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Gegenoffensive der Ukraine: Deutsche Panzerhaubitze half bei Rückeroberung


"Hochgradiges Ziel für den Feind"
Deutsche Panzerhaubitze half bei Gegenoffensive

  • Daniel Mützel
Von Daniel Mützel

Aktualisiert am 14.09.2022Lesedauer: 5 Min.
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Eine Panzerhaubitze 2000 feuert ein Geschoss ab (Symbolbild).Vergrößern des Bildes
Eine Panzerhaubitze 2000 feuert ein Geschoss ab (Symbolbild). (Quelle: Von Gerben van Es/Ministerie van Defensie/t-online)

Wegen zögerlicher Militärhilfen steht Deutschland international am Pranger. Doch bei den jüngsten Erfolgen der Ukraine spielte deutsches Kriegsgerät wohl eine entscheidende Rolle.

Angesichts massiver Geländegewinne der Ukraine in der Region Charkiw ist in Deutschland die Debatte um Rüstungslieferungen erneut entbrannt. Ampel-Politiker fordern Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auf, mehr schwere Waffen an die Ukraine zu liefern. Auch international wächst die Kritik an der zögerlichen Haltung der Bundesregierung. Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba äußerte sich zuletzt ungewöhnlich scharf – und warf der Scholz-Regierung "abstrakte Ängste und Ausreden" vor.

Über das Ausmaß der Militärhilfe aus Berlin mag man streiten: Tatsächlich ist deutsches Kriegsgerät längst im Einsatz bei ukrainischen Offensiven – und das recht erfolgreich. Bereits bei der ersten Gegenoffensive in Charkiw im Mai kamen deutsche Waffen zum Einsatz, wie t-online damals vor Ort berichtete. Handelte es sich damals noch um leichte Waffen wie das Weltkriegsmaschinengewehr MG 42, kamen jetzt auch schwere Waffen aus Deutschland zum Einsatz.

Wie der "Economist" berichtet, spielte der deutsche Flugabwehrpanzer Gepard eine zentrale Rolle beim ukrainischen Gegenschlag im Nordosten des Landes: Die Russen hätten bei der Verteidigung kaum ihre Luftwaffe eingesetzt, weil sie Verluste befürchteten, beruft sich das Blatt auf den ukrainischen Geheimdienst. Auch ein weiteres deutsches Waffensystem dürfte kritisch für den Erfolg der Ukrainer gewesen sein: die Panzerhaubitze 2000.

Lebensader der russischen Armee ausgeschaltet

Wie genau das Rohrartilleriesystem aus Deutschland eingesetzt wurde, ist unklar. Der ukrainische Generalstab hat eine Informationssperre verhängt, nur wenige Details dringen nach außen. Welche Einheiten mit den gelieferten zehn deutschen Haubitzen in den Kampf ziehen und wo, ist ein streng gehütetes Geheimnis.

Wie t-online aber aus Kreisen der ukrainischen Armee erfuhr, spielte die Panzerartillerie bei der Befreiung der strategisch wichtigen Stadt Kupjansk eine entscheidende Rolle. Der Ort galt als Logistik-Drehkreuz der russischen Armee, die über Eisenbahnlinien den Nachschub an Munition und Material sicherstellte.

"Wir haben mithilfe der Panzerhaubitze 2000 die Brücke von Kupjansk zerstört", sagt der ukrainische Artillerieoffizier Serhiy Kovalenko* zu t-online. "Damit konnte sowohl das Eintreffen der russischen Reserven als auch der organisierte Rückzug des Feindes verhindert werden." Die Brücke über den Fluss Oskil ist die einzige Straße, die beide Teile von Kupjansk verbindet. Ohne den Flussübergang waren die russischen Truppen auf der westlichen Uferseite gefangen – und von der Verstärkung von Osten her abgeschnitten.

Die Folge: Die Verteidigungslinie in Kupjansk kollabierte. Russische Soldaten auf dem linken Flussufer drohten eingekesselt zu werden – anstatt zu kämpfen, ergriffen sie die Flucht. Wie panikartig die Russen das Weite suchten, zeigen die Massen an Material, die die Besatzer zurückließen: Schützenpanzer, Haubitzen und Mannschaftstransportwagen standen gefechtsbereit auf Feldern und Wiesen. Die Ukrainer filmten sie genüsslich ab und stellten sie ins Netz.

Auf die Rückeroberung von Kupjansk folgte ein zweiter großer Erfolg kurze Zeit später: die Einnahme der Stadt Isjum 70 Kilometer südlich. Damit zerschlug die Ukraine zwei Transportknotenpunkte der russischen Armee in der Region. Der Schlag war ein doppelter: Nicht nur befreiten die ukrainischen Verteidiger mehr Territorium als die Russen in den vergangenen drei Monaten. Auch für die Schlacht um den Donbass haben sich die Vorzeichen für Russland verschlechtert: Ohne die logistische Lebensader Kupjansk, die Putins Truppen mit Nachschub aus Russland versorgte, wird ein Vorrücken auf die Region Donezk weiter erschwert.

"Ein hochgradiges Ziel für den Feind"

Für Frank Ledwidge von der Universität Portsmouth ist die Panzerhaubitze 2000 ein wichtiges Puzzleteil in der ukrainischen Kriegsstrategie. Es sei das "leistungsstärkste und modernste" Artilleriesystem der Welt. Die drei großen Vorteile seien: Präzision, Feuerrate und Zuverlässigkeit. "Die Panzerhaubitze trifft aus einer Distanz von 30 Kilometern mit einer maximalen Abweichung von fünf bis zehn Metern ins Ziel." Einen "Gamechanger" nennt der Journalist und Sicherheitsexperte Thomas Wiegold die Waffe, obwohl es dafür bislang eher "anekdotische Evidenz" gebe.

Die Präzision der Panzerhaubitze hat sich als entscheidender Faktor für das schnelle Vorrücken der Ukrainer auf Kupjansk erwiesen, sagt auch der Artillerieoffizier Kovalenko: "Wir haben 12 Geschosse gebraucht, um die Brücke zu zertrümmern. Mit sowjetischer oder russischer Rohrartillerie hätten wir vielleicht 50 oder mehr Granaten benötigt." Das sei nicht nur ein logistisches Problem, weil dafür mehr ungepanzerte Munitions-Lkw es an die Front schaffen müssten. Auch für die Besatzung wäre die Gefahr höher: "Je länger wir auf ein Ziel schießen müssen, desto leichtere Beute sind wir für russische Drohnen und gegnerische Artillerie."

Auch im direkten Feuergefecht gegen russische Panzer habe sich die Panzerhaubitze bewährt, so Kovalenko: "Gegen feindliche Kampfpanzer nutzen wir SMArt-Geschosse im Kaliber 155 Millimeter." Diese hochmoderne Präzisionsgranate explodiere über dem Ziel und feuere ihre Munition per Fallschirm ab. Radar- und Infrarotsensoren lenken die Sprengkörper sicher ins Ziel.

Auch deswegen sei die deutsche Panzerhaubitze ein "hochgradiges Ziel für den Feind", sagt der Soldat. Russische Drohnen suchten regelmäßig die Front ab, um die deutschen Artilleriesysteme auszuschalten. Zwar habe es schon Treffer und Schäden an den deutschen Haubitzen gegeben, "aber wir haben noch keine verloren. Die Panzerung ist gut, vor allem oben an der Wanne und am Geschützturm."

"Das ergibt militärisch überhaupt keinen Sinn"

Russische Drohnen und Artillerie gegen deutsche Panzerhaubitzen – ein direktes Feuergefecht zwischen Waffen zweier Nationen, die sich eigentlich nicht im Krieg befinden wollen und sollten. Die westlichen Waffenlieferungen werden vom Kreml seit Beginn der Invasion argwöhnisch beobachtet. Der russische Botschafter in Berlin, Sergej Netschajew, erklärte am Montag, mit den Waffenlieferungen an die Ukraine habe Deutschland nun eine "rote Linie" überschritten.

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Das Kanzleramt scheint die Drohungen aus Moskau ernst zu nehmen. Seit Monaten hat Deutschland kaum schwere Waffen an Kiew geliefert. Die ukrainischen Bitten um Marder-Schützenpanzer und Leopard-Kampfpanzer lässt Bundeskanzler Scholz konsequent abprallen. Seit Kriegsbeginn war aus seiner Regierung immer wieder zu hören, dass Deutschland ausschließlich "Defensivwaffen" liefere, keine "Offensivwaffen".

Thomas Wiegold nennt diese Unterscheidung politisch motiviert: "Das ergibt militärisch überhaupt keinen Sinn. Waffen sind nicht per se defensiv oder offensiv. Es kommt darauf an, wie sie genutzt werden." Waffensysteme, die etwa angreifende Kampfjets oder Artillerie ausschalten können, wie der Gepard oder die Panzerhaubitze, ließen sich auch für einen Angriff nutzen. Mittlerweile sei diese "sinnlose" Debatte jedoch aus der Öffentlichkeit weitgehend verschwunden, so Wiegold.

"Bitte bleibt an unserer Seite"

Die Lage an der Front bei Charkiw scheint sich derzeit wieder in eine Art Stellungskrieg zu verwandeln. Durch die Zerstörung der Brücke in Kupjansk wurde die Stadt in zwei Hälften geteilt: in einen westlichen Teil, den die ukrainische Armee kontrolliert, und einen östlichen, den Russland hält.

Es finden weiterhin erbitterte Kämpfe statt, wie von ukrainischen Frontsoldaten zu hören ist. Oleg Supereka von der "Kraken"-Spezialeinheit, die zum nationalistischen Asow-Regiment gehört, sagt t-online: "Wir kämpfen weiter in Kupjansk gegen einen furchtbaren Feind. Wir danken Deutschland für die Unterstützung, aber wir brauchen mehr Waffen, auch Panzerhaubitzen. Bitte bleibt an unserer Seite."

Der Journalist Thomas Wiegold erwartet, dass die ukrainischen Kräfte eine logistische Pause einlegen, um Nachschub an Munition, Treibstoff und Ersatzteile für beschädigte Fahrzeuge an die Front zu bringen. Ein Domino-Effekt, bei dem weitere russische Verteidigungslinien wie im Sturm zerfallen, sei allerdings nicht zu erwarten. "Die Frage ist, was die Ukraine als Nächstes plant und wie geschwächt die russischen Verbände wirklich sind", so Wiegold.

Bereits am Mittwoch meldete die russische Armee in Donezk wieder einige Erfolge. Auch der britische Militärexperte Ledwidge rechnet mit weiteren blutigen Gefechten: "Der Krieg wird lange dauern."

Verwendete Quellen
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