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Bayern-Boss-Rückkehr? Ex-Kapitän: "Hoeneß und Rummenigge müssen loslassen"


Ex-Kapitän über Münchner Chaos
"Das ist untypisch für Bayern"

InterviewVon Julian Buhl

Aktualisiert am 25.05.2023Lesedauer: 7 Min.
Interview
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Thomas Müller am Boden: Wenn Dortmund am Samstag gewinnt, steht der FC Bayern in diesem Jahr ohne Titel da.Vergrößern des Bildes
Thomas Müller am Boden: Wenn Dortmund am Samstag gewinnt, steht der FC Bayern in diesem Jahr ohne Titel da. (Quelle: IMAGO/Bernd Feil/M.i.S.)

Thomas Helmer verrät t-online, was er im großen Meisterfinale erwartet und welche Konsequenzen auf den FC Bayern unabhängig davon jetzt zukommen.

Borussia Dortmund und der FC Bayern liefern sich momentan ein packendes Duell um die deutsche Meisterschaft, das so spannend ist wie seit Jahren nicht mehr. Der BVB geht mit zwei Punkten Vorsprung in den nun alles entscheidenden letzten Spieltag.

Thomas Helmer hat in seiner Profikarriere viele solcher Situationen erlebt. Er spielte sowohl für die Münchner als auch für den BVB und feierte mit beiden Klubs große Erfolge. Am Sonntag verfolgte der 58-Jährige das 3:0 der Borussia in Augsburg live im Stadion. Welche Erkenntnisse er dabei gewonnen hat, worauf es im großen Meisterfinale ankommt und welche Konsequenzen er beim FC Bayern erwartet, verrät er im Interview mit t-online.

t-online: Herr Helmer, Sie waren am Sonntag in Augsburg, wo Borussia Dortmund 3:0 gewonnen und die Tabellenführung übernommen hat. Haben Sie dort das Meisterstück des BVB gesehen?

Thomas Helmer: Da zu bestehen, war eine Prüfung. Der BVB wird sein Heimspiel gegen Mainz gewinnen und Deutscher Meister werden.

Was würde das für den Klub bedeuten?

Die Dortmunder mussten sich oft Häme und Spott gefallen lassen, weil sie es nicht geschafft haben. Da wäre jetzt nicht nur Freude, sondern auch Genugtuung dabei. Und es wäre für alle anderen das Zeichen, dass Bayern schlagbar ist. Die Leipziger sagen ja auch: Wenn in dieser Saison alle Mann an Bord gewesen wären, hätten sie den Münchnern deutlich mehr auf die Pelle rücken können. Man sieht, dass Bayern verwundbar ist.

Was wäre da am Samstag in Dortmund los, wenn der BVB tatsächlich Meister wird?

Der Ausnahmezustand (lacht). Der Borsigplatz wird mit Sicherheit einige Zeit in Beschlag genommen werden. Das hoffe ich zumindest für die Dortmunder, sie sollen das genießen. Ich habe in Augsburg auch einige Spieler sowie Sebastian Kehl und Hans-Joachim Watzke getroffen. Die Anspannung in dieser Extremsituation ist nach dem Spiel abgefallen. Man hat ihnen angemerkt, wie wichtig dieser Schritt für sie war. Sie glauben jetzt an die Meisterschaft.

Wäre der BVB ein verdienter Champion?

Wer am Ende oben steht, hat den Titel auch verdient. Ich war aber schon auch einer derjenigen, die enttäuscht darüber waren, was Dortmund in der ersten Saisonhälfte geleistet hat.

Wie ist dieser Wandel zu erklären?

Dortmund hat eine gute Achse, mit Mats Hummels oder auch Julian Brandt, die eine richtig starke Rückrunde spielen. Und sie haben – im Gegensatz zu Bayern – mit Sébastien Haller einen Mittelstürmer. Ich glaube, wenn er nicht erkrankt wäre, sondern die komplette Saison durchgespielt hätte, dann wäre der BVB deutlich dominanter gewesen.

Für Kapitän Marco Reus wäre es der erste Meistertitel, welche Bedeutung hätte das für ihn?

Das wäre – wenn auch auf einem anderen Level – sogar mit Lionel Messi und dessen WM-Triumph mit Argentinien vergleichbar. Reus identifiziert sich total mit dem BVB, war oft nah dran, da wäre dieser Erfolg schon ganz wichtig.

Mit Hummels, Niklas Süle, Karim Adeyemi und Emre Can gehören gleich vier Ex-Münchner zur Dortmunder Stammelf. War es ein Fehler, diese Spieler gehen zu lassen?

Zu dem Zeitpunkt, als Bayern sie gehen ließ, nicht unbedingt. Aber vor Mats und seiner momentanen Leistung ziehe ich den Hut. Er spielt ganz souverän, ist eine Bank und hat sich seine Vertragsverlängerung absolut verdient. Can hat sich wieder rausgekämpft. So wie er seine Sechserrolle momentan interpretiert, ist er genau der Typ Spieler, der den Bayern fehlt. Auch Adeyemi ist ein super Spieler mit herausragender Veranlagung. Und speziell für Süle wäre es eine gewisse Genugtuung, jetzt mit Dortmund Meister zu werden. Bayern hat ihn einfach so gehen lassen.

Mit der 1:3-Heimniederlage haben die Bayern ihren Vorteil im Meisterrennen noch aus der Hand gegeben. Wie sehr hat Sie das überrascht?

Sie haben ja auch noch zur Pause mit 1:0 geführt. Die zweite Halbzeit, die sie abgeliefert haben, hat mich dann regelrecht geschockt. Mit so einer Leistung darf man nicht Meister werden und man hat es auch nicht verdient. Man darf nicht so ratlos sein, auch der Trainer sollte nicht derart ratlos sein.

War der Trainerwechsel von Julian Nagelsmann zu Thomas Tuchel im Nachhinein ein Fehler?

Ich hoffe nur, dass der kolportierte Satz der Verantwortlichen "Wir mussten handeln" nicht bedeutet, dass sie handeln mussten, weil Tuchel auf dem Markt war. Wenn es gut geht, können sie sich dafür feiern lassen. So müssen sich die Verantwortlichen jetzt der Kritik stellen. Von der Art und Weise war alles an dem Trainerwechsel nicht gut. Erst fährt Julian in Skiurlaub. Dann kann man ihn nicht erreichen. Das hört sich alles nicht gut an, wie es abgelaufen ist – unabhängig von der Entscheidung. Da wird Oli (Kahn; d. Red.) jetzt vielleicht wieder mit mir meckern. (lacht) Er war ja schon etwas unglücklich, weil ich gesagt habe, dass er mehr kommunizieren muss. Aber das ist eben mein Eindruck.

Oliver Kahn gerät immer mehr in die Kritik, es wird über seine mögliche Abberufung als Vorstandsvorsitzender spekuliert. Warum?

Vielleicht will man ihn so ein bisschen locken. Er behält ja relativ die Ruhe und Contenance. Jetzt hat er einmal gesagt, dass die Mannschaft immer mehr abbaut und das gar nicht geht. Man hat gedacht, und vielleicht auch erwartet, dass er in seiner Position mehr lospoltern würde – so wie er eben auch als Spieler war. Als Klubboss hat er bisher schon sehr abgewogen, was er sagt.

Kahn muss sich genau wie Sportvorstand Hasan Salihamidzic nächste Woche vor dem Aufsichtsrat erklären. Welche Konsequenzen erwarten Sie da?

Die Themen liegen auf dem Tisch. Ich stelle mal eine gewagte Prognose auf: Uli kommt zurück und Oli und Brazzo dürfen weitermachen. Die Fußstapfen, die Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge beim FC Bayern hinterlassen haben, sind riesig. Die kann man gar nicht direkt ausfüllen. Ich finde, Oli und Hasan haben eine Chance verdient, weiterzumachen.

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Was halten Sie von dem Modell mit Finanzvorstand Jan-Christian Dreesen als Kahn-Nachfolger und Hoeneß sowie Rummenigge als Supervisor, über das berichtet wurde?

Das würde mich ein wenig wundern. Dreesen ist ja kein Mann aus dem Fußballgeschäft. Als Übergangslösung, um erst mal Ruhe reinzubringen, könnte ich mir das vorstellen, aber das ist für mich eigentlich kein Zukunftsmodell. Und ich verstehe auch nicht, warum Oli das nicht in einer Konstellation mit Hoeneß und Rummenigge weitermachen sollte.

Wie stehen Sie generell zu einer möglichen Rückkehr von Hoeneß und Rummenigge in eine verantwortliche Position bei Bayern?

Eigentlich sollten es beide nicht machen. Bei Kalle glaube ich das auch nicht, bei Uli ist das vielleicht anders. Er macht vieles aus dem Bauch und dem Herzen heraus. Ihm ist es egal, was andere denken, was für Konsequenzen das möglicherweise haben könnte. Aber eigentlich wäre auch seine Rückkehr nicht gut. Es war richtig, diesen Schritt mit dem Rückzug von der Klubspitze zu vollziehen. Eine Rückkehr wäre da jetzt wieder ein Schritt zurück. Hoeneß und Rummenigge müssen von ihrer Seite aus loslassen. Der FC Bayern muss sich auch ohne beide freistrampeln und anders weiterentwickeln.

Und wo sehen Sie die Hauptgründe für die verloren gegangene Dominanz?

Mit Manuel Neuer und Robert Lewandowski sind zwei Weltklassespieler weggebrochen, das hat man unterschätzt. Neuers Verletzung konnte man nicht vorhersehen. Aber bei Lewandowski hat man es versäumt, einen Hochkaräter als Nachfolger zu holen. Das Problem hat man nach wie vor und es nur ein Jahr weitergeschoben. Jeder hat gesehen, dass es nicht funktioniert. Dafür muss Bayern jetzt eine Lösung finden.

Auch wenn die mehr als 100 Millionen Euro Ablöse kostet?

Warum nicht? Wenn man die Qualität haben will, über die man spricht und die man braucht, ist das vielleicht nötig. Bei Frankfurts Randal Kolo Muani bin ich mir aber nicht sicher, ob er eine solche Ablösesumme wert wäre. Er ist kein schlechter Stürmer, muss aber zum Beispiel körperlich noch zulegen. Bei dem bald 30 Jahre alten Harry Kane bin ich ebenfalls zwiegespalten. Aber das ist ja die Aufgabe von Brazzo, da gute Vorschläge zu machen.

Inwieweit hätte Dortmund die Meisterschaft nicht nur gewonnen, sondern die Bayern sie – aufgrund ihrer ungewohnten Schwächen – verspielt?

Nach dem 5:3 im Supercup gegen Leipzig und dem 6:1 am 1. Spieltag gegen Frankfurt, dachten alle, die Dominanz der Bayern wäre sogar noch größer. Da hat auch niemand nach Robert Lewandowski geschrien. Es ist völlig unerklärlich, warum sie dann so den Faden verloren haben. Die Dortmunder waren neun Punkte weg, Bayern hat ihnen die Chance auf den Titel aber wieder ermöglicht. Ich weiß nicht, was mit Bayern los ist. Sie wirken dominant, sind viel am Ball. Es fehlen aber Tempo und Power. Das ist untypisch für Bayern.

Was bedeutet die drohende titellose Saison für Bayern?

Dass man vielleicht nicht bei null, aber zumindest erst mal wieder woanders anfangen muss, nicht alles von allein läuft. Man muss in der Gesamtheit wieder mehr tun für den Erfolg, sich auch die Mannschaft gezielter angucken, ob es sie in dieser Zusammensetzung funktioniert auf hohem Niveau. Vielleicht fehlen nur ein, zwei Spieler, die für mehr Qualität, Reibung und Konkurrenzkampf sorgen. Ein Leon Goretzka hat eigentlich schon gezeigt, wie gut er ist. Er hatte am Ende aber zum Beispiel überhaupt keine Form mehr. Auch Kingsley Coman, Leroy Sané, Sadio Mané, Serge Gnabry – jeder hatte oder hat noch immer mit seinen Problemen zu kämpfen.

Braucht es also mehr als nur einen neuen Neuner?

Ich würde neben einem Mittelstürmer dringend einen Sechser holen. Es wäre genauso wichtig, Joshua Kimmich jemanden zur Seite zu stellen. Er kann nicht alles allein machen, auch wenn er das immer will. Als Abwehrspieler bist du froh und dankbar, wenn ein Sechser einem hilft, auch mal dazwischenhaut, wenn schnelle und starke Gegenspieler auf dich zukommen. Konrad Laimer würde ich diese Rolle zutrauen, wenn man ihn denn lässt.

Wie stehen Sie zum Dauerthema Thomas Müller, der zuletzt häufig auf der Bank saß?

Das scheint tatsächlich ein Problem zu sein. Sobald er mal nicht spielt, gibt es sofort einen Aufschrei. Für alle Trainer, die ihn mal draußen gelassen haben, war das bisher keine dankbare Aufgabe. Er ist die Identifikationsfigur des FC Bayern, sobald er nicht spielt, ist es immer ein Thema – und das wird so bleiben.

Wäre ein Abschied von Müller im Sommer vorstellbar?

Es ist schon eine ganz enge Verbindung zwischen Thomas Müller und dem FC Bayern. Er hat sich das Ziel gesetzt, bei der Heim-EM im kommenden Jahr noch mal mitspielen zu wollen – und das traue ich ihm auch zu. Sein Standing im Verein ist so groß. Er kann selbstbewusst bei Bayern in die nächste Saison gehen. Es muss erst mal jemand kommen, der besser ist als er.

Verwendete Quellen
  • Telefonisches Interview mit Thomas Helmer
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