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Mit dem Kältebus durch Frankfurt: Wir wollen nicht, dass jemand stirbt"


Mit dem Kältebus durch Frankfurt
"Wenn es so kalt ist, kann man nichts ausschließen"

Von Sabine Schramek

19.12.2022Lesedauer: 5 Min.
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Die Mitarbeiter des Kältebusses helfen Obdachlosen: Ihre Dienste retten Leben.Vergrößern des Bildes
Die Mitarbeiter des Kältebusses helfen Obdachlosen: Ihre Dienste retten Leben. (Quelle: Sabine Schramek)

Sobald die Temperaturen eisig werden, macht sich der Kältebus auf den Weg durch Frankfurt – für viele obdachlose Menschen die letzte Rettung.

Die Bäume tragen Weiß, Karl-Heinz D. trägt Socken in zerrissenen Sandalen. Der Schnee unter seinen Füßen knirscht hart, in seinem braunen Bart glitzert Reif. Seine Handschuhe hält er in der Hand. Er steht bei minus acht Grad Celsius im Ostpark nicht weit entfernt von der hiesigen Obdachlosenunterkunft und bittet dick eingemummelte Gassi-Geher und Morgenjogger um Geld. "Danke", murmelt er leise und freut sich über eiskalte Münzen in der noch kälteren Hand. "Ich schlafe immer hier. Draußen würde ich es nicht aushalten."

D. hat Glück im Unglück. Er ist wohnungslos, hat aber eine Bleibe in der Unterkunft, vor der ein weißer Kleintransporter vorfährt. Auf der Motohaube und an den Seiten sind orangefarbene Querbalken aufgeklebt mit der weißen Aufschrift "Kältebus 43 14 14". Johannes Heuser und Elfie Ilgmann-Weiß parken vor dem Tor der Unterkunft, deren Wände in allen Farben schillern. Beide arbeiten beim Frankfurter Verein für soziale Heimstätten. Schnell gehen die Sozialarbeiter, die sich seit über 30 Jahren um Obdachlose kümmern, hinein ins Warme.

Seit 17 Jahren sind sie mit dem Kältebus unterwegs. Beide kommen aus der aufsuchenden Sozialarbeit. Heuser ist jetzt der stellvertretende Leiter für Hilfen im Winter und kümmert sich um den Kältebus und die Notübernachtung in der U-Bahnstation Eschenheimer Tor, in welcher in der Nacht von Samstag auf Sonntag 130 Menschen übernachtet haben. Ilgmann-Weiß koordiniert den Sozialdienst.

"Wir wollen nicht, dass jemand stirbt"

Die beiden sind ein eingespieltes Team. Sie sichten routiniert die Anrufe, die in den letzten Stunden reingekommen sind. "Eigentlich ist der Kältebus nur nachts zwischen 20.30 Uhr und 5 Uhr unterwegs. Jetzt fahren zwei Teams auch ab 6 Uhr morgens tagsüber durch die Stadt", so Heuser. 69 Personen auf der Straße wurden in dieser Nacht gemeldet. Zehn weitere Anrufe sind schon am Morgen eingegangen.

Mit frischem Kräutertee, Süßigkeiten, Wasserflaschen, Alumatten, Schlafsäcken, die bis minus 21 Grad Celsius warm halten, sowie weichen, warmen Decken im Wagen fahren sie los in Richtung Europäischer Zentralbank (EZB). "Da ist eine aktive Platte", weiß Ilgmann-Weiß. "Aber gestern Nacht war niemand da", zeige das Protokoll der Kollegen. "Wir gucken trotzdem noch mal." Die "aktive Platte" in einer extrem zugigen Ecke mit Blick auf den gläsernen Sitz der EZB besteht aus einem sorgfältig hergerichteten Schlaflager vor Glastüren an einer Klinker-Hauswand.

Eine weiß bezogene Matratze, darauf ein aquamarinfarbener Schlafsack, eine Nussdose daneben, in der einige Münzen liegen. An der Kopfseite steht eine Einkaufstüte aus Papier mit Lebensmitteln. Es ist bitterkalt. Ob hier jemand liegt, lässt sich nicht sehen. Beide gehen hin und rufen. Keine Reaktion. Sie tippen mit den Fingern auf den Schlafsack. Er ist leer. "Normalerweise halten wir Abstand, aber wenn es so kalt ist, kann man nichts ausschließen", so Heuser. Er vermutet, dass die Person eine wärmere Bleibe für die Nacht gefunden hat. "Wir fahren auch heute Abend hier vorbei. Wir wollen nicht, dass jemand stirbt."

Am 15. Dezember ist im Gallusviertel ein 46-Jähriger vor einem Supermarkt erfroren. Der Obdachlose war im Viertel und auch dem Frankfurter Verband bekannt. "Das ist sehr, sehr traurig", sagt Heuser. "Weder der Supermarkt noch Bürger haben ihn bei uns gemeldet. Zuletzt wurden wir Mitte November dorthin gerufen. Die Kollegen waren dort, aber es war niemand da." Die beiden sind sichtlich betroffen. "Es ist wichtig, den Kältebus zu rufen, wenn jemand bei diesen Temperaturen auf der Straße schläft, und uns die genaue Adresse oder Stelle mitzuteilen. Wir kommen und helfen", sagen sie.

Es geht weiter nach Sachsenhausen. In einer Hausnische steht ein Einkaufswagen voller Tüten, davor eine Isomatte mit zwei ausgebreiteten Schlafsäcken. Auf Ansprache reagiert der Mann, der sich dort aufhält. Er ist unwirsch. Geduldig bieten ihm die Sozialarbeiter heißen Tee an. Er will nicht und schickt sie weg. Sie versuchen es weiter. Der Mann verweigert alles. Direkt um die Ecke sitzt ein Mann neben einer Bäckerei, mit Anorak, blauer Wollmütze und Handschuhen. Er hat eine Bettdecke über die Beine gelegt und einen Plastikbecher neben sich.

Der Kältebus bringt Obdachlosen Linderung und manchen eine Unterkunft.
Der Kältebus bringt Obdachlosen Linderung und manchen eine Unterkunft. (Quelle: Sabine Schramek)

Hilfe für Obdachlose

Wer obdachlose Menschen nachts bei großer Kälte auf den Straßen sieht, wird gebeten, den Kältebus unter 069/ 43 14 14 zu informieren. Der Bus ist in der kalten Jahreszeit zwischen 21.30 und 5 Uhr im Stadtgebiet unterwegs, er bietet den Transport in eine Übernachtungsstätte, Decken, Schlafsäcke und einen warmen Tee an. Alternativ ist auch die städtische Hotline 069/212-70070 für soziale Notlagen rund um die Uhr besetzt.

Eine Passantin schenkt ihm ein Brötchen. Er strahlt. Seit zwei Monaten sei er hier. Vorher war der Rumäne, der fünf Kinder zu Hause hat, in Italien und Spanien. "Es ist kalt", sagt der 40-jährige Kemal S., der Italienisch spricht. Er sei alleine unterwegs und nachts in der Gartenstraße. Ein Finger ist verletzt und mit einem dreckigen Verband versehen. Die beiden Helfer fragen ihn, ob er die Unterkunft am Eschersheimer Tor kennt. Er schüttelt den Kopf. Aber er wolle heute Nacht dorthin gehen. "Dort ist es warm, es gibt Frühstück und jemand kann sich den Finger ansehen", erklärt Ilgmann-Weiß. "Danke. Von Herzen", sagt er. Nachts wird der Kältebus noch einmal nachsehen, ob der Mann wirklich weg ist von der Straße. "Wenn er will, fahren wir ihn dorthin."

"Wir schicken niemanden weg, wenn es so gefährlich kalt ist"

Unter einer Bahnunterführung ist eine weitere "Platte". Sie ist leer. Nur ein orangefarbener Schlafsack liegt dort sowie Müll. An der Wand steht in Großbuchstaben das Wort "müde". "Hier war jemand. Die Person ist seit Kurzem im Krankenhaus", erklärt Heuser. Dennoch checken beide die Reste der "Platte", falls doch jemand dort sein sollte. Im Westend wurde eine Frau auf einer Parkbank gemeldet. Es liegen neue Decken auf der Bank und Tüten.

Die Frau ist nicht zu sehen. Aber eine Anwohnerin ist vor Ort. "Ich habe mit ihr gesprochen. Sie sagte, sie habe Geld und wolle nicht zum Eschersheimer Tor, sondern in ein Hotel", erzählt sie den Sozialarbeitern. "Sie ging aber nicht und ich habe überlegt, ob sie in meinem Auto schlafen kann. Das ist ja keine Hilfe, weil es da genauso kalt ist wie draußen. Sogar die Feuerwehr habe ich gerufen. Sie wollte keine Hilfe vom Rettungsdienst. Jetzt suche ich sie. Ich habe die Befürchtung, dass sie hier irgendwo ist." Das Team sucht auf den anliegenden Grünflächen. Sie ist weg.

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Auf einer anderen Parkbank steht eine große Tüte. Ein junger Mann in sauberen Klamotten und weißen Turnschuhen sitzt daneben. Die Tüte wirkt merkwürdig an diesem Sonntagmorgen. Heuser und Ilgmann-Weiß sprechen ihn an und liegen richtig. Der Mann hat kein Obdach. Seit vier Wochen ist der Rumäne Konstantin A. (36) in der Stadt und spricht perfekt Deutsch. "Ich schlafe im Holzhausenpark. Das geht schon", sagt er bescheiden. "Ich habe versucht, eine Unterkunft zu bekommen, aber es gab keinen Platz", sagt er.

Ilgmann-Weiß ruft sofort in der Obdachlosenunterkunft am Ostpark an. Ein Platz in einem Zweibettzimmer ist frei. Sie bietet es ihm an. A. guckt erst ungläubig. Dann strahlt er und nickt. "Oh ja. Bitte. Es ist so kalt draußen. Ich gehe gleich hin", sagt er. Das Bett ist für ihn reserviert. Er kann sich aufwärmen und ausruhen. Zwei Stunden später ist er noch nicht dort. "Falls er nicht auftaucht, suchen die Kollegen ihn heute Abend und nehmen ihn mit, wenn er will", so Heuser.

In der letzten Nacht waren 196 Obdachlose in der Unterkunft im Ostpark, 56 davon Frauen. Auf der Straße wurden 69 Personen gemeldet, sechs davon Frauen. "Wir schicken niemanden weg, wenn es so gefährlich kalt ist", sagt Heuser. Er appelliert dringend an Bürger, die Augen offenzuhalten und jeden Obdachlosen beim Kältebus unter der Telefonnummer 069-43 14 14 zu melden. Bei medizinischen Notfällen oder wenn die Person nicht ansprechbar ist und keine Reaktion zeigt, können auch der Rettungsdienst unter 112 oder die Polizei unter 110 gerufen werden.

Verwendete Quellen
  • Eigene Beobachtungen vor Ort
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