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Profiler über wahre Fälle: "Das Böse liegt in der Tat, nicht im Menschen"


Wahre Fälle
Profiler: "Ich habe mich geirrt, ich hatte den falschen Täter"

  • Josephin Hartwig
InterviewVon Josephin Hartwig

Aktualisiert am 13.11.2021Lesedauer: 5 Min.
Interview
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Axel Petermann: Der frühere Leiter der Mordkommission in Bremen hat ein neues Buch über wahre Kriminalfälle geschrieben.Vergrößern des Bildes
Axel Petermann: Der frühere Leiter der Mordkommission in Bremen hat ein neues Buch über wahre Kriminalfälle geschrieben. (Quelle: teutopress/imago-images-bilder)

Was bewegt einen Menschen dazu, einen anderen zu töten? Die Welt des Bösen fasziniert Profiler Axel Petermann. Mit t-online hat er über die Fälle seines Lebens gesprochen.

Düstere menschliche Abgründe, entstellte Körper, im Ofen verbrannte Leichen – Profiler Axel Petermann lassen echte Kriminalfälle einfach nicht los. Der ehemalige Bremer Mordermittler hat nun ein Buch geschrieben, in dem er drei wahre Kriminalfälle aus Europa genauer betrachtet.

"Im Auftrag der Toten" sieht er noch einmal genau hin und untersucht Ermittlungsabläufe, Beweise und die Täterprofile. Die Fälle spielen in Bayern, der Schweiz und Griechenland. Mit t-online sprach er über die Lehren daraus und seinen prägendsten Mordfall.

t-online: Herr Petermann, warum haben Sie den Fall um die beiden verschwundenen und später tot gefundenen Radfahrerinnen in der Schweiz in Ihr Buch aufgenommen?

Axel Petermann: Das Schicksal der beiden Mädchen, die an der Stufe des Erwachsenwerdens stehen, die erste Tour machen, Freiheit und das Leben spüren. Das war schon ein Bild, das sich gleich in meinem Kopf verankert hat. Plötzlich verschwinden sie spurlos, neun Wochen später klärt sich erst, dass sie tot sind. Der Täter zeigte viel von sich, durch die Art, wie er gehandelt hat.

Inwiefern?

Täter treffen ständig Entscheidungen, bei ihm war das Verhalten nach der Tat sehr ungewöhnlich. Er hat sich womöglich von einem Berg abgeseilt, um die Leichen zu verstecken. Es war ihm wichtig, dass die Mädchen so verschwinden, dass sie niemand findet. Es konnte nur jemand sein, der sich mit den Höhlen und der Umgebung dort auskennt.

Dennoch konnte man den Täter nicht verurteilen.

Das stimmt und diese Morde sind nun auch Jahrzehnte her. In der Schweiz verjähren Morde nach 30 Jahren. Es gibt keine Ermittler mehr, die an dem Fall arbeiten.

Vor wenigen Tagen erhielt ich allerdings eine E-Mail. Der Absender schrieb mir, dass er kurz nach dem Verschwinden der Mädchen befragt wurde. Durch mein Buch und die Berichterstattung sehe er heute einiges anders. Er sagte, er könnte mir den Namen des Täters geben. Ob das stimmt, kann ich jetzt noch nicht einschätzen. Ich werde aber mit ihm sprechen.

Was genau treibt Sie an, auf eigene Faust noch einmal in alten Fällen zu ermitteln?

Es ist mir ein Anliegen, dass das Leid der Opfer im Bewusstsein bleibt. Angehörige fragen sich, wer verantwortlich ist. Auch wenn Täter manchmal nicht mehr verurteilt werden können, ist die Ermittlungsarbeit als Signal immer noch wichtig.

Stichwort Münchener Parkhausmord: Auch diesen Fall beleuchten sie in Ihrem Buch. 2006 war die Unternehmerin Charlotte Böhringer getötet worden. Ihr Neffe war damals in einem Indizienprozess verurteilt worden. Sie äußern im Buch Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Urteils. Der damalige Ermittlungsleiter Josef Wifling bestreitet das und fragt, weshalb Sie denken, schlauer als die Ermittler und das Gericht zu sein. Was sagen Sie dazu?

Es gibt immer Fälle, bei denen man sich irrt. Mir selbst ist das auch schon passiert. Fast 20 Jahre verdächtigte ich einen Mann, die Besitzerin eines Tante-Emma-Ladens missbraucht und erwürgt zu haben. Ich war sicher, er war es. Ich habe mich geirrt.

Neuen Ergebnissen darf man sich deshalb nicht verschließen. Ich habe auch nie behauptet, schlauer als das Gericht zu sein. Ich denke nur, ich habe durch die von mir ausgewählten Gutachter neue Maßstäbe gesetzt.

Aus meiner Sicht sind damals völlig falsche Untersuchungsergebnisse aufgenommen worden, die zu dem Urteil führten. Etwa die Angaben zur Todeszeitbestimmung. Die waren falsch und man muss sich fragen, wie die damaligen Experten überhaupt auf ihre Ergebnisse kamen.

Ich habe nie gesagt, dass Benedikt Göhring unschuldig ist. Ich sage nur, dass er mit den Beweisen, die für das Urteil benutzt wurden, nicht hätte verurteilt werden dürfen. Das ist ein großer Unterschied.

Axel Petermann war Leiter der Mordkommission in Bremen. Der heute 69-Jährige beschäftigte sich ab 1999 mit den FBI-Methoden des Profilings und ließ sich zum zertifizierten Fallanalytiker ausbilden. Bis zu seiner Pensionierung 2014 leitete er die "Operation Fallanalyse", die er auch mit aufgebaut hatte. Seitdem beschäftigt er sich mit ungelösten Tötungsdelikten.

Zuletzt wurde auch Kritik am Genre "True Crime" laut. Die Beschäftigung mit den Opfern, ihren Leben und eventuellen Emotionen verurteilen manche als Leichenschändung. Wie stehen Sie dazu?

Ich versuche, vorsichtig zu sein und anonymisiere. In meinem Buch habe ich das auch zu einem Großteil getan. Das ist Opferschutz. Manchmal sind es aber auch Wünsche der Angehörigen, mehr über den Fall zu erfahren. Sie möchten abschließen.

Die Trauer der Angehörigen dieser beiden Mädchen, die in der Schweiz getötet wurden, war enorm. In einem solchen Fall versuche ich, die Angehörigenwünsche zu erfüllen. Ich schreibe nicht reißerisch, sondern detailliert und auch schützend. Bewertungen der persönlichen Lebensumstände der Opfer vermeide ich. Reißerische Formate gibt es auch, davon distanziere ich mich.

Was war der interessanteste Fall, mit dem Sie sich in Ihrer Karriere bislang beschäftigt haben?

Der falsche Verdacht, den ich schon erwähnt habe. Ich verdächtigte damals einen Mann, die Besitzerin eines Tante-Emma-Ladens missbraucht und erwürgt zu haben. Ich war mir sicher, den Täter zu kennen. Ich lag falsch. Erst ein DNA-Abgleich entlastete ihn.

Der wahre Täter war der Enkelsohn der besten Freundin des Opfers. Zum Glück saß der Verdächtige nur wenige Monate in Haft. Fehler begeht man immer wieder. Der Fall zeigt Grenzen auf, die ich als Ermittler auch habe.

Damals war es die erste DNA-Untersuchung, die in Deutschland in Auftrag gegeben wurde. Die Probe wurde 1986 nach England geschickt und dort untersucht. Das Ergebnis war niederschmetternd, mein Verdächtiger konnte es nicht sein.

20 Jahre später wurde der wahre Täter durch einen erneuten Abgleich von DNA-Spuren gefunden. Dieser Fall hat mich sehr geprägt und vorsichtig gemacht. Ich habe mich bei dem von mir Verdächtigten dann auch entschuldigt. Ich fragte ihn, ob ich ihm etwas Gutes tun könne. Er bat mich, seinen Balkon mit Geranien zu bepflanzen. Zum Abschied sagte er: "Aus Feinden wurden Freunde."

Was genau fasziniert Sie so sehr an dem, nennen wir es, Bösen des Menschen?

Die Verhaltensweisen von Menschen, die doch eigentlich sozialisiert sind. Es kommt in der Psyche eines Täters zu Übergriffen. Grenzen werden überschritten. Mich interessieren die Motive, die dahinterstecken, aber auch die Personifizierung. Das Verhalten, das Täter zeigen. Wut, Hass, Aggressionen gegenüber einem Menschen, den er eigentlich mag. Der Täter bringt ihn um.

Im Kopf des Täters setzt dann so etwas wie der Wunsch ein, die Tat wiedergutzumachen. Einige Täter zeigen dann richtige Betroffenheit. Einblicke in die Psyche des Täters faszinieren mich.

Glauben Sie, es gibt Menschen, die einfach böse sind?

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Ja, einige habe ich kennengelernt. Das Böse liegt aber in der Tat und nicht im Menschen. Man muss kein böser Mensch sein, um Böses zu tun. Die Kraft der Situation spielt eine große Rolle. Menschen, die sich genau überlegen, wie sie ein Opfer töten und was sie mit ihm tun wollen.

Wie etwa in dem Fall eines Mannes, der seine Geliebte töten wollte. Er baute dafür eigens einen Ofen, in dem er sie dann auch verbrannt hat. Er zeigte dann im Gerichtssaal ein völlig anderes Gesicht und stellte sich als liebevoller Familienvater dar. Bei dem Täter mit dem Ofen spürte ich ein großes Unbehagen in mir.

Wie wird ein Mensch zum Mörder?

Das ist ein Schmelztiegel aus Anlagen, Umwelt, Sozialisation. Auch Erkrankungen können eine Rolle spielen und häufig ist es eben die Kraft der Situation, die Menschen dazu bringt zu töten.

Planen Sie, noch weitere Bücher über wahre Kriminalfälle zu schreiben?

Als ich das aktuelle Buch beendet habe, hatte ich die Idee, das zu tun. Aber ich muss jetzt erst mal etwas Abstand von den drei Fällen im Buch gewinnen. Das war schon eine intensive Zeit, auch für meine Familie.

Irgendwann bin ich auch in einem Alter, wo ich vielleicht nur noch Freizeit genieße. Im Moment fühle ich mich aber noch jugendlich. Die Zeit zum Abtreten ist bestimmt irgendwann da. Jetzt aber noch nicht.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Axel Petermann
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