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Beihilfe zum Mord: 101-jähriger KZ-Wachmann zu fünf Jahren Haft verurteilt


Wegen Beihilfe zum Mord
101-jähriger ehemaliger KZ-Wachmann verurteilt

  • Josephin Hartwig
Von Josephin Hartwig, Brandenburg an der Havel

Aktualisiert am 28.06.2022Lesedauer: 3 Min.
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Der Angeklagte: Josef S. wird Beihilfe zum Mord in 3.518 Fällen vorgeworfen.Vergrößern des Bildes
Der Angeklagte: Josef S. wird Beihilfe zum Mord in 3.518 Fällen vorgeworfen. (Quelle: Fabian Sommer/dpa)

Beihilfe zum Mord in 3.518 Fällen: Das Landgericht Neuruppin hat einen 101-jährigen ehemaligen KZ-Wachmann für schuldig befunden. Der Richter wurde deutlich.

Ein ehemaliger Wachmann des Konzentrationslagers Sachsenhausen ist in Brandenburg zu fünf Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden. Das Landgericht Neuruppin sprach den 101-jährigen Josef S. am Dienstag in Brandenburg an der Havel der Beihilfe zum Mord in Tateinheit mit Beihilfe zum versuchten Mord schuldig. Mit dem Strafmaß folgten die Richter der Forderung der Staatsanwaltschaft.

Josef S. sei bewusst gewesen, was im Konzentrationslager Sachsenhausen vor sich ging, begründete der Vorsitzende Richter Udo Lechtermann das Urteil. Weil er nicht eingegriffen habe, habe er die Tötungsmaschinerie unterstützt. "Ohne die Tätigkeit der Wachleute hätten die Morde so nicht stattfinden können." Sie sorgten für den reibungslosen Ablauf der Tötungsmaschinerie, erklärte der Richter.

"Wir haben so viele Indizien gefunden, die alle auf Josef S. hindeuten", so Lechtermann. Alle Zweifel seien ausgeräumt worden, deshalb sei man zu diesem Urteil gekommen. "Alles andere wäre lebensfremd."

Beihilfe zum Mord in 3.518 Fällen

S. war wegen Beihilfe zum Mord an 3.518 Menschen angeklagt worden. Er hatte stets bestritten, zwischen 1942 und 1945 im Konzentrationslager Sachsenhausen beschäftigt gewesen zu sein. Die Staatsanwaltschaft stützte sich allerdings auf Dokumente zu einem SS-Wachmann mit dem Namen, dem Geburtsdatum und dem Geburtsort des Angeklagten.

Sachverständige hatten im Laufe des Prozesses zahlreiche Unterlagen und Bilder zusammengetragen. Daraus ergebe sich folgendes Bild, so Richter Lechtermann: "Was ihn veranlasste, der Armee beizutreten, kann nur gemutmaßt werden." Er habe wohl Vorteile für sich und seine Familie gesehen. Es könne sein, dass er gezielt angeworben wurde. "Aber wir wissen es nicht." S. war im Wachbataillon der SS. Der Einsatz sei nahezu lückenlos dokumentiert.

Der Richter sprach ausführlich über die Abläufe im Lager, die Tötungsarten und die Regelungen. Er erzählte von den überfüllten Baracken, dem Hunger, den Appellen der Gefangenen und den furchtbaren Umständen, unter denen die Häftlinge bis zu ihrem Tod in dem Lager litten. "Bei einem Fluchtversuch wurde man an den Galgen gehangen, auf dem Appellplatz", so Lechtermann. Der Richter rezitierte Erlebnisse von Überlebenden, die im Prozess ausgesagt hatten.

Richter: S. hätte sich versetzen lassen können

Der Angeklagte hatte zu Beginn des Verhandlungstags etwas Unverständliches gemurmelt. Als das Urteil verkündet wurde, ließ er keine Regung zu, nahm die Begründung des Richters fast teilnahmslos hin, blieb still.

Richter Udo Lechtermann sprach Josef S. nach den Ausführungen noch einmal direkt an. "Sie haben drei Jahre lang dabei zugesehen, wie Tausende Menschen deportiert und ermordet wurden. Das hat sie offenbar völlig kaltgelassen." Es sei nicht so gewesen, als habe S. nicht andere Möglichkeiten gehabt, sich etwa an die Front versetzen zu lassen.

Bilder und Erzählungen werden ihn bis an sein Lebensende begleiten

Eine angemessene Strafe gebe es nicht, das hätten die Nebenkläger deutlich gemacht. Es könne nicht in Worte gefasst werden. "Ihnen ist aber zu verdanken, dass die Opfer ein Gesicht bekamen." Ihr Schmerz dauere bis heute fort, er bestehe lebenslänglich. Die meisten Täter seien in ein normales Leben zurückgekehrt. Für die Opfer sei das nicht möglich.

Die Aussagen seien jedoch nicht von Rache geprägt. Das habe das Gericht beeindruckt. Berücksichtigt wurde, dass der Täter noch sehr jung gewesen war. Sein hohes Alter und die hohe Strafempfindlichkeit wirkten strafmildernd. Der Prozess sei für den Angeklagten körperlich und psychisch sehr anstrengend gewesen. "Die Bilder und Erzählungen werden ihn bis an sein Lebensende begleiten."

"Die Chance hat er vertan"

Es sei auffällig gewesen, wie der Angeklagte reagiert habe, als Sachverständige Bilder von Kameraden gezeigt hätten. Er habe sich also schon erinnert. Die Kammer betrachtet die fünf Jahre Freiheitsstrafe als angemessen. Eine noch geringere Strafe wäre der Schuld des Angeklagten nicht gerecht geworden.

Was bleibe nach einem Verfahren wie diesem? "Die Chance, wenigstens einen kleinen Teil der Schuld hier abzutragen, die hat er vertan", so Lechtermann. Ein Eingeständnis der Schuld, eine Entschuldigung oder wenigstens ein Anzeichen von Bedauern habe es nicht gegeben.

Seit Oktober 2021 war gegen S. verhandelt worden. Einige KZ-Überlebende und auch Angehörige hatten ausgesagt und das Grauen im KZ Sachsenhausen geschildert. Der Prozess musste wegen des Gesundheitszustands des Angeklagten mehrmals unterbrochen werden. S. musste sich im Krankenhaus behandeln lassen. Aus organisatorischen Gründen fand der Prozess in Brandenburg an der Havel in einer Sporthalle statt. Er wurde zu Dokumentationszwecke aufgezeichnet. Es wird wohl einer der letzten dieser Art gewesen sein.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Prozess gegen Josef S. am 28. Juni 2022 in Brandenburg an der Havel
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