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Beschwerden an russische Armee | "Arme und Beine sind ganz, du kannst weiter kämpfen"


Beschwerden an russische Armee
"Arme und Beine sind ganz, du kannst weiter kämpfen"


15.08.2022Lesedauer: 4 Min.
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Russischer Soldat in der Region Cherson Anfang April: "Nur ein psychologisches Trauma". (Quelle: imago-images-bilder)

Mit Lügen und Gewalt zwingt die russische Armee junge Männer zum Krieg. Geleakte Emails zeigen das Ausmaß der Verrohung.

Das Massaker von Butscha, die Zerstörung Mariupols, wahllose Angriffe auf Zivilisten: Brutalität gegen Zivilisten gehört zur Taktik der russischen Armee, das hat sie im Krieg gegen die Ukraine immer wieder gezeigt. Doch selbst die russischen Soldaten scheinen vor der Gewalt ihres Militärs nicht sicher zu sein, wie eine Recherche des unabhängigen russischen Portals "The Insider" zeigt.

Dem Magazin zufolge wurden Emails an die russische Militärstaatsanwaltschaft zugespielt, in denen Soldaten oder deren Angehörige sich über ungerechte Behandlung beschweren. Berichtet wird von Wehrpflichtigen, die getäuscht und gegen russisches Recht an die Front geschickt wurden, von Kriegsverletzten, die nicht richtig behandelt wurden und von Eltern, die keinerlei Informationen über ihre getöteten Kinder erhalten. "The Insider" hat die Dokumente gemeinsam mit dem Recherchenetzwerk "Bellingcat" überprüft und für echt befunden.

Wehrpflichtige auf der "Moskwa"?

Laut "The Insider" würden mehrere Hundert der Emails zeigen, dass die Armee auch Wehrpflichtige an die Front schickt – trotz einer gegenteiligen Weisung von Kremlchef Waldimir Putin. Auch auf dem gesunkenen Raketenkreuzer "Moskwa" waren demnach viele Wehrpflichtige im Einsatz. Das Flaggschiff der russischen Schwarzmeerflotte sank am 14. April, mutmaßlich nach einem ukrainischen Angriff. Der Kreml behauptete, ein Feuer an Bord habe das Schiff sinken lassen, die Besatzung sei gerettet worden. Wahrscheinlicher ist, dass viele der 500 Mann an Bord tot sind. "Im Moment habe ich keine Informationen über meinen Sohn. Bitte teilen Sie mir den Verbleib meines Kindes mit", schreibt beispielsweise die Mutter des 23-jährigen Vermissten Kozyr Akim Aleksandrovich.

Weit verbreitet scheint in der russischen Armee auch die Praxis, Rekruten durch Lügen und Täuschung in den Krieg zu schicken. In einer Email wenden sich die Eltern mehrerer Söhne an die Militärstaatsanwaltschaft mit der Bitte, "unsere vermissten Söhne zu finden und sie dringend von der Grenze an einen sicheren Ort zu bringen". Ihre Kinder seien bis Kriegsbeginn am 24. Februar Wehrpflichtige gewesen und hätten nicht die Absicht gehabt, sich vertraglich an die Armee zu binden. Die Psychologin der Einheit habe ihnen aber am 7. März mitgeteilt, dass ihre Söhne jetzt Vertragssoldaten seien. "Als Eltern glauben wir, dass unsere Kinder in betrügerischer Absicht zur Teilnahme an einer Militäroperation geschickt wurden und nun ihr Leben in Gefahr ist", heißt es in der Email.

"Ich bin 21 und möchte wirklich leben"

Wer sich gegen die Tricks und Lügen der Vorgesetzten wehrt, wird offenbar häufig gezwungen, in den Krieg zu ziehen. Auch das geht aus mehreren Schreiben an die Militärstaatsanwaltschaft hervor. Darin berichten Angehörige beispielsweise, dass ihren Kindern Gewalt oder ein Prozess wegen Fahnenflucht angedroht worden sei; in anderen Fällen sei einfach die Unterschrift auf den Einberufungsdokumenten gefälscht worden; in einer Email beschwert sich ein junger Soldat selbst bei der Militärstaatsanwaltschaft: Er sei nicht wie angekündigt nach Syrien, sondern in die Ukraine geschickt worden: "Ich bin 21 und möchte wirklich leben".

Wer bei Putins "Spezialoperation" in der Ukraine verletzt wird, darf offenbar nicht auf eine angemessene medizinische Behandlung hoffen. So beschwert sich in einer Email die Ehefrau eines Soldaten über dessen Behandlung im Krankenhaus in Belgorod. Dort habe man ihm gesagt: "Das ist nur ein psychologisches Trauma, die Arme und Beine sind ganz, du kannst weiter kämpfen." Ihr Mann leide an Kopf- und Rückenschmerzen sowie Gedächtnisverlust, doch statt eines MRT-Scans habe er nur Aspirin erhalten.

Mutter bittet um Leiche ihres Sohnes

In einer anderen Email berichtet eine Mutter, dass ihr Sohn in der Ukraine schon zweimal schwer verletzt wurde. Beim ersten Mal sei er mit einer Schrapnellwunde am Kopf und Erfrierungen an den Beinen ins Feldlazarett gekommen; nach zwei Tagen ohne Behandlung sei er zurück zu seiner Einheit geschickt worden. Beim zweiten Mal sei ihr Sohn durch eine Mine wieder am Kopf verletzt worden. Im Krankenhaus hätten Ärzte zwar schwere Symptome wie Hör- und Sehverlust festgestellt – behandelt worden sei ihr Sohn dennoch nicht.

Schlechter als die Lebenden werden in der russischen Armee offenbar nur die Toten behandelt. So berichtet die Mutter eines 22-Jährigen, dass ihr Sohn Anfang März in der Region Tschernihiw nördlich von Kiew getötet worden sei; das habe ihr ein Kamerad ihres Sohnes mitgeteilt. "In der Militäreinheit wird diese Information nicht bestätigt, weil die Leiche höchstwahrscheinlich auf dem Schlachtfeld liegen blieb", schreibt die Mutter an die Militärstaatsanwaltschaft. "Ich bitte Sie, diesen ungeheuerlichen Vorfall zu untersuchen und mir die Leiche meines Sohnes zurückzugeben, damit alle Verantwortlichen bestraft werden."

Wie viele russische Soldaten in der Ukraine schon getötet oder verletzt wurden, lässt sich nicht genau sagen. Die US-Regierung äußerte vorige Woche die Schätzung von 20.000 Gefallenen und weiteren 50.000 bis 60.000 verwundeten, vermissten oder gefangenen Soldaten auf russischer Seite. Zurzeit würde die russische Armee jeden Tag 500 Mann verlieren, berichtete unter anderem die "New York Times" aus einem Hintergrundgespräch mit dem Pentagon. Der Kreml selbst machte zuletzt Ende März Angaben und sprach von 1.351 getöteten russischen Soldaten.

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