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Malen mit Kuhmist: Künstler Werner Härtl aus Bayern sendet eine Botschaft


Künstler malt mit Kuhmist
Wenn aus Kot Kunst wird


Aktualisiert am 23.07.2023Lesedauer: 6 Min.
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Werner Härtl bei der Arbeit in seinem Atelier in Reichersbeuern: Der 45-Jährige malt mit Kuhmist.Vergrößern des Bildes
Werner Härtl bei der Arbeit in seinem Atelier in Reichersbeuern: Der 45-Jährige malt mit Kuhmist. (Quelle: Paulus)

Werner Härtl malt mit Kuhmist. Will er Leute damit schocken? Oder ist seine Botschaft eine andere? Besuch bei einem Künstler, dessen Werk viele Schüler kennen.

In Reichersbeuern, am Rand der Alpen zwischen Bad Tölz und dem Tegernsee, kostet Kuhmist über tausend Euro. Und das, obwohl man sogar nur ein paar Gramm davon bekommt. Für Werner Härtl sind die Exkremente der Weidetiere ohnehin schon ein besonderer Wertstoff. Und wenn er damit gearbeitet hat, finden sie auch viele andere besonders wertvoll.

Das, was Härtl hier in seinem Atelier tut, sieht erst mal übertrieben nach jedem Vorurteil aus, das man über Bayern haben kann. Dass Härtl aus dem Freistaat kommt, hört man am Dialekt sofort, und für alle, die dabei noch Nachhilfe bräuchten, trägt er eine Lederhose. An der Eingangstür hängt sein Entwurf, der mal ein Oktoberfest-Plakat hatte werden sollen. Lange Jahre als Helfer auf einem landwirtschaftlichen Betrieb angestellt, begann er vor über zehn Jahren, mit Kuhmist zu malen.

Künstler aus Bayern: Was Werner Härtl mit Kuhmist malt

Und was? Natürlich das Leben hier auf dem Land, Vieh, Almen, ein paar Porträts von Volkshelden, wie dem Wilderer Georg Jennerwein, oder die Berge. Zu allem Überfluss ist sein Atelier auch noch ein alter Kuhstall. Den Stempel "skurriler Bauer vom Dorf mit verrückten Ideen" hat man dem 45-jährigen Familienvater schnell aufgedrückt. Doch wer das tut, muss eingestehen, dass da viel mehr dahintersteckt.

Wer Härtls Kuhstall betritt, sieht erst einmal nur den halben Raum. Vor allem eine Leinwand verdeckt den Blick. Darauf zu erkennen in verschiedenen Brauntönen eine nackte, rundliche Frau, die im Gras liegt, vor ihr eine Katze, dahinter die Silhouette der Münchner Skyline. Feine Goldakzente schmücken ihr Haupt und den blauen Schriftzug, der in Blau wie eine Überschrift mit den Worten "In sinus bavariae" auf dem Bild prangt.

Ein viel besseres Bild, um sein Œuvre direkt auf den ersten Blick vorzustellen, hätte Härtl kaum wählen können. Die typisch braune Farbe des Kuhmists prägt all seine Bilder, hier und da setzt er Akzente, etwa mit Blattgold oder mit Kornblumen durch ihre unverkennbare blaue Farbe. Seine Heimat findet in seiner Kunst ebenfalls fast immer einen Platz, wenn auch nicht immer so prominent wie in jenem Schriftzug, der aus dem Lateinischen übersetzt "Im Schoße Bavarias" heißt.

Rund um die Aktmalerei hängen Fahrräder von der Decke, stützen schwere Holzbalken mit daran montierten Werkzeugkästen den Stall, finden sich in Rahmen geklebte und vergoldete, getrocknete Kuhfladen im hinteren Teil des Raumes. Rechts vor der Wand hat Härtl eine Tischreihe aufgebaut. Hier ist sein Arbeitsplatz, auf dem mehrere Leinwände nebeneinanderliegen. Härtl steht vor dem Tisch, die linke Hand auf ein Knie gestützt, in der rechten Hand einen Spachtel.

Was Kuhmist für Künstler Werner Härtl bedeutet

Er tunkt den Spachtel in ein Schälchen mit Kuhmist und verteilt die Substanz anschließend auf der Leinwand vor ihm. Eine Alm ist darauf bereits eindeutig zu erkennen. Mit dem Spachtel malt Härtl die fast geraden Linien der Dachbalken und Zäune an dem Gebäude, in einem Steinkrug warten Pinsel darauf, ebenfalls wieder den Kuhmist mit der Leinwand zu verbinden.

Angefangen hatte alles mit einem Bild, das "Bullshit" heißt. Härtl zieht es aus der Schublade in einem Schrank neben der Tür. Damals ging er auf eine Weide und tunkte einen Plastikkanister in einen frischen Kuhfladen. Auf dem Bild, das er damit malte, sieht man den Weihnachtsmann, eine Beck's-Flasche oder das Logo von Facebook. Der Name ist Programm: alles Bullshit auf dem Foto eben. Danach malte er zwei Jahre lang nicht mehr mit Mist. Und dann machte er vieles anders.

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"Was ich darstelle, das sehe ich mit einem positiven Geist", sagt er heute. Mist, und all das, was er damit malt, das sind für ihn die guten Dinge. Hinter der Leinwand mit der nackten Frau und der Münchner Silhouette darauf hat er seine Werke wie an einer Garderobenstange aufgehängt. Er möge das Mütterliche, sagt er über die Akte, die hier zu sehen sind. Und: "Ich will aufmerksam machen auf das bäuerliche Leben." Die Tradition auf dem Land, die Arbeit von vor 100 Jahren, irgendwie gefällt ihm das.

Wie ein Künstler aus Bayern das Leben auf dem Land malt

"Die Leute damals, die konnten alle etwas", sagt er. Über die Welt und die Dörfer, wie sie heute sind, kann Härtl in dem Stall in seinem Haus aus dem 17. Jahrhundert lange granteln. So lange wie Härtls altes Gemäuer hier im Reichersbeuerner Dorfkern hielten die modernen Gebäude jedenfalls bei Weitem nicht mehr, ist er überzeugt. Aber Landwirtschaft, die könnte man in dem Stall heute nicht mehr betreiben. Viel zu klein.

Vor rund 30 Jahren ist das Vieh hier ausgezogen. Härtl hat das Gebäude vor einigen Jahren gemietet, damit hat es weiter seinen Zweck. Der Konsum hat die Landwirtschaft verändert, das bäuerliche Leben, und damit auch die Welt im bayerischen Dorf. Zum Schlechten? "Ich will mit den Menschen von damals nicht tauschen", sagt Härtl. Die Zeiten waren hart, besonders vor 100 Jahren zwischen den Weltkriegen, berichtet er. Oder davor. Und so kommt es auch, dass die Wilderer wie der Jennerwein, dessen Kuhmist-Porträt Härtl mit einem Graffito versehen hat, zu Volkshelden wurden.

An dieser Stelle ist es Zeit zu beschreiben, wie es in Härtls Atelier eigentlich riecht. Immerhin ist hier überall in Kunst verwandelter Mist, an den Wänden hängen bemalte Leinwände, auf dem Boden stehen vergoldete Fladen, auf dem Tisch liegen Härtls aktuelle Werke. Nur ist das mit dem Geruch gar nicht so einfach.

Dass das Gebäude alt ist, könnte man auch mit geschlossenen Augen am Geruch erahnen, und dass man hier auf dem Land ist, ebenso. Eine leichte Note von Öl, die die Werkzeuge oder Fahrräder hinterlassen haben, lässt sich ebenfalls wittern. Doch wer hier im Stall einen beißenden Geruch von Fäkalien erwartet, irrt. "Der frische Kuhmist, der stinkt gar nicht so", sagt Härtl. Erst wenn man die Nase über den gefüllten Kanister hält und tief einatmet, dann riecht es richtig herb, wie man es von einer Kuhweide erwartet.

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Beim Melken abgezapft: Werner Härtl fängt Kuhmist mit Trichter auf

Von dort stammt sein Kuhmist ohnehin nicht mehr. Inzwischen hole er sich ihn frisch von der Erzeugerin, wie er mit einem Lachen erzählt. Mit einem Trichter stellt er sich hinter die "Damen", wie er sie nennt, und wartet darauf, dass sie fertig gemolken wurden. Wenn sie sich dann entspannen, kann Härtl seinen Kanister mit neuer Farbe füllen.

Gelernt hat Härtl sein Handwerk vor allem von sich selbst. Schon vor dem Abitur arbeitete er als Illustrator, fing danach an zu studieren, ließ es dann bleiben und schlug seine junge Familie mit Jobs auf dem Bauernhof durch. Gemalt hat er währenddessen immer. "Aber meistens brotlos", wie Härtl erzählt. Doch bevor der Durchbruch mit Kuhmistkunst kam, verewigte Härtl sich bereits im Alltag vieler Schüler im ganzen Land.

Noch als Schülerzeitungsredakteur schuf er die Figuren "Schwein und Brot", die bis heute das Hausaufgabenheft "Häfft" zieren. Bis zu einer Million Exemplare des "Häfft", mit dem Schüler ihre Woche, Klausuren und Hausaufgaben planen können, verkaufen sich jährlich. Noch viele weitere Figuren entwarf Härtl unter seinem Künstlernamen "Weeh" für das Heft, "Schwein und Brot" blieben als eine Art ständige Maskottchen erhalten. Und trotzdem konnte er lange von der Kunst nicht so ganz leben.

Gebürtiger Münchner lebt von Kuhmist auf Leinwänden

Inzwischen verkauft er seine Werke für teils vierstellige Summen, 1.200 oder 2.400 Euro steht auf den Preisschildern in seinem Atelier. Hinzu kommen Auftragsarbeiten oder Ausstellungen, wie etwa zu Beginn dieser Woche auf dem Kunstareal in München. Geschätzten und treuen Besuchern in seinem Atelier gebe er ein Gemälde gelegentlich spontan als Geschenk mit, auch um wieder etwas Platz zu schaffen, wie er erzählt. Der Widerspruch, mit dem viele Künstler sich auseinandersetzen müssen, werde sich trotzdem nie ganz auflösen lassen: konsumkritische Kunst zu machen – die sich fast nur Reiche leisten können.

Und da wären wir wieder bei den Wilderern, mit denen Härtl so sympathisiert. Und die für ihn nicht viel anders sind als Großstädter – weshalb er beide Lebenswelten mit Kuhmist-Porträts und Graffiti auf seinen Gemälden verbindet. "Sie haben sich genommen, was man braucht, in einer Zeit, in der für viele nicht viel zum Leben blieb", sagt er. Knapp seien die Ressourcen auch heute in der Stadt. Zu Helden wurden und werden dann die, die nicht nur für sich selbst sorgen, sondern teilen, was sie entbehren können. So wie viele Wilderer damals.

Dass das meiste von dem, was Härtl auf seinen Bildern darstellt, für ihn positiv konnotiert ist, passt für ihn gut zu dem Material, mit dem er malt. Denn der Mist ist für ihn nicht "Scheiße", sondern "ein besonderes Gut". Schon früher habe man das Material als Deckenanstrich benutzt. Mit Kuhdung könne man auch bauen, er habe zudem desinfizierende Wirkung. Und malen, das geht damit eben auch.

"Nur mit Wasser verdünnt, verbindet er sich mit fast allen Untergründen und ist extrem vielseitig", schreibt Härtl auf seiner Website über den Kuhmist. Zudem möge er, dass die im Kot enthaltenen Überreste dem Gemälde eine Textur geben und selbst eine Geschichte erzählen. Und Ekel? Da seien die Besucher unterschiedlich, manche enorm zurückhaltend, andere griffen direkt nach den bemalten Leinwänden. Für Härtl selbst ist Kuhmist sowieso ganz einfach beschrieben: "Letztlich ist es nur fermentiertes Gras", sagt er und beugt sich wieder über sein Gemälde mit der Alm.

Verwendete Quellen
  • Merkur.de: "Mit dem 'ä' zum bundesweiten Erfolg"
  • häfft.de: "Die Geschichte dahinter"
  • alimentarium.org: "Das Zebu"
  • Eigene Beobachtungen
  • Besuch bei Werner Härtl
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