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Rhein-Main-Gebiet: Wut auf "Fahrrad-Demonstranten"


Radfahrer-Demo auf der A66
Wenn Autofahrer über "rücksichtslose Fahrradhelmdeppen" schimpfen

Von Sophie Vorgrimler

Aktualisiert am 28.08.2022Lesedauer: 4 Min.
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Hat sein Auto schon vor 17 Jahren abgeschafft: Yul Paff.Vergrößern des Bildes
Hat sein Auto schon vor 17 Jahren abgeschafft: Yul Pfaff. (Quelle: Sophie Vorgrimler)

Rund 10.000 Radfahrer traten bei einer Demo auf der für Autos gesperrten A66 in die Pedale. Sie waren begeistert von dem "super qualitativen Radweg".

So weit, so normal: Links ist klar gekennzeichnet, die Einfahrt ist verboten, und rechts zeigt ein großes Schild: Autobahn-Auffahrt. Nach der Rechtskurve geht es normalerweise darum, auf rund 100 Stundenkilometer zu beschleunigen und sich schnellstmöglich in die rasende Automasse einzuordnen. Nicht so am Sonntagmittag am Frankfurter Römerhof.

Tausende Menschen strampeln gemütlich radfahrend auf die für sie gesperrte A648; am Eschborner Dreieck wechseln sie auf die A66 in Richtung Wiesbaden. Für vier Stunden müssen Autofahrer über Landstraßen ausweichen oder den öffentlichen Nahverkehr nutzen. Der Grund: Die Initiative Verkehrswende Hessen hat zu einer Demonstration aufgerufen. Am Ziel sollen dem hessischen Verkehrs- und Energie-Minister Tarek Al-Wazir (Grüne) mindestens 44.000 Unterschriften überreicht werden.

Demonstranten fordern Anschlusslösung für Neun-Euro-Ticket

Am Mittag vor dem Messegelände in Frankfurt ist die Ungeduld groß: Wann geht es los, wann wird das Absperrband endlich geteilt? Immer mehr Radfahrer trudeln an der Friedrich-Ebert-Anlage ein und drängen sich in Richtung Diba-Bank und Maritim-Hotel, wo der Pulk um 13 Uhr losfahren soll. Manche sind schon aus Darmstadt, Friedberg oder Hanau mit dem Rad gekommen.

Die letzten setzen an einem Stand ihre Unterschrift unter das Volksbegehren. Die Forderungen werden von einer Bühne verlesen: Die zügige Förderung des ÖPNV, eine Anschluss-Lösung für das 9-Euro-Ticket. Kein Ausbau von Autobahnen wie im Frankfurter Osten, wo demnächst ein kleiner Stadtwald dem Asphalt Platz machen soll. Es geht darum Radfahrern und Fußgängern mehr Platz in den Städten einzuräumen und um den Schutz der Natur.

Auch eine Siebenjährige strampelt mit

In der Menge wartet ein Mädchen mit Erbeerhelm darauf, dass der Startschuss endlich fällt. Die 7-jährige Carlotta ist mit ihren Eltern und ihrem Bruder gekommen. "Wir sind viel mit dem Fahrrad in der Stadt unterwegs", sagt ihr Papa. "Sie kommt jetzt in die Schule, da würden wir uns freuen, die Radwege wären sicherer.

Es passiert zwar schon was, aber das geht zu langsam." Ob das Mädchen die ganze Strecke bis nach Wiesbaden schafft, ist noch nicht sicher, sagt ihre Mama. "Notfalls können wir das Rad an meinem Lastenrad befestigen und sie in den Anhänger setzten." Ein bisschen aufgeregt ist Carlotta auch. Auf der Autobahn Fahrrad fahren — das macht man ja nicht alle Tage.

Musik mit Fahrradklingeln

Schon häufiger an Sternfahrten mit dem Rad teilgenommen hat Yul Pfaff. „Ich bin gegen den Autobahnausbau. Schon vor 17 Jahren habe ich mein Auto abgeschafft“, sagt der 80-jährige mit Banksy-T-Shirt. "Das geht gut. Aber viele Leute sind zu bequem dazu." Er sei immer viel Rad gefahren, für die Tour wird er aber von seinem E-Antrieb unterstützt. "Viele sind noch nicht bereit dazu, ihre Gewohnheiten zu ändern. Aber die Natur wird sie dazu zwingen." Der Klimawandel, die Dürre zeigten das deutlich, politisches Handeln sei nötig.

Mit leichter Verspätung um 13.20 Uhr ist es dann so weit: Mehrere tausend Menschen schieben sich auf ihren Rädern zur Autobahn. Manche haben Boxen mit Musik dabei, die meisten lassen ihre Fahrradklingeln Musik machen. Nach dem noch stockenden Start an der Friedrich-Ebert-Anlage geht es dann mit rund 15 Stundenkilometern weiter.

Vegane Burger und afrikanisches Streetfood

Gegen 16 Uhr sind die meisten mit ihren Rädern in den Reisinger Anlagen gegenüber des Wiesbadener Hauptbahnhofs angekommen. Dort hat den Tag über eine Band Musik gespielt. Es gibt Stände mit veganen Burgern oder afrikanischem Streetfood, einen Eiswagen, Trinkwasserspender und viele Informationsstände von Vereinen wie dem Allgemeinen Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) oder dem Verein "Wiesbaden neu bewegen".

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"Es ist schon ein komisches Gefühl, diese breite Straße und diese riesigen Schilder zu sehen", sagt der 25-jährige Arman nach der Ankunft in Wiesbaden. Der Student ist mit Freunden aus Darmstadt über Frankfurt gekommen. "Aber man muss sagen: Das war ein super qualitativer Radweg. Wenn alle Radwege so wären, das wäre schön", sind sie sich einig. Sie haben aber nicht nur den Fahrkomfort genossen, sondern sind aus Überzeugung mitgefahren.

Nicht alle sind von der Sperrung begeistert

"Der motorisierte Individualverkehr in den Städten muss weniger werden", sagt Arman. "Die Autos nehmen den Menschen zu viel Platz weg, und man fühlt sich in den Straßen einfach oft nicht wohl."

Doch nicht alle sind von der Aktion und der Autobahn-Sperrung begeistert. In den sozialen Medien finden sich viele negative Kommentare. Eine Nutzerin fragt sich, wie sie vom ZDF-Fernsehgarten aus Mainz nach Hause kommen soll, viele ärgern sich über mögliche Staus auf den Umleitungsstrecken, schimpfen über "rücksichtslose Radfahrer" und sind sicher, dass die Verkehrswende nur eine Minderheit von Aktivisten befürworten. Eine Frau schreibt: "Peinlicher können es die Fahrradhelmdeppen echt nicht machen. Oder soll ich mal mit meinem Auto eine Demo auf einem Fahrradweg starten?"

Veranstalter gehen von 10.000 Teilnehmern aus

Auch die Autobahn GmbH hatte am Freitag, zwei Tage vor der Demo, versucht, gerichtlich gegen die seit drei Monaten geplante Demonstration vorzugehen – ist aber in den allermeisten Punkten gescheitert. Lediglich eine kurze Pause und einige Autobahn-Auffahrten mussten gestrichen werden.

"Als Radfahrer weiß man, wie schnell ein ganzer Radweg gestrichen wird, wenn es eine Baustelle gibt. Aber wenn für vier Stunden die Autobahn gesperrt wird, scheint das eine Katastrophe zu sein", heißt es von der Bühne. 8.500 Teilnehmerinnen und Teilnehmer wurden an der Ausfahrt in Wiesbaden gezählt. Einige seien jedoch schon vorher abgefahren, man gehe von 10. 000 Radfahrern aus. Als dem Hessischen Verkehrsminister Tarek Al-Wazir mehr als 70.000 Unterschriften überreicht werden, ist der Applaus groß.

Verwendete Quellen
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