonnigen Donnerstag.

Ihre

Camilla Kohrs
Redakteurin Politik/Panorama
Twitter: @cckohrs

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Mit Material von dpa.

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