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Warum in München gegen die G7 protestiert wird


Proteste vorm Gipfeltreffen in Elmau
"Die G7 haben Auswirkungen auf Menschen auf der ganzen Welt – und das oft negativ"

InterviewVon Christof Paulus

Aktualisiert am 25.06.2022Lesedauer: 6 Min.
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Demonstration in München gegen den G7-Gipfel in Elmau 2015 (Archivbild): Auch in diesem Jahr werden Tausende Menschen in Bayern gegen den Gipfel protestieren.Vergrößern des Bildes
Demonstration in München gegen den G7-Gipfel in Elmau 2015 (Archivbild): Auch in diesem Jahr werden Tausende Menschen in Bayern gegen den Gipfel protestieren. (Quelle: Christian Mang/imago-images-bilder)

In Elmau tagen die Mächtigen, in München wird gegen ihre Politik protestiert. Eine Demonstrantin erklärt, was die Probleme beim G7-Gipfel sind und warum viel auf dem Spiel steht, wenn die Proteste eskalieren.

Zwei Großeinsätze haben die Polizisten in Bayern dieser Tage vor Augen: Den vergangenen G7-Gipfel auf deutschem Boden, der 2015 ohne große Zwischenfälle auch in Elmau stattfand – und den G20-Gipfel in Hamburg 2017, bei dem die Proteste ausarteten. Weil von Sonntag bis Dienstag auf dem Schloss in den Alpen sieben der wichtigsten Staats- und Regierungschefs zusammentreffen, werden auch diesmal Tausende Demonstranten gegen deren Politik erwartet. Die größte Kundgebung gibt es am Samstag in München.

Mit dabei ist Charlotte Becker, Leiterin Politik und Kampagnen bei Oxfam. Die internationale Hilfsorganisation ist einer der Initiatoren der Großdemo, die unter dem Motto "Gerecht geht anders" steht. Sie sagt, was von der Demo und anderen Protesten zu erwarten ist und warum sie den G7-Gipfel eigentlich sogar für eine gute Sache hält.

Frau Becker, Sie sind am Samstag bei der Großdemonstration in München zum G7-Gipfel selbst vor Ort. Ihre Organisation, der Hilfsverbund Oxfam, zählt zu den Initiatoren der Veranstaltung. Wogegen protestieren Sie da eigentlich?

Charlotte Becker: Das Treffen der G7 in Elmau findet in einer Zeit der Krisen statt. Wir befinden uns in einer Krise der extremen Ungleichheit, wir haben gleichzeitig eine beispiellose Inflation für Nahrungsmittel und Energie und beides ist angetrieben durch den Krieg in der Ukraine und natürlich auch durch die Corona-Pandemie. Und wir befinden uns auch in Zeiten von zunehmendem Nationalismus – deswegen ist internationale Kooperation dringend notwendig, auch im Rahmen der G7. Aber damit dieser Gipfel eine Daseinsberechtigung hat, muss er auch die richtigen Weichen stellen: für die Bekämpfung von Hunger, Armut und sozialer Ungleichheit, für mehr Klimaschutz und Solidarität im Umgang mit der Corona-Pandemie. Das Problem, das wir mit G7 haben ist, dass die Politik oftmals dazu beiträgt, dass Ungleichheit steigt, dass Menschen in wirtschaftlich schwachen Ländern keinen Zugang zu Medikamenten oder Impfstoffen gegen Covid-19 haben oder dass die Reichsten ihr Geld ins All schießen, während die Armut steigt – und das sind auch Folgen der Politik der G7. Das heißt, wir protestieren nicht gegen die G7, sondern die ökologischen und sozialen Auswirkungen ihrer Politik auf die ärmsten Menschen der Welt.

Wie sieht das konkret aus?

Becker: Die Covid-19-Pandemie hat zum Beispiel überproportional Frauen und genderdiverse Menschen getroffen, zum Beispiel wurden während der Pandemie überall tradierte Geschlechterrollen und Ungleichheit gefestigt...

Woran machen Sie das fest?

Becker: Wir sehen weltweit einen Anstieg der Stunden von Carearbeit – also Kinderbetreuung oder häusliche Pflege –, die von Frauen und Mädchen geleistet wird. Mädchen konnten nicht mehr in die Schule, überproportional viele Frauen auf der ganzen Welt haben ihre Jobs verloren. Das ist vielen Männern auch passiert – aber sie haben viel schneller wieder eine neue Beschäftigung gefunden. Das liegt daran, dass Frauen häufiger unsichere Jobs haben oder informeller, schlechter bezahlter Arbeit nachgehen. Eine unserer wichtigsten Forderungen ist es, dass Frauen deshalb dort präsent sind und gleichberechtigt dort am Tisch sitzen, wo Entscheidungen getroffen werden. Wenn man nur einen Blick auf die ausschließlich männlichen Staats- und Regierungschefs der G7 wirft, sieht man, dass wir noch weit von gleichberechtigter Teilhabe entfernt sind.

Also richtet sich Ihr Protest nicht gegen die G7, die internationale Zusammenarbeit unterstützen Sie sogar. Sondern der Umstand, dass Vertreter der sieben wichtigsten Industrieländer zusammenkommen, ist für Sie eher ein Anlass, um auf Missstände hinzuweisen.

Becker: Internationale Kooperation ist wichtig, und unser Protest richtet sich nicht gegen die Kooperation, denn es gibt viele internationale Probleme, die nicht im Alleingang gelöst werden können. Aber die G7 haben eine große politische und wirtschaftliche Macht, ihre Entscheidungen haben Auswirkungen auf Menschen auf der ganzen Welt, und das oft negativ. Sie können aber auch positiv beeinflussen: indem sie die richtigen und mutigen Entscheidungen treffen, um Armut und Ungleichheit zu reduzieren.

Kommen wir zu den Umständen der Proteste. Viele haben noch die Bilder vom G20-Gipfel in Hamburg 2017 vor Augen, als die Demonstrationen eskalierten und viele Verletzte und hohe Sachschäden zu Buche standen. In München haben Unbekannte nun in der Nacht auf Mittwoch acht Wagen der Bundespolizei angezündet, was womöglich im Zusammenhang mit den G7-Protesten stehen könnte. Wie sehr sind solche Vorfälle ein Problem beim Protest, schwächen vielleicht sogar die Position ihrer legitimen und friedlich vorgetragenen Anliegen?

Becker: Für uns ist wichtig, mit Tausenden von Menschen friedlich Forderungen an die G7 vorzutragen, um den multiplen Krisen etwas entgegenzusetzen. Deshalb engagieren wir uns rund um den Gipfel in vielfältiger Weise, etwa bei der Demo, wir sind beim Alternativgipfel [dort besprechen unter anderem Vertreter von Nichtregierungsorganisationen Themen, wie Ungleichheit oder Armut bekämpft werden können, Anm. d. Red.], haben Aktionen im Vorfeld gestartet und begleiten den Gipfel kritisch. Protest ist wichtig, und Oxfam ist Teil davon. Es ist wichtig, dass der Fokus auf den Themen bleibt. Es steht viel auf dem Spiel, weshalb der G7-Gipfel an den Resultaten gemessen werden soll und daran, was sich für die Menschen ändert – und nicht am Level der Eskalation.

Sehen sie als Mitinitiator der Demonstration eine Möglichkeit, auf das Protestgeschehen einzuwirken und darauf hinzuarbeiten, dass der Protest friedlich bleibt? Oder sind Sie möglichen Ausschreitungen auch ein Stück weit ausgeliefert?

Becker: Die Demo ist ganz klar als ein friedlicher und bunter Protest angekündigt, das war die Großdemo vor sieben Jahren in München auch. Beim vergangenen Mal blieb es in München auch friedlich.

Dann kommen wir doch wieder zu den Themen: Was soll die G7 auf dem Gipfel denn beraten oder beschließen?

Becker: Sie stehen absolut in der Verantwortung, als große und wichtige Wirtschaftsnationen. Und sie müssen konkrete Antworten auf die großen Krisen finden und nicht nur Ankündigungen machen, sondern ihren Worten Taten folgen lassen. In Ostafrika stirbt aktuell alle 48 Sekunden ein Mensch an den Folgen von Unterernährung. Beim vergangenen Gipfel in Elmau vor sieben Jahren haben die Teilnehmenden beschlossen, die Zahl der Hungernden um 500 Millionen zu senken, doch passiert ist danach nicht viel. Heute hungern deutlich mehr Menschen als 2015. Wir erwarten, dass die G7 eine Übergewinnsteuer und einen Schuldenerlass auf den Weg bringt, um Hunger und Armut zu bekämpfen und fordern konkret eine finanzielle Entlastung für einkommensschwache Länder durch Schuldenerlass und höhere Entwicklungsausgaben und dass die Patente für Covid-Impfstoffe freigegeben werden, damit die Pandemie endlich beendet werden kann. Die Bundesregierung muss zudem ihre Zusagen bei der Entschärfung der Klimakrise im globalen Süden einhalten und sich zum frühen Ausstieg aus der Kohleenergie bekennen. Das alles kostet natürlich Geld. Aber mit einer Übergewinnsteuer auf Extraprofite, die während der Corona-Pandemie erwirtschaftet wurden, wäre ein wichtiger Anfang gemacht, um den Kampf gegen Armut und Ungleichheit zu finanzieren.

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Wie Sie sagen: Beschlossen und geredet wird auf so einem Gipfel viel – aber ob das später umgesetzt wird, steht auf einem anderen Blatt. Wie wollen Sie denn den Protest, den Druck und die Aufmerksamkeit für Ihre Anliegen später aufrechterhalten?

Becker: Wir können natürlich nicht jeden Tag eine Großdemo in München organisieren. Aber was geht, ist immer wieder den Finger in die Wunde zu legen und daran zu erinnern, dass die G7 den Zusagen nachkommen, das werden wir auch mit den vergangenen Zusagen beim Gipfel in diesem Jahr tun. Das ist Teil unserer langfristigen Arbeit.

Wie wichtig ist da der Protest während des Gipfels, wenn die große Bühne da ist?

Becker: Es ist sehr wichtig, die G7 kritisch zu begleiten, und nicht nur die Staats- und Regierungschefs tagen zu lassen. Man muss zeigen, dass viele Tausend Menschen von den G7-Staaten erwarten, dass sie die Ungleichheit reduzieren und Klimaschutz ernst nehmen. Und natürlich sind solche Veranstaltungen, an denen Tausende Menschen zusammenkommen und ihre Stimme erheben, auch ein Ort, an dem man neue Kraft schöpfen kann und Solidarität lebt.

Zum Abschluss ein Ausblick auf die Gipfeltage: Was erwarten Sie vom Protest, wird es friedlich bleiben? Und wie offen sind die Ohren, auf die Sie bei den Staats- und Regierungschefs in Elmau stoßen?

Becker: Ich kann nur von den Organisatorinnen und Organisatoren der Demo sprechen, da wird der Protest nicht nur friedlich, sondern auch sehr bunt sein. Viele Organisationen beteiligen sich und tragen ihre Themen in die Demo. Und die G7 wissen, dass diese Proteste stattfinden und kennen die Arbeit der Organisationen. Darauf reagieren sie auch. Wir erwarten offene Ohren und dass die Zeit der Lippenbekenntnisse vorbei ist.

Charlotte Becker: Sie will mehr Gerechtigkeit.
Charlotte Becker: Sie will mehr Gerechtigkeit. (Quelle: Privat)

Zur Person

Charlotte Becker ist Leiterin Politik und Kampagnen bei Oxfam. Die internationale Hilfsorganisation beschäftigt sich mit den Themen Existenzsicherung in Entwicklungsländern, Zugang zu Bildung, gesundheitlichen Einrichtungen und Trinkwasser und Kampf gegen Geschlechterungerechtigkeit. Oxfam ist einer der Initiatoren der Großdemonstration in München zum G7-Gipfel 2022.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Charlotte Becker
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