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S-Bahn-Unglück bei München: Feuerwehr schildert dramatische Szenen


"Er hatte keine Chance"
S-Bahn-Unglück: Feuerwehr schildert dramatische Szenen

  • Matti Hartmann
Von Matti Hartmann

Aktualisiert am 15.02.2022Lesedauer: 4 Min.
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Die aufgerissenen und ineinander verkeilten S-Bahnen: Auf eingleisiger Strecke sind die Züge frontal gegeneinander gefahren.Vergrößern des Bildes
Die aufgerissenen und ineinander verkeilten S-Bahnen: Auf eingleisiger Strecke sind die Züge frontal gegeneinander gefahren. (Quelle: Matthias Balk/dpa-bilder)

Zwei S-Bahnen sind im Landkreis München frontal gegeneinander gefahren. Unfallzeugen berichten, dass einer der beiden Züge schon zuvor ein auffälliges Fahrverhalten zeigte.

Ein 24-jähriger Fahrgast ist tot, fünf Menschen wurden schwer verletzt, 13 mittelschwer. Am Tag nach dem schweren S-Bahn-Unfall bei Schäftlarn im Landkreis München lautet die große Frage: Wie konnte das passieren?

Fest steht: Die beiden Züge der Linie S7 krachten am Montag gegen 16.35 Uhr auf eingleisiger Strecke frontal ineinander. Die Bahnen verkeilten sich, Passagiere wurden durch die Luft geschleudert, das Todesopfer von Teilen des Führerstandes, die durch den Waggon flogen, getroffen und eingeklemmt.

"Der Lokführer des Zuges von Wolfratshausen nach München hatte kurz vor dem Zusammenprall offenbar noch eine Notbremsung eingeleitet, sich dann nach hinten gerettet", sagte ein Feuerwehrsprecher t-online. "Der Passagier, der unmittelbar hinter dem Führerstand saß, hatte keine Chance."

Berichte über Störungen an Bahnübergängen

Unter den Schwerverletzten befinden sich auch die beiden Lokführer. Der aus dem Zug aus München musste aus den Trümmern freigeschnitten werden. Laut Feuerwehrsprecher hatte er großes Glück: "Er war bis zur Hüfte eingeklemmt, um ihn herum waren überall Trümmer. Nur sein Oberkörper war noch frei, aber da fehlten nur wenige Zentimeter."

Die Unfallursache zu ermitteln, ist jetzt Sache von Polizei und Staatsanwaltschaft. Die Fahrtenschreiber beider Triebwagen wurden sichergestellt, mehrere Menschen zum Unfallhergang vernommen. Zum Zeitpunkt des Unglücks saßen viele Schüler und Pendler in den Zügen. Die Zugführer sind im Augenblick beide noch nicht vernehmungsfähig.

Erste Hinweise scheinen auf einen möglichen Zusammenhang des Unfalls mit Störungen hinzudeuten, die es zuvor an dem Tag an Bahnübergängen gegeben haben soll. Wie der "Merkur" berichtet, würden in solchen Fällen die Signale neutralisiert. Die Lokführer würden dann Anweisungen vom Fahrdienstleiter erhalten und "auf Befehl" fahren.

Fahrgäste: S-Bahn aus München hielt immer wieder an

Passagiere berichteten, die Bahn aus München in Richtung Wolfratshausen sei schon vor dem Unfall merkwürdig gefahren und immer wieder stehen geblieben. Sie habe mehrere Minuten Verspätung gehabt, als sie kurz vor dem Bahnhof Ebenhausen-Schäftlarn erneut anhielt – in einer Kurve.

Die entgegenkommende Bahn nach München scheint zu diesem Zeitpunkt schon im Bahnhof Ebenhausen-Schäftlarn losgefahren zu sein. Kurz darauf krachte es. Fahrgäste schildern einen lauten Knall.

Bericht: Automatisches Sicherheitssystem soll angeschlagen haben

Laut "Bild" steht menschliches Versagen im Raum, der Lokführer soll trotz rotem Halte-Signal losgefahren sein. Die "Süddeutsche" berichtete, die Strecke sei im fraglichen Abschnitt mit einem elektronischen Sicherungssystem ausgestattet. Die Technik der Punktförmigen Zugbeeinflussung (PZB) ermögliche es, Züge auf nicht freigegebenen Strecken automatisch zu bremsen.

Aus Ermittlungskreisen habe es geheißen, das System habe in der Unfallsituation angeschlagen und mindestens einen Zug gebremst. Wie es dennoch zur Kollision kommen konnte, sei offen.

Eine Frau lag blutend auf dem Boden, ein Kind schrie

"Ich habe die Notbremsung gemerkt", berichtete ein Passagier laut "Bild". "Beim Aufprall bin ich aus meinem Sitz nach vorne in den Gang geschleudert worden."

Aus der Bahn Richtung München erzählte ein 19-Jähriger dem "Merkur" von dramatischen Szenen: Alle Fahrgäste seien durch die Luft gewirbelt worden. Eine alte Frau habe stark blutend am Boden gelegen, ein Kind habe laut geschrien. Nachdem er den roten Notfallhebel betätigt habe und sich die Türen der Bahn geöffnet hätten, seien die Menschen die Böschung hinuntergestiegen, viele hätten unter Schock gestanden.

Strecke ist weiter gesperrt, Staatsanwaltschaft leitet Ermittlungen

An dem Einsatz waren bis in die Nacht etwa 800 Kräfte von Polizei, Feuerwehr, Rettungsdiensten und Technischem Hilfswerk beteiligt. Die Staatsanwaltschaft München I leitet die Ermittlungen zur Unfallursache. Gutachter sollen ihre Arbeit unterstützen.

Am Dienstag stehen die Ermittlungen zum Unfallhergang im Vordergrund. Die Bergung der Züge wird vorbereitet, sie soll jedoch nicht vor Mittwoch beginnen. Die Strecke ist weiterhin gesperrt. Ein Ersatzverkehr ist eingerichtet.

Fahrgastverband Pro Bahn kritisiert Anfälligkeit des Münchner S-Bahnnetzes

Grundsätzliche Kritik äußerte der Fahrgastverband Pro Bahn. Gerade im Münchner S-Bahnnetz gebe es immer wieder Störungen, sagte ein Sprecher t-online. "Jeden Tag zwei oder drei. Das gesamte Netz ist extrem anfällig."

S-Bahnen müssten dann langsamer fahren, bei Bahnübergangsstörungen vor Bahnübergängen anhalten und seien auf Anweisungen der Fahrdienstleiter angewiesen. Das führe nicht nur zu Verspätungen, sondern auch zu extremem Stress bei den Fahrdienstleitern – und immer wieder zu gefährlichen Situationen, gerade auf kurvenreichen und schwer einsehbaren Strecken.

Beinahe-Kollision im Sommer 2021

Erst im Sommer 2021 war es ganz in der Nähe des jetzigen Unfallortes schon einmal fast zu einem Zusammenstoß gekommen: Bei Icking waren zwei S-Bahnen ebenfalls auf eingleisiger Strecke aufeinander zugefahren. Damals konnten die Zugführer aber noch rechtzeitig bremsen.

Und auch das schwere Zugunglück von Bad Aibling, am 9. Februar 2016, ereignete sich auf eingleisiger Strecke. Zwölf Menschen starben damals, weil ein Fahrdienstleiter mit dem Handy gespielt hatte und davon abgelenkt falsche Signale setzte. "Es ist der Wahnsinn, dass die Bahn sechs Jahre nach Bad Aibling ihre eingleisigen Strecken nicht im Griff hat", sagte dazu ein namentlich nicht genannter Experte dem "Merkur".

Eingleisige Abschnitte an sich seien jedoch nicht das primäre Problem, sagte Karl-Peter Naumann von Pro Bahn t-online. Er forderte, vielmehr die vielen kleinen Störungen im Münchner S-Bahnnetz in den Fokus zu nehmen. Es brauche mehr von der Politik bereitgestelltes Geld, um Technik vorausschauend ersetzen zu können, bevor sie kaputt gehe. "Die Menschen, die die Technik bedienen, müssen stressfrei arbeiten können. Dann ist sicherer Zugverkehr auch eingleisig möglich."

Verwendete Quellen
  • Telefonate mit Polizei und Freiwilliger Feuerwehr Hohenschäftlarn
  • Gespräch mit dem Fahrgastverband Pro Bahn
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