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Grausame Beziehungstat vor Berliner Gericht: "Und schon habe ich gebrannt"


Grausame Beziehungstat vor Gericht
"Und schon habe ich gebrannt"

Von Jannik Läkamp

26.01.2023Lesedauer: 5 Min.
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Mario H. im Gerichtssaal: Er soll aus krankhafter Eifersucht gehandelt haben.Vergrößern des Bildes
Mario H. im Gerichtssaal: Er soll aus krankhafter Eifersucht gehandelt haben. (Quelle: Jannik Läkamp)

In einer emotionalen Aussage vor Gericht hat eine Frau ihren Exfreund beschuldigt. Er soll sie angezündet und eingesperrt haben.

Es sind gravierende Anschuldigungen: Mario H. soll seine damalige Freundin immer wieder verprügelt haben. Schließlich soll er sie mit Desinfektionsmittel übergossen, angezündet und in ihrer Wohnung eingesperrt haben, statt einen Krankenwagen zu rufen – obwohl sie unter starken Schmerzen und Verbrennungen litt. Aus der U-Haft schickte er der gelernten Kosmetikerin noch einen Liebesbrief. Am Donnerstag hat der Prozess gegen Mario H. begonnen.

Der 35-Jährige muss sich wegen schwerer Körperverletzung und Freiheitsberaubung verantworten. Beim Prozessauftakt schweigt er, lässt aber über seine Verteidigerin ankündigen, an einem späteren Prozesstag auszusagen. Gleich als erste Zeugin war das Opfer geladen. Evelyn M. ist auch Nebenklägerin in dem Prozess. Sie verlangt mindestens 80.000 Euro Schmerzensgeld von ihrem mutmaßlichen Peiniger. Als sie den Gerichtssaal betritt, schaut der Angeklagte sie mit geröteten Augen an. Evelyn M. ignoriert ihn, vermeidet seinen Blick.

Berlin: Alkohol, Drogen und Eifersucht

Daraufhin berichtet die 43-Jährige in einer emotionalen Aussage von schweren Misshandlungen, Alkohol- und Drogenmissbrauch. "Nüchtern war er der liebste Mensch der Welt", so M. Doch nüchtern war der Angeklagte ihrer Aussage nach wohl selten. "Er hat viel Alkohol getrunken", so M. "Ein bis zwei Flaschen Wodka am Tag. Nach dem Einkaufen hat er noch auf dem Heimweg eine halbe Flasche getrunken. Wie Mineralwasser." Auch harte Drogen habe er konsumiert. "Er hat auch Heroin genommen – mal hat er es sich gespritzt, mal geraucht", so das Opfer. "Wenn er auf Heroin war oder getrunken hatte, hatte ich Angst vor ihm. Sein Gesicht hat sich dann verändert und ich wusste: Gleich passiert was." H., der keine Berufsausbildung hat, sei auch Boxer gewesen, so das Opfer.

Kennengelernt hätten sich die beiden im Januar 2022 in einem Krankenhaus – im Entzug. Auch Evelyn M. habe früher zu viel getrunken, sei nun aber trocken, wie sie sagt. "Am Entlassungstag sind wir mit zwei anderen zu mir gegangen. Um nicht alleine zu sein. Danach ist er einfach geblieben." Das sei ihr am Anfang auch recht gewesen. "Er hat einen netten Eindruck gemacht. Wir wollten eine Beziehung führen und waren jeden Tag zusammen. Aber schon nach wenigen Wochen wurde er gewalttätig. Es fing mit Beleidigungen und Backpfeifen an, bis er mich dann immer wieder gegen den Kopf boxte", so M. "Es wurde immer, immer schlimmer." An dieser Stelle muss sie ihre Aussage kurz unterbrechen, es fällt ihr schwer, weiterzureden.

"Er ist immer mehr ausgerastet." Vor allem die starke Eifersucht von Mario H. sei immer wieder ein Auslöser für die Misshandlungen gewesen. "Er hatte seine Eifersucht nicht unter Kontrolle. Wenn wir draußen waren, habe ich nur auf den Boden geschaut – aus Angst, er wird eifersüchtig, wenn ich jemanden anschaue." Besonders eskaliert sei es, als Mario H. Evelyn M. des Fremdgehens bezichtigt haben soll. "Er hat mir gegen den Kopf geboxt, ins Gesicht geschlagen, immer wieder. Er sagte, er würde aufhören, wenn ich es zugebe. Irgendwann habe ich es zugegeben, obwohl es nicht stimmte – einfach, damit die Schläge aufhören." Ob Mario H. daraufhin aufgehört habe, fragt der Richter die Zeugin. "Nein." Sie schüttelt den Kopf.

"Ich fragte noch, was er macht. Und schon habe ich gebrannt."

Am 10. März sei es dann zur Eskalation in M.s Wohnung gekommen. "Ich saß in einem Bademantel auf dem Sofa. Er ging ins Bad und kam mit einer Flasche Desinfektionsmittel wieder. Setzte sich ruhig neben mich und bespritzte mich damit", so M. "Ich habe ihn noch gefragt, was er da macht. Und schon habe ich gebrannt." Die krude Begründung: Er habe ausprobieren wollen, ob Desinfektionsmittel tatsächlich brennt. Das zumindest soll er zum Opfer gesagt haben.

M. erlitt massive Verbrennungen zweiten und dritten Grades an Armen, Beinen, Brust und Bauch. 18 Prozent ihres Körpers sind verbrannt, ist der Anklageschrift zu entnehmen. Mario H. soll sie, nachdem er sie angezündet hatte, zu Boden geschubst haben, um die Flammen zu löschen. Auch soll er versucht haben, sie mit einer Decke zu ersticken. Das zumindest habe er Evelyn M. gegenüber behauptet. Sie selbst könne sich daran nicht mehr erinnern. "Ich bin nackt in meinem Bett, mit schrecklichen Schmerzen aufgewacht, ich war noch ganz nass. Er meinte, er hätte mich in die Badewanne mit kaltem Wasser gelegt."

Massive Verbrennungen – und tagelang kein Notruf

Doch damit sei das Martyrium noch nicht beendet gewesen. Obwohl sie den mutmaßlichen Täter mehrmals gebeten habe, einen Krankenwagen zu rufen, habe er sie in der Wohnung eingesperrt – aus Angst, sie könne ihn verraten. "Er wollte nicht, dass ich ins Krankenhaus komme. Er sagte, er will nicht, dass ich rede." Auch vorher schon habe H. dem Opfer verboten, ihre Wohnung, in der er ebenfalls lebte, alleine zu verlassen, habe sie immer wieder eingesperrt. Doch eigentlich hätte M. dringend ärztliche Hilfe gebraucht, die Mario H. ihr verweigert haben soll. Um ihre Schmerzen etwas zu lindern, soll er ihr Bepanthen aus einer Apotheke geholt haben. "Das Eincremen war fast noch schlimmer", so M. "Es war ein Horror. Ich war auch nicht fähig, Hilfe zu holen." Ihr Mobiltelefon soll der Angeklagte ihr weggenommen haben.

Zwei Tage nach der Tat habe sich ihr Zustand so verschlechtert, dass ein Notruf unumgänglich gewesen sei, so M. "Die Sanitäter waren schockiert von meinen Verbrennungen. Herr H. hat mir auch vorgesagt, was ich erzählen soll. Ein Unfall mit heißem Öl. Aber das hätten sie niemals geglaubt. Ich habe dann erzählt, ich hätte mich an einer Kerze verbrannt." Auch diese Version hätten die Rettungskräfte M. zufolge nicht glauben können. Doch um H. zu verraten, hätte sie zu viel Angst gehabt. Nach zwei Tagen Intensivstation, sieben Operationen unter Vollnarkose und einem längeren Krankenhausaufenthalt landete M. dann doch wieder bei dem Angeklagten, wie sie erzählt. "Er hat mich aus dem Krankenhaus abgeholt. Er hatte ja auch noch den Schlüssel zu meiner Wohnung."

"Ich werde mich ändern. Du bist mein Leben"

Nur wenige Wochen später rufen Freunde von M. die Polizei, als sie mal wieder ein blaues Auge gehabt habe, wie sie erzählt. "Du bist kein Boxsack, hat mein Freund gesagt, bevor er angerufen hat", so M. Mario H. sitzt seitdem in Untersuchungshaft. Von dort aus schrieb er Evelyn M. noch einen Liebesbrief. "Das bin nicht ich, sondern die Drogen und der Alkohol", zitiert der Richter das Schriftstück. "Du bist die Liebe meines Lebens, ich will dich heiraten. Ich werde mich ändern und mir Arbeit suchen. Du bist mein Leben."

Evelyn M. möchte keinen Kontakt mehr zu H., wie sie sagt. "Ich hatte Angst, hier heute herzukommen und ihn wiederzusehen", sagt sie dem Richter. Von der Tat habe sie schwere Narben davongetragen, seelisch und körperlich, so M. "Ich erschrecke mich, wenn ich mich im Spiegel sehe. Ich bekomme Angstzustände, wenn es an der Tür klingelt." Doch sie versuche nach vorne zu blicken, so M. "Ich möchte wieder anfangen zu arbeiten. Und die Wohnung renovieren, neue Möbel. Ich will nicht ständig erinnert werden." Denn die Couch mit den Brandflecken stehe noch immer in ihrem Wohnzimmer.

Verwendete Quellen
  • Reporter vor Ort
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