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USA nach Gerichtsentscheidung: Erst Abtreibungsverbot – und dann?


Rolle rückwärts in den USA
Erst Abtreibungsverbot und dann?

dpa, Julia Naue

Aktualisiert am 26.06.2022Lesedauer: 4 Min.
Demonstration in Los Angeles, USA: Aktivisten protestieren gegen das Urteil des Obersten Gerichtshofs zur Abtreibung.Vergrößern des BildesDemonstration in Los Angeles, USA: Aktivisten protestieren gegen das Urteil des Obersten Gerichtshofs zur Abtreibung. (Quelle: Keith Birmingham/The Orange County Register/ap-bilder)
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Das in den USA gekippte Abtreibungsrecht sorgt für Entsetzen. Doch es könnte nur der erste Schritt gewesen sein.

Geschrei. "Wir wollen keinen Gottesstaat", brüllt ein Mann vor dem Supreme Court – dem Obersten Gericht der USA. Ein anderer mit einem Schild, auf dem "Jesus rettet" steht, brüllt zurück. Die Stimmung ist aufgeheizt. Kurz zuvor hat der Supreme Court das Recht auf Abtreibung gekippt. Im "Land der unbegrenzten Möglichkeiten", das lange Zeit wie kaum ein anderes für Freiheit stand, sind Schwangerschaftsabbrüche nun in etlichen Bundesstaaten verboten. Eine Zäsur.

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Einer der Richter des Supreme Court rief offen dazu auf, nun auch die Rechte auf sexuelle Freiheit oder Verhütung zu überdenken. Im Jahr 2022. Was völlig absurd klingt, ist für viele eine reale Angst. Das liegt am Supreme Court. Und einer republikanischen Partei, die weit nach rechts gerückt ist.

Ein seltener Fall

Mit seiner Entscheidung vom Freitag hat das höchste US-Gericht ein Urteil außer Kraft gesetzt, das fast 50 Jahre lang galt. Die Entscheidung Roe v. Wade von 1973 hatte zuvor das Recht auf Abtreibung sichergestellt. Es ist eines der ganz seltenen Male in der amerikanischen Geschichte, dass das Gericht ein bereits als verfassungsmäßig erklärtes Recht wieder zurücknimmt – und das gegen die Mehrheitsmeinung der Bevölkerung.

So einschneidend die Entscheidung ist, so wenig überraschend kommt sie. Denn der Supreme Court hat eine konservative Mehrheit von sechs zu drei – mit mehreren Richtern, die als erzkonservativ und sehr religiös gelten.

Die Begründung des Supreme Court

Viele von ihnen legen die rund 230 Jahre alte Verfassung des Landes so aus, wie sie zum Zeitpunkt ihres Erlasses von ihren Verfassern gemeint gewesen sein könnte. Mit dieser Begründung ist nun auch das Recht auf Abtreibung gefallen, denn es steht so – kaum überraschend – nicht in der Verfassung.

"Das Recht auf Abtreibung beruhte auf dem Grundsatz einer lebendigen Verfassung, die sich weiterentwickelt, um Freiheit und Gleichheit zu erweitern", schreibt die "Washington Post". Auf diesem Grundsatz beruhen auch zahlreiche andere Rechte, die heute als elementar gelten. Wenn man der Logik der aktuellen Entscheidung also folge, seien etliche Grundsatzentscheidungen falsch, schrieb die Zeitung.

Spürbarer Rechtsruck

Laut Fachleuten ist das Gericht aktuell so sehr nach rechts gerückt wie selten zuvor. Ein ausgleichendes Zentrum fehlt. Maßgeblich dazu beigetragen hat Ex-Präsident Donald Trump, der in seiner Amtszeit gleich drei Richterposten besetzte. Dem Institut Gallup zufolge liegt die Unterstützung für das Gericht in der Bevölkerung auf dem niedrigsten Stand seit Beginn der Befragung Anfang der 70er-Jahre.

Die Entscheidung gegen das Recht auf Abtreibung ist nur ein Beispiel dafür, wie die Richter in den USA die Uhren zurückdrehen – oder in welchem Maße sie es noch könnten. Gerade erst hat der Supreme Court das Recht auf das Tragen einer Waffe in der Öffentlichkeit deutlich ausgeweitet. Und damit ein mehr als 100 Jahre altes Gesetz aus New York gekippt.

Homosexualität auf der Agenda

Im Herbst befasst sich das Gericht mit der Frage, ob bestimmte Unternehmen aus religiösen Gründen ihre Dienste gleichgeschlechtlichen Paaren verwehren können. Auf der Agenda steht auch ein Fall, der sich damit beschäftigt, ob Hochschulen bei ihrem Auswahlprozess Minderheiten besonders berücksichtigen dürfen. Das Gericht in seiner aktuellen Zusammensetzung könnte bei diesen Fällen nun ganz anders entscheiden als bei sehr ähnlichen Fällen in der Vergangenheit. Es hätte diese Fälle auch nicht annehmen müssen.

Die Richterinnen und Richter des Supreme Court werden auf Lebenszeit ernannt. Ein US-Präsident kann mit der Bestimmung der Kandidaten die Rechtsprechung und damit das gesellschaftliche Klima also weit über seine Amtszeit hinaus beeinflussen. Trump hatte diese Macht voll ausgenutzt – doch auch seine Partei setzt vielerorts auf ultrakonservative bis diskriminierende Politik. In zahlreichen Bundesstaaten etwa haben die Republikaner die Rechte der LGBTQI-Gemeinschaft eingeschränkt. Die englische Abkürzung steht für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans-Menschen, queere sowie intergeschlechtliche Menschen.

Wie in den 1950er-Jahren

Bei einem Parteitag der Republikaner in Texas fand sich jüngst in einem zur Abstimmung gestellten Resolutionsdokument Folgendes: "Homosexualität ist eine abnormale Lebensweise." Und nicht zum ersten Mal steht im Parteiprogramm der Konservativen ein Satz, der anmutet wie aus den 1950er-Jahren: "Wir fordern die Legislative des Bundesstaates auf, ein Gesetz zu verabschieden, das den Unterricht in Sexualerziehung, sexueller Gesundheit, sexueller Entscheidungsfreiheit oder sexueller Identität in jeder öffentlichen Schule in jeder beliebigen Klassenstufe verbietet."

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Trump, der öffentlich mit dem Gedanken spielt, erneut für das höchste Staatsamt zu kandidieren, schlägt ähnliche Töne an. Er droht Lehrern, die "sexuelle Propaganda" – was auch immer das genau sein soll – verbreiteten, mit Ermittlungen. In einer fairen Welt, so sagte er neulich bei einem Auftritt in Nashville, würden solche Lehrer aus dem Klassenzimmer entfernt. Das ist keine Fantasie. Im republikanisch regierten Florida gibt es seit Frühjahr ein Gesetz, das die Themen "sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität" vom Kindergarten bis zur dritten Klasse untersagt und für ältere Schüler einschränkt. Mehr dazu lesen Sie hier.

Angst vor Abgleiten in düstere alte Zeiten

Doch ist das Land wirklich so konservativ? An der Zusammensetzung des höchsten US-Gerichts können die Wählerinnen und Wähler im Moment wenig ändern. Sie können aber durchaus wählen, wer sie regiert – und damit, welche Gesellschaftspolitik eingeschlagen wird. Die nächste große Chance haben sie bei den Kongresswahlen im Herbst.

Umfragen zufolge sieht es für die Demokraten nicht gut aus: Es wird erwartet, dass sie Sitze verlieren. Die Partei dürfte nun versuchen, die Wähler auch mit dem Thema Abtreibung zu mobilisieren – und mit der Angst vor einem Abgleiten der USA in düstere alte Zeiten.

Verwendete Quellen
  • Nachrichtenagentur dpa
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