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Wladimir Putin: Mit Russlands Imperium wird es nichts – aus diesem Grund


Schrumpfende Bevölkerung
Darum wird es nichts mit Russlands Imperium

MeinungVon Philipp Kohlhöfer

Aktualisiert am 09.09.2022Lesedauer: 6 Min.
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Wladimir Putin: Russlands Präsident will das Imperium erneuern, die Demographie hat er nicht bedacht, meint Philipp Kohlhöfer.Vergrößern des Bildes
Wladimir Putin: Russlands Präsident will das Imperium erneuern, die Demografie hat er nicht bedacht, meint Philipp Kohlhöfer. (Quelle: Alexander Vilf/imago-images-bilder)

Immer wieder wird von "Überbevölkerung" gesprochen, doch in Wirklichkeit wird die Menschheit bald stark schwinden. Das wird auch für Wladimir Putin zum Problem.

Ich wohne in der Stadt und mag das gerne. Aber je älter ich werde, desto angenehmer finde ich es auf dem Land – schlicht, weil man dort meistens seine Ruhe hat und es nicht so von Menschen wimmelt. Städte wie Hamburg sind mir zu überbevölkert, einerseits, andererseits liebe ich die kurzen Wege der Urbanität und freue mich, dass ich zu Fuß zu Konzerten gehen kann – wo ich mich dann darüber aufrege, dass alle Leute, die größer sind als 1,90 Meter, genau vor mir stehen. Eigentlich bin ich misanthropischer Menschenfreund: Ich habe gerne Leute um mich, bin dann auch immer wieder froh, wenn sie verschwinden.

Und damit steht mein persönliches Erleben fast stellvertretend für unsere Spezies (ja, stimmt, ist etwas hingebogen): Es gibt einen Haufen Leute um uns – aber wahrscheinlich werden sie verschwinden. Sollten wir unversehrt durch alle selbstverursachten ökologischen und politischen Krisen kommen, werden wir enden wie ein Song im Formatradio. Dann faden wird einfach aus. Werden immer leiser, ohne dass wir das zu Beginn merken. Freuen uns vielleicht zuerst darüber, weil der eintönige Beat auch echt genervt hat und der Text wirklich doof war, wir zu viele waren, aber dann ist es plötzlich einfach vorbei. Die Menschheit wird aussterben.

Philipp Kohlhöfer ist Autor und Kolumnist und lebt in Hamburg. Er arbeitet unter anderem für das Magazin "Geo" und das Forschungsnetz Zoonotische Infektionskrankheiten, gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung. Kohlhöfer verfasst zudem Drehbücher und entwirft Kommunikationskonzepte. Für eine Geschichte im Pazifik wurde er beschossen, für eine andere marschierte er tagelang durch den Regenwald. 2021 hat er den Bestseller "Pandemien. Wie Viren die Welt verändern" veröffentlicht.

Auf den ersten Blick sieht das nicht so aus, denn das Problem ist im Moment eher, dass zu viele Leute zu viele Ressourcen verbrauchen (in den entwickelten Ländern). Aber schon jetzt fällt global die Geburtenrate. Das ist erst mal gut, schließlich bedeutet das: weniger Druck auf die Ressourcen, besser bezahlte Jobs, es wird weniger Nutztiere geben, die weniger Futterflächen brauchen, für die weniger Wald gerodet werden muss.

Aber das Geheimnis heißt Exponentialität. Schon in der Pandemie haben das viele nicht verstanden: Die Bestandsgröße verändert sich im jeweils gleichen Zeitraum um denselben Faktor – was bedeutet, dass das Problem schnell riesig und dadurch unkontrollierbar wird. Und das gilt eben nicht nur für Wachstum, sondern auch fürs Schrumpfen. Heißt: Weniger gebärfähige Frauen bekommen weniger Mädchen, die weniger Mädchen bekommen, die weniger Mädchen bekommen.

Die Folgen sind unabsehbar

Und das ist das Ende. Das geht nicht von heute auf morgen, aber bereits heute weisen 183 von 195 Ländern eine Fertilitätsrate auf, die unter derjenigen liegt, die die bestehende Bevölkerung ersetzen könnte: Die Zahl der Kinder unter fünf Jahren wird von 681 Millionen im Jahr 2017 auf 401 Millionen im Jahr 2100 sinken. Die Zahl der über 80-Jährigen dagegen von 141 Millionen auf 866 Millionen steigen.

Nachlesen kann man das in einer Studie, die im Juli 2020 im medizinischen Fachjournal "The Lancet" veröffentlicht worden ist und die demografische Entwicklung von 195 Ländern in den Jahren von 2017 bis 2100 analysiert. Die Studie hat den etwas deprimierenden Untertitel "a forecasting analysis for the Global Burden of Disease" und mit der "globalen Krankheitslast" ist tatsächlich der Bevölkerungsrückgang gemeint.

Denn der wird enorme soziale Veränderungen zur Folge haben. Ganz praktisch: Wer sorgt für die vielen Alten? Wer zahlt Steuern, wer die Gesundheitsvorsorge? Wer produziert für welchen Markt? Wird die Jugend politisch überhaupt noch eine Meinung haben dürfen? Wird ein Konzept wie "Rente" Bestand haben?

Ziemlich sicher wird eine Zeit kommen, in der Pfleger und Krankenhauspersonal besser bezahlt werden, zum Glück. Empfohlen sei der Blick nach Japan: Das ostasiatische Land wird eines der Länder sein, deren Bevölkerung sich in den nächsten Jahrzehnten halbieren wird. Das Gleiche gilt für Spanien und Südkorea. Den Italienern sagen die Verfasser im "The Lancet" einen Rückgang der Bevölkerung auf 28 Millionen Menschen bis zum Ende des Jahrhunderts voraus.

Universitäten in Not

Und auch wer sich die demografischen Zahlen Chinas ansieht, überlegt sich möglicherweise noch mal, ob dieses Jahrhundert wirklich ein chinesisches wird – oder eher eins, in dem eine Hälfte der Bevölkerung aus Rentnern besteht und von der anderen Hälfte gepflegt werden muss. Was jetzt schon geopolitische Folgen hat: Denn das Fenster einer militärischen Wiedervereinigung mit Taiwan wird kleiner, wegen – so bizarr das auch klingt – "Personalmangels". Was bedeuten könnte, dass sie in den nächsten zehn Jahren erfolgen muss. Auch die chinesische Bevölkerung wird sich bis Ende des Jahrhunderts halbieren.

Ungefähr 2,1 Kinder pro Familie benötigt es, damit eine Bevölkerung stabil ist. 2,1 deswegen, weil Unfälle und Krankheiten ausgeglichen werden müssen. Laut der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung beträgt diese Zahl heute global 2,3. 2100 wird die Fertilitätsrate voraussichtlich bei 1,6 liegen. Nach dem Zweiten Weltkrieg brachten Frauen durchschnittlich 4,7 Kinder auf die Welt – und das schleppt bis heute nach. Exponentialität. Aber genau deswegen wird es auch enden.

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Der größte Teil der Welt geht bereits in einen natürlichen Bevölkerungsrückgang über. In Südkorea liegt die Fertilitätsrate bei 0,9 Kindern pro Frau, in Japan wollen 40 Prozent der Frauen gar keine Kinder, Singapur kommt auf 1,1 und Spanien auf 1,2. Und auch mit dem Russischen Imperium – wie es Wladimir Putin gerade herbeibomben will – wird es mangels Menschen eher nichts werden.

Glaubt man kaum, aber Russland ist ein Einwanderungsland – vor allem für Menschen aus dem Kaukasus und Zentralasien. Wäre das nicht der Fall, würde sich der Trend noch beschleunigen: Russland verliert Menschen. Und das schon seit Jahrzehnten. Um etwas auszuholen: Zwischen 1976 und 1991, den letzten 15 Jahren sowjetischer Herrschaft, wurden in Russland 36 Millionen Kinder geboren, in den 15 Jahren darauf, also von 1992 bis 2007, waren es nur noch 22,3 Millionen. Die Geburtenrate vor dem Fall der UdSSR in Russland lag bei 2.01, 2007 war sie bei etwa 1,5 angekommen – und stagniert seither.

Alleine im Zeitraum von 1990 bis 2014 hat die Bevölkerung des Riesenlandes um 3,7 Millionen Menschen abgenommen. Obwohl trotz paralleler Auswanderung im gleichen Zeitraum neun Millionen Menschen eingewandert sind. 2020 schätzte die russische Statistikbehörde Rosstat, dass das Land 2021 290.000 Einwohner verlieren könnte, 238.000 im Jahr darauf, 189.000 dann 2023 und nochmal 165.000 im Jahr 2024. In nur vier Jahren wären das knapp 900.000 Menschen. Covid hat die Lage kaum besser gemacht, Putins Krieg erst recht nicht. Denn nun verließen viele Russen auch aus Protest das Land.

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Aber zurück zu den Fertilitätsraten: Weil auch Deutschland und die USA unter dem Wert von 2,1 liegen, 1,5 und 1,7, kann das Problem realistisch nur durch Einwanderung gelöst werden – weil es sonst so gut wie unmöglich wird, Wohlstand zu erhalten. Schon heute gibt es in Südkorea so wenige junge Menschen, die studieren könnten (ihre Zahl hat sich in den vergangenen drei Jahrzehnten fast halbiert), dass Universitäten unterhalb der Top-Institute mit großzügigen Stipendien um Studenten werben müssen. Teilweise bekommt man gar ein iPhone geschenkt, wenn man sich an einer Universität einschreibt.

Frauen entscheiden

Was im Moment noch auf regionaler Ebene passiert, wird in wenigen Jahrzehnten vermutlich globaler Standard sein: ein offener Wettbewerb um Migranten. Die USA definieren sich schon immer als Einwanderungsgesellschaft – und das hat sich ausgezahlt und wird es vermutlich erneut tun. Allen ernstzunehmenden Prognosen zufolge wird China die USA in den 2030ern zwar als führende Wirtschaftsmacht ablösen, aber den Platz nicht lange behaupten können. In den 2090ern wird der "Rentnerstaat" wieder hinter die USA zurückfallen – die dann allerdings ethnisch nicht mehr von weißen Europäischstämmigen dominiert werden.

Nun sind Vorhersagen schwierig, aber sicher ist, dass Afrika als letzter Kontinent anfangen wird zu schrumpfen. Die durchschnittliche Kinderzahl pro Frau ist dort mit 4,3 am höchsten – weswegen die Bevölkerung noch für Jahrzehnte wachsen wird. Glaubt man der "Lancet"-Studie wird Nigeria bis zum Ende des Jahrhunderts China überholt haben und nach Indien das einwohnerreichste Land der Welt sein. Aber auch in Afrika sinkt die Bevölkerung langfristig.

Liegt die Fertilitätsrate am Ende des Jahrhunderts bei 1,6 Kindern pro Frau, dann bleibt auch das nicht konstant, aber wenn zeitgleich die Lebenserwartung steigt, sagen wir mal auf 100 Jahre, dann gäbe es 2200 etwa drei Milliarden Menschen, so viele wie 1960. Immer noch weit entfernt vom Aussterben, aber wenn der Rückgang einmal angefangen hat, und das hat er, dann hört er nicht mehr auf.

Daran ändern auch demografische Ausreißer wie Pakistan, Afghanistan, Somalia oder eben Nigeria nichts. Und das ist auch der Grund für das regionale Bevölkerungswachstum einerseits und den globalen Schwund andererseits: Gebildete Frauen mit Beruf und Zukunft haben weniger Kinder, das gilt global. Bevor jetzt jemand auf die dämliche Idee kommt, Frauen wieder Rechte zu entziehen und Abtreibungen zu verbieten: Es wird nichts ändern. Restriktivität hilft nicht.

Frauen bekommen keine Kinder, wenn sie nicht wollen, da können sich konservative Männer noch so aufregen. Polen wird auf 23 Millionen Menschen schrumpfen. Brasilien wird Menschen verlieren. Und in Saudi-Arabien ist die Bevölkerungsentwicklung ähnlich der in Deutschland. Allerdings wird es in Zukunft mehr Finnen und Neuseeländer geben – weil die Frauen das wollen. Um das mal politisch zu interpretieren: Freiheitliche Gesellschaften profitieren.

Und das ist ja auch nicht schlecht.

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben die Meinung der Autorinnen und Autoren wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der t-online-Redaktion.

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