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Hanau nach dem Anschlag: Wie die Wut und Trauer in der Stadt bleiben


Zwei Jahre nach Hanau-Attentat
Wie die Wut und Trauer in der Stadt bleiben

Von Stefan Simon

19.02.2022Lesedauer: 4 Min.
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Gedenkdemonstration am Jahrestag des Anschlags von Hanau: die Namen der Opfer niemals vergessen.Vergrößern des Bildes
Gedenkdemonstration am Jahrestag des Anschlags von Hanau: die Namen der Opfer niemals vergessen. (Quelle: Patrick Scheiber/imago-images-bilder)

Der rassistisch motivierte Anschlag hat Hanau verändert. Die Erinnerung an die Opfer ist dauerpräsent. Die Menschen in der Stadt halten zusammen. Ein Ortsbesuch.

Abdulkerim Sağlam sitzt auf einer Bank am Heumarkt in der Hanauer Innenstadt. Er zieht seine Augenbrauen zusammen. Sein Blick ist ernst. Zwei Jahre nach dem rassistischen Anschlag am 19. Februar 2020 sei die Trauer noch immer groß, sagt er. "Sie werden nie zurückkommen. Das schmerzt. Das Vertrauen in die Behörden ist angeschlagen. Die Familien kämpfen für eine lückenlose Aufklärung. Ich kann mein Leben normal weiterführen, aber sie können das nicht", sagt er.

Er schaut auf die gegenüberliegende Straßenseite. Dort, wo in der Bar "La Votre" gegen 21.50 Uhr ein Attentäter den Mitarbeiter Kaloyan Velkov am 19. Februar 2020 erschießt, und auf der Straße vor der Bar Fatih Saraçoğlu. In der Shisha-Lounge "Midnight" stirbt das dritte Opfer, Sedat Gürbüz. Zehn Minuten später ermordet der Attentäter Vili Viorel Păun in seinem Auto am Kurt-Schumacher-Platz in hanau-Kesselstadt.

Danach sterben in der "Arena-Bar" und dem anschließenden Kiosk Gökhan Gültekin, Mercedes Kierpacz, Ferhat Unvar, Hamza Kurtović und Said Nesar Hashemi. Neun Menschen. Ermordet von einem Rassisten.

Der 19. Februar 2020 hat tiefe Wunden in der Stadt hinterlassen, aber auch in der Region. In Frankfurt etwa erinnert unter der Friedensbrücke an den Anschlag ein 27 Meter langes Wandbild mit den Porträts der Opfer und den Worten "Rassismus tötet" sowie "Niemals vergessen". In Bruchköbel, unweit von Hanau, erinnert ein Wandgemälde mit weißen Tauben vom Künstlerkollektiv "Kollektiv ohne Namen" an die Ermordeten. Die Angehörigen und Freunde gründeten die Initiative 19 Februar.

Initiative 19. Februar: Die Namen nicht vergessen

Mit Beharrlichkeit erkämpften sie den Untersuchungsausschuss zu Hanau im hessischen Landtag. Sie sorgten über Social Media mit dem Motto "#saythernames", mit Aufklebern, unzähligen Postern und T-Shirts dafür, dass die Namen der neun Opfer nicht in Vergessenheit geraten.

Um die Erinnerung geht es an vielen Orten in der Stadt. Am Heumarkt etwa steht ein Mahnmal. Neben der Bar "La Votre", die jetzt "Café Aras" heißt, hängt eine Gedenktafel. In der Innenstadt und an Bussen kleben Plakate mit den Gesichtern der Opfer. In drei weißen Ehrengräbern sind auf dem muslimischen Gräberfeld des Hauptfriedhofs drei Opfer bestattet. An die sechs anderen, die anderswo begraben sind, erinnern weiße Gedenksteine.

Zurück am Heumarkt zu Sağlam. Er verlor am ersten Tatort zwei seiner Freunde und verarbeitete die Trauer und die Wut in einem Lied. Der junge Hanauer ist Nachwuchsrapper. Er nennt sich "Aksu". In dem Lied fragt er: "Jetzt sagt mir, wo wart ihr, als sie kamen und sie von uns nahmen?" Damit meint er die Einsatzkräfte in der Tatnacht.

Abdulkerim Sağlam: "Ich vermisse sie sehr"

Sağlam erzählt, dass er nicht mit allen Opfern befreundet war. "Aber ich kenne sie aus dem Jugendzentrum, durch Brüder. Wir sind alle aus einem Stadtteil. Da kennt man sich." Auf die Frage, wie sehr er seine Freunde vermisse, verzieht Sağlam wieder seine Augenbrauen. Er denkt nach. Sekunden vergehen. Dann sagt er: "Sehr. Ich vermisse sie sehr."

Dann steht der junge Hanauer auf und läuft ein paar Meter weiter in die Räume der Initiative 19. Februar. Hier laufen derweil die Planungen für die Gedenkdemonstration und Trauerveranstaltungen am Samstag auf Hochtouren. Sie beantworten E-Mails, führen per Zoom Interviews. Von morgens bis abends seien sie täglich hier, sagt Newroz Duman von der Initiative. Sie wirkt erschöpft. "Es ist extrem viel zu tun. Wir müssen viel parallel organisieren."

Bundesweit seien in über 100 Städten Demonstrationen geplant. In Hanau selbst werde neben der Demonstration, die gemeinsam mit Jugendgruppen organisiert werde, am Abend an beiden Tatorten an die Opfer erinnert.

Auf Tischen liegen verschiedene Aufkleber und Flyer. An einer Wand hängt eine Collage aus mehreren Fotos von Veranstaltungen, der Angehörigen und Opfer. Um die Collage herum steht "Zusammen, Erinnern, Verändern".

Hanauer Fußballverein organisiert Benefizspiele

Auch ein älterer türkischstämmiger Mann organisiert für Samstag eine Veranstaltung. Er steht gegenüber den Räumen der Initiative und raucht eine Zigarette. Er trägt einen langen Winter-Sportparka mit dem Emblem des Fußballvereins Türkgücü Hanau. Er ist Jugendtrainer im Verein. "Wir organisieren zwei Benefizspiele, um an die Opfer zu gedenken", sagt er.

Er steht wenige Meter vom Mahnmal entfernt. Es kämen immer wieder die Erinnerungen hoch, wenn er davorstehe, erzählt er. "Das war eine Hinrichtung. Ich werde diesen Tag niemals vergessen." Für alle in der Stadt sei dieser Tag sehr schwer. "Wir stehen zusammen und wir wollen endlich wieder in Ruhe durch die Straßen laufen. Aber vor allem wollen die Angehörigen endlich Aufklärung, was alles in der Tatnacht passiert und schiefgelaufen ist", sagt er.

Und selbst wenn durch den Untersuchungsausschuss alle Fragen beantwortet werden sollten; eines werden die Angehörigen, die Freunde, die Menschen in der Stadt und große Teile der Zivilgesellschaft niemals tun: die Namen vergessen.

Oder, um es mit Worten des jungen Hanauers Sağlam aka "Aksu" aus seinem Lied "Wo wart ihr" zu sagen: "Vergiss nicht die Tat vom 19. Februar." Dann zählt er die Namen der Opfer des rassistisch motivierten Anschlags in Hanau auf: "Gökhan, Sedat, Nesar, Mercedes, Hamza, Vili Viorel, Fatih, Ferhat, Kaloyan."

Verwendete Quellen
  • Recherche vor Ort
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