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Hasskriminalität im Internet: Hessen feiert sich für nichts


Hasskriminalität im Internet
Hessen feiert sich für nichts

MeinungVon Stefan Simon

Aktualisiert am 30.05.2022Lesedauer: 3 Min.
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Frankfurter Polizeibeamte und Moderator Jan Böhmermann: "ZDF Magazin Royale" bescheinigt der hessischen Polizei ein positives Zeugnis im Kampf gegen Hasskriminalität. Das größte Problem hat die Polizei in ihren eigenen Reihen.Vergrößern des Bildes
Frankfurter Polizeibeamte und Moderator Jan Böhmermann: "ZDF Magazin Royale" bescheinigt der hessischen Polizei ein positives Zeugnis im Kampf gegen Hasskriminalität. Das größte Problem hat die Polizei in ihren eigenen Reihen. (Quelle: Fotomontage/t-online/imago-images-bilder)

Die Polizei tut sich bundesweit offenbar schwer im Kampf gegen Hass im Internet, zeigt eine Recherche. Beim Test in Hessen lief es wohl gut. Dafür feiert sich das Land – hat aber die größten Probleme in den Reihen der eigenen Polizei.

"Spätestens seit dem Mord an Walter Lübcke nehmen wir den Kampf gegen Hass und Hetze auch im Internet sehr ernst." Nach dieser Aussage des hessischen Innenministeriums rümpft wohl der eine oder andere zu Recht die Nase. Denn die Aussage kann sehr kritisch betrachtet werden, auch wenn die Redaktion der Fernsehsendung "ZDF Magazin Royale" um Moderator Jan Böhmermann der hessischen Polizei einen deutlich besseren Umgang mit Hasskriminalität in sozialen Medien bescheinigt als den Polizeibehörden in anderen Bundesländern.

Das positive Zeugnis wird lediglich dem Polizeirevier in Darmstadt ausgestellt. Denn Recherchen ergaben, dass das dortige Revier alle relevanten Anzeigen von Polizisten sofort erkannt und an den Staatsschutz weitergeleitet hat. Selbstverständlich nimmt das Innenministerium das durchaus positive Ergebnis wohlwollend auf. Zumal man mit dem Meldeportal "Hass gegen Hetze" ein deutliches Stoppschild gegen Hasskriminalität setze, heißt es aus dem Innenministerium.

Das Innenministerium feiert sich also selbst, obwohl es die größten Probleme mit Hass in den Reihen der eigenen Polizei hat. Und auch die Aussage, dass man spätestens seit dem Mord an Lübcke Hasskriminalität sehr ernst nehme, scheint sicher für viele Betroffene der letzten Jahre wie ein Schlag ins Gesicht zu wirken. In den vergangenen zwei Jahren kamen Skandale um rechte Chatgruppen innerhalb der hessischen Polizei ans Licht. Welches Ausmaß diese haben, wurden vor rund zwei Wochen im Innenausschuss des Landtags deutlich.

Polizeiskandal in Hessen: 35 von 67 Chatgruppen geben Anlass für strafrechtliche Ermittlungen

Insgesamt seien 67 Chatgruppen bekannt geworden, von denen 35 Anlass für strafrechtliche Ermittlungen gegeben hätten, sagte Innenminister Peter Beuth (CDU), nachdem die Linksfraktion einen dringlichen Berichtsantrag in dem Ausschuss gestellt hatte. Wir nennen drei Beispiele, um die Dimension der Polizeiskandale um rechte Chatgruppen zu verdeutlichen.

Erstes Beispiel: Die Frankfurter Rechtsanwältin Seda Başay-Yıldız erhält am 2. August 2018 ein Fax. In dem anonymen Schreiben wird sie mitsamt ihrer Familie rassistisch beschimpft und mit dem Tode bedroht. Stets werden die Schreiben unterzeichnet mit "NSU 2.0", in Anlehnung an die rechtsterroristische Zelle "Nationalsozialistischer Untergrund". Ihre Daten wurden damals von einem Polizeicomputer im 1. Polizeirevier in Frankfurt abgerufen. 17 Mal werden ihre Daten eingegeben.

Seit Februar läuft in Frankfurt am Main der Prozess gegen den mutmaßlichen Verfasser der Drohschreiben. Im Zuge der Ermittlungen hat die Staatsanwaltschaft im Januar 2022 gegen fünf Beschuldigte des 1. Reviers Anklage erhoben, es sind vier Männer und eine Frau im Alter zwischen 31 und 37 Jahren. Ihnen werden die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, Volksverhetzung, Gewaltdarstellung, Beschimpfung von religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnissen sowie Besitz und Verbreitung pornografischer Schriften vorgeworfen.

Eine der fünf Angeklagten ist der Staatsanwaltschaft zufolge eine Polizeioberkommissarin, die zum Zeitpunkt der Abfrage der Daten von Başay-Yıldız mit ihren Zugangsdaten eingeloggt war.

Beamter nennt eigene Wohnung "Wolfsschanze"

Zweites Beispiel: Im April 2022 wird erneut eine Chatgruppe von Beamten enttarnt, in der rechtsextreme Inhalte ausgetauscht wurden. Die Staatsanwaltschaft Darmstadt ermittelt wegen möglichen Fehlverhaltens gegen mehrere Polizeibeamte. Das Verfahren richte sich gegen sechs Personen. Nach Angaben des Polizeipräsidiums Südhessens wurden bei Durchsuchungen bei den Beschuldigten Beweismittel sichergestellt und ausgewertet.

Recherchen der "Frankfurter Rundschau" zufolge habe einer der beschuldigten Beamten seine Wohnadresse in dem Chat als "Wolfsschanze" bezeichnet. Der Begriff bezeichnet das Hauptquartier von Adolf Hitler im Zweiten Weltkrieg. Er habe sich zudem in Diensträumen mit angeklebtem Hitler-Bart fotografieren lassen und dieses Bild auch verbreitet.

Frankfurter SEK wird nach Rechtsextremismus-Verdacht aufgelöst

Drittes Beispiel: Im Juni 2021 verkündet Innenminister Beuth, das Frankfurter SEK werde aufgelöst. Hintergrund ist ein Rechtsextremismus-Verdacht gegen mehrere Beamte. Ermittelt wird seitdem gegen 18 Beamte des SEK, einen ehemaligen sowie einen mittlerweile suspendierten Polizisten. Die Männer im Alter zwischen 29 und 54 Jahren sollen Mitglieder verschiedener Chatgruppen gewesen sein, in denen volksverhetzende Inhalte und Nazi-Symbole geteilt wurden, hauptsächlich in den Jahren 2016 und 2017.

Seit diesen zahlreichen Vorfällen ist freilich wenig passiert. Dass 13 der 18 SEK-Beamten in der Tatnacht in Hanau vom 19. Februar 2020, in der neun Menschen aus rassistischen Motiven ermordet wurden, im Einsatz waren, wirft zusätzlich ein extrem schlechtes Bild auf die Zustände in der hessischen Polizei. Das Innenministerium sollte sich daher mit Erfolgsmeldungen wie der stichprobenartigen Recherche zurückhalten, den Fokus gezielt auf die Probleme in den eigenen Reihen richten und Konsequenzen ziehen.

Verwendete Quellen
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