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Kampf gegen Kinderpornografie | Ermittler: "Das fasst mich nach Jahren noch an"


Spezialeinheit kämpft gegen Kinderpornografie
Am schlimmsten sind die Schreie


25.10.2023Lesedauer: 5 Min.
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Martin Ehlers, Leiter des Bereichs Ermittlungen in der "BAO Tera" sagt: "Den Standardfall gibt es nicht."Vergrößern des Bildes
Martin Ehlers, Leiter des Bereichs Ermittlungen in der "BAO Tera" sagt: "Den Standardfall gibt es nicht." (Quelle: Marie Illner)

Seit vergangenem Jahr gibt es in Bochum eine Spezialeinheit im Kampf gegen Kinderpornografie – die "BAO Tera". Wie sie Pädokriminellen auf die Spur kommt.

Triggerwarnung: In diesem Artikel geht es um polizeiliche Ermittlungsarbeit im Bereich von Besitz und Verbreitung von Kinderpornografie. Der Text enthält Passagen mit Berichten über Fälle von Missbrauch an Kindern. Diese können negative Reaktionen auslösen.

Wenn Martin Ehlers und sein Team vor der Tür stehen, ist die Sonne meist noch nicht aufgegangen. Oft reißt sein Klingeln Familien aus dem Schlaf, fast immer öffnet jemand im Schlafanzug. Die Beamten händigen dann den Durchsuchungsbeschluss aus, klären über Rechte auf und bitten um Zutritt zu den Räumlichkeiten. Fast 270 Mal ist das in diesem Jahr im Gebiet Bochum, Herne und Witten schon passiert.

Fast nie geht der Auftritt der Ermittler mit lautem Getöse einher. Im Gegenteil. Meist wird es ruhig, wenn die Beschuldigten den Vorwurf auf dem Durchsuchungsbeschluss lesen: Verdacht auf Besitz und Verbreitung von Kinderpornografie. Ehefrauen, die anwesend sind, sprechen ab diesem Zeitpunkt oft kein Wort mehr. Leise werden Türen zugezogen, um neugierige Blicke der Nachbarn zu vermeiden, später werden Festplatten, Laptops und Tablets aus dem Haus getragen.

Täter sind Akademiker und Arbeiter

"Wir durchsuchen Ein-Zimmer-Wohnungen genauso wie videoüberwachte Villen", sagt Chefermittler Ehlers. In beiden Fällen brechen mit dem Besuch der Beamten Dämme. Denn wenn die abscheulichen Straftaten ans Licht kommen, gehen Existenzen zugrunde.

Unvorbereitet gehen die Beamten nie in die Situation. Sie wissen, was über den Beschuldigten polizeibekannt ist und sind vorab am Objekt vorbeigefahren. Den Standardfall? "Gibt es nicht. Akademiker sind ebenso dabei wie einfache Arbeiter, Familienväter genauso wie Singles", sagt er. Der 60-jährige Ehlers leitet als sogenannter Einsatzabschnittsführer den Bereich Ermittlungen in der "Besonderen Aufbauorganisation Tera" (BAO Tera). Die Einheit verfolgt Fälle von Kinderpornografie und hat sich im vergangenen Jahr in Reaktion auf die immens steigenden Fallzahlen gegründet.

Datenmenge kaum zu bewältigen

An anderen Orten tragen diese Polizeieinheiten Namen wie "Herkules" oder "Hydra" – ein vielköpfiges Monster der griechischen Mythologie, dem Körperteile immer wieder nachwachsen. In Bochum spielt man auf "Terabyte" als Symbol für die schier unendlichen Datenmengen an Kinderpornografie im Netz an.

Genau die konnten Ehlers und sein Team zuletzt im Kriminalkommissariat (KK) 12, das für Sexualdelikte zuständig ist, kaum mehr bewältigen. Hauptgrund für die rasant gestiegenen Zahlen: Plattformen und Dienste wie Facebook, DropBox oder WhatsApp sind inzwischen gesetzlich verpflichtet, Missbrauchsdarstellungen zu melden. In der Vergangenheit erfolgten Meldungen nur freiwillig.

Viele Hinweise kommen mittlerweile aus den USA

85 Prozent aller Hinweise kommen inzwischen aus den USA. Im Vergleich zwischen 2020 und 2021 haben sich deutschlandweit die Fälle von Kinderpornografie mehr als verdoppelt, auf etwa 39.000 Fälle (plus 108,8 Prozent).

"Die halbstaatliche amerikanische Organisation NCMEC (National Centre for Missing and Exploited Children – Nationales Zentrum für vermisste und ausgebeutete Kinder) gibt Hinweise an das Bundeskriminalamt", sagt Antje Wippermann. Die 58-Jährige leitet die zuständige Kriminalinspektion 1 und hat maßgeblich am Aufbau der Einheit mitgewirkt. Nach erfolgtem Hinweis leite das BKA dann ein Ermittlungsverfahren ein und frage beispielsweise Provider ab, wem die IP-Adresse wann zugeordnet war. "Das muss schnell gehen, denn die Provider speichern diese Daten nicht lange", erklärt Ehlers.

Führt die Spur nach Bochum, Witten oder Herne, landet der Fall über Landeskriminalamt (LKA) und Staatsanwaltschaft schließlich bei einem der 20 Ermittlerinnen und Ermittler aus dem "BAO Tera"-Team. Wie schnell dieser Prozess läuft, hängt davon ab, ob die Behörden akute Gefahr für ein Kind sehen. "Ein Großteil des Materials, das wir online sehen, ist bereits bekannt", sagt Ehlers.

Komisches Gefühl bei Hausdurchsuchung

Es kommt aber auch vor, dass die "BAO Tera" einen laufenden Missbrauch aufdeckt. Solche Fälle bleiben besonders in Erinnerung. Ehlers weiß noch genau: "Wir haben die Wohnung eines Mannes durchsucht und in diesem Zuge auch standardmäßig Fotos der Einrichtung gemacht." Auf der Wache ließ ihn dann ein unbestimmtes Gefühl nicht los. "Normalerweise nimmt die Auswertung der beschlagnahmten Geräte einige Zeit in Anspruch. Hier haben wir aber sofort ins Handy des Beschuldigten geschaut", sagt er.

Was die Ermittler fanden, schockt sie auch nach Jahren im Dienst noch. Auf den Aufnahmen erkannten sie das Sofa aus der Wohnung wieder, das kleine Mädchen von den Bildern an der Wand. Der Mann hatte seine knapp anderthalb Jahre alte und schwerstbehinderte Nichte auf grausamste Art und Weise missbraucht.

Ermittler: Am schlimmsten sind die Schreie

Wie gehen die Kriminalbeamten mit solchen Aufnahmen um? Wie erträgt man es, ein hilfloses Kind zu sehen, das sich nicht wehren kann? "Das fasst mich auch nach Jahren noch an", sagt Ehlers. Wer behaupte, es lasse ihn kalt, der sage nicht die Wahrheit, ist er sich sicher.

Bei der "BAO Tera" haben die Büros immer die Türen geöffnet, einige Mitarbeiter sitzen in Großraumbüros nebeneinander. Am schlimmsten, so berichten es die Ermittler, seien die Videos, in denen im Hintergrund die Schreie und das Weinen der Kinder zu hören sind. Wut, Mitleid und das Bedürfnis, Täter und Konsumenten zu packen, vermischen sich dann. "Wir haben gelernt, damit umzugehen. Aber angesichts solcher Bilder: Jeder von uns hatte beim Einsatz schon einmal die Faust in der Tasche", räumt Ehlers ein.

"Wir können den Sumpf nicht austrocknen"

Damit sie in der Tasche bleibt, haben die Beamten feine Sensoren für die Stimmung der anderen. "Wir achten aufeinander", bekräftigt Wippermann. Tägliche Besprechungen und regelmäßige Supervisionen gehören dazu, ebenso die Möglichkeit, jederzeit zu sagen: "Ich kann das nicht mehr." Aber: "Jeder, der hier im Team ist, hat sich bewusst für diese Position entschieden", sagt sie.

Die meisten haben eigene Kinder. "Wir alle werden im privaten Umfeld gefragt: Wie kannst du dir so was angucken?", berichtet Ehlers. Jeder hat seine eigene Antwort darauf, allen gemein: Die Arbeit der "BAO Tera" lindert das Leid von Kindern. "Uns ist klar, dass wir den Sumpf nicht austrocknen und den Konsum völlig verhindern können", sagt Wippermann. Man wolle aber Missbrauch verhindern. "Kinderpornografie ist wie eine Droge. Irgendwann wollen die Konsumenten es meist selbst machen", so die Expertin.

Vorschriften sind durch Reform verschärft worden

Bei den Fällen, die Ehlers und sein Team bearbeiten, kommt es allerdings auch nicht selten vor, dass Kinder oder junge Heranwachsende die Beschuldigten sind. "Der Begriff Kinderpornografie hat einen Wandel erfahren", weiß Wippermann. Durch die Strafrechtsreform 2021 seien die Gesetze massiv verschärft worden. "Es gibt keine einfache Verfahrenseinstellung mehr. Ein Bild reicht", sagt Ehlers.

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Durch die Reform wird sexualisierte Gewalt gegen Kinder bereits im Grundtatbestand als Verbrechen geahndet. Auch die Verbreitung, der Besitz und die Besitzverschaffung von Kinderpornografie werden als Verbrechen eingestuft.

Appell an Eltern: Digitale Kompetenzen trainieren

Das führt dazu, dass auch ein Nacktfoto, welches eine 13-Jährige ihrem gleichaltrigen Freund schickt, rechtlich problematisch werden kann. "Es war sicherlich nicht die Absicht des Gesetzgebers, aber es fällt zunehmend schwer, die Spreu vom Weizen zu trennen. Wir müssen jede Straftat verfolgen", sagt Wippermann.

Sie appelliert an Eltern, ihren Kindern digitale Kompetenzen zu vermitteln. Auch solche Fragen gehören dazu: Was passiert mit einem Foto von mir im Netz? Was darf man fotografieren und was ist verboten? Und: Wie verhalte ich mich, wenn jemand Nacktfotos von mir verlangt? "Wenn wir auf dieser Seite entlastet werden, bleibt mehr Kapazität für die Aufklärung der Missbrauchsfälle", sagt Wippermann.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
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