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Johnny Depp triumphiert über Amber Heard: Nehmt Euch in Acht!


Depp triumphiert über Heard
Nehmt Euch in Acht!

  • Steven Sowa
MeinungVon Steven Sowa

Aktualisiert am 03.06.2022Lesedauer: 5 Min.
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Die Körpersprache von Amber Heard und Johnny Depp: Das verraten die Schauspieler mit ihrer Mimik und Gestik. (Quelle: t-online)

Johnny Depp kann aufatmen, Amber Heard muss einstecken. Das Urteil im skandalumwitterten Hollywoodprozess ist aber viel mehr als eine Quittung für zwei US-Stars. Es wird die MeToo-Bewegung noch lange beschäftigen.

Im Schatten der Aufregung um Amber Heard und Johnny Depp trägt sich an diesem Donnerstag Erstaunliches zu. Auf den ersten Blick scheinen die zwei Gerichtsprozesse nichts miteinander zu tun zu haben. Doch die Eröffnungsplädoyers im kalifornischen Santa Monica im Fall der mutmaßlichen Vergewaltigung durch Bill Cosby zeigen Parallelen, die kaum deutlicher ausfallen könnten.

Hat sich Cosby im Jahr 1975 auf seine damals 16-jährige Mandantin Judy Huth "gestürzt" und versucht, "seine Hände in ihre Hose zu stecken"? Das behauptet die Klägerin und liefert den Anwälten des US-Comedians zugleich eine Steilvorlage für die Verteidigung: Erst geht es um das Jahr 1974, anschließend datiert sie den mutmaßlichen Übergriff um. "Das ist nicht nur ein kleiner Fehler", zerpflückt Cosbys Anwältin Jennifer Bonjean die Änderung und betont: "Es ist der Beweis für eine Fälschung."

Womit wir bei den Parallelen wären.

Wer in den vergangenen sechs Wochen den Verleumdungsprozess zwischen Amber Heard und Johnny Depp verfolgt hat, wird Bizarres, Ekelhaftes und Unglaubliches erlebt haben. Doch vor allem eines: den erbitterten Kampf um Deutungshoheit. Es ist die für deutsche Beobachter oft wenig nachvollziehbare Eigenart des amerikanischen Rechtssystems, die wesentlich zu einer veränderten Wahrnehmung beiträgt: dass Prozesse per Livestream von Millionen Menschen weltweit verfolgt werden können; dass sich daraus ein Event entspinnt; dass die Wahrheitsfindung zur Nebensache degradiert wird.

Amber Heard, die neue Harvey Weinstein?

Denn Teil der Show ist eine möglichst überwältigende Inszenierung. In Gut und Böse. Zweifel säen, Lügenvorwürfe erheben, die Gegenseite diskreditieren. Eine Schlammschlacht eben. Das ist "part of the game", Teil eines Geschäfts, das eigentlich ein Gerichtsprozess sein sollte. Und jetzt? Schallt es Amber Heard nach ihrer Niederlage vor dem Gerichtsgebäude in Fairfax entgegen: "Lügnerin, Lügnerin". Johnny Depp ist der Held, obgleich er juristisch eben nicht in allen Punkten recht bekommen hat. Wen interessieren schon Details? Gut und Böse, da haben wir es wieder.

Beweismaterialien sind in Missbrauchsfällen naturgemäß rar, das macht sie ja so kompliziert – und so heikel in ihrer öffentlichen Instrumentalisierung. Mitunter Chatprotokolle, hier und da eine Videosequenz von verbalen oder teils handgreiflichen Ausrastern wie bei Depp und Heard sowie in aller Regel Zeugenaussagen und Experteneinschätzungen müssen das Bild eines mutmaßlichen sexuellen Übergriffs zusammensetzen wie ein Puzzle.

Ein Satz wie der von Cosbys Anwältin, "Es ist der Beweis für eine Fälschung", bezieht sich dann schnell mal auf eine Jahreszahl und nicht auf ein manipuliertes Dokument, ein mutwillig verändertes Video oder irgendeine andere Art arglistiger Täuschung.

Das Ringen um Wahrhaftigkeit, die besondere Schwierigkeit in Missbrauchsfällen, gibt es seit jeher – und verändert sich in der öffentlichen Wahrnehmung erst seit dem Oktober 2017. Als damals die Vorwürfe gegen Harvey Weinstein die MeToo-Bewegung in Gang bringen, gehen immer mehr Frauen mit Geschichten von Belästigungen, Übergriffen bis hin zu Vergewaltigungen an die Öffentlichkeit. Weinstein verliert, wird am 11. März 2020 zu 23 Jahren Gefängnis verurteilt und gilt seitdem als Paradebeispiel für einen Mächtigen, der trotz sündhaft teurer Anwaltsteams ins Verderben gestürzt werden kann.

"Believe Women" auf die Probe gestellt

Der Sieg von Johnny Depp im Zivilprozess um seine Ex-Frau ist nun ein Wendepunkt, die Niederlage von Amber Heard eine Zäsur. Der zu Unrecht beschuldigte Mann hier, die Hexe dort. So tönt es jetzt aus den Social-Media-Kreisen der Lynchjustiz. Dass die Wahrheitsfindung aber, wenn überhaupt, nur an der Oberfläche gelungen ist, gerät dabei in den Hintergrund. Unser Kolumnist Gerhard Spörl beschreibt in seinem Text bereits eindrücklich, wie wenig die wesentliche Frage in diesem Hollywoodprozess aufgeklärt werden konnte.

Etwas anderes scheint für die Massen vor den Livestreams und in den Internetdebatten entscheidend: Endlich wurde eine Lügnerin enttarnt. Es ist der Präzedenzfall, die Stimmung kippt. Ein Blick in die Kommentarspalten zeigt: Amber Heard wird schon jetzt so sehr gehasst und angefeindet, dass sie zum Gegenentwurf des Harvey Weinstein mutiert. "Wisst ihr nicht, wie Amber Heard der Welt ein Märchen vom Frauenschläger Johnny Depp aufgetischt hat", könnte es nun in zehn, zwanzig Jahren heißen, wenn Diskussionen um MeToo-Debatten entbrennen. Der Fall Depp vs. Heard wird zum Exempel.

"Es ist ein Rückschlag"

Eines der Leitmotive der MeToo-Bewegung lautet: "Believe Women". Im Jahr 2018 macht sich der US-Comedian Bill Burr darüber lustig, fragt: "Etwa allen? Ich gebe euch 87 Prozent. Aber was ist mit den restlichen 13, die dein Auto zerkratzen und deine Klamotten anzünden?" Schließen sich nun immer mehr Menschen dieser Sichtweise an? Oder ist es nur der Mob, der sich ohnehin von Beginn an in wilder Zerstörungswut auf Amber Heard stürzt, sie demütigt und beleidigt? Ein amtliches Urteil jedenfalls verändert das Bild. Es könnte auch die zweifelnde, leise Minderheit erreichen.

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Am Ende bleibt nur hängen: Er ist entlastet, sie hat gelogen. Dass in dem Prozess Tatsachen auf den Tisch kommen, die Depp in ein unschönes Licht rücken, gerät in Vergessenheit. Oder erinnern Sie sich an Depps Nachrichten, in denen er davon fantasierte, Heards Leiche zu verbrennen und danach zu vergewaltigen?

"Es ist ein Rückschlag", konstatiert Amber Heard nach dem Prozess. Es sei, als wäre sie in eine Zeit zurückversetzt worden, in der "eine Frau, die sich zu Wort meldet, öffentlich beschämt und gedemütigt werden kann" und in der "Gewalt gegen Frauen nicht ernst genommen wird". Es bleibt nur eine Theorie und doch: Ein Urteil wie dieses hat Signalwirkung. Wenn das Signal an verängstigte Frauen lautet, sich aufgrund schwieriger Beweislage nicht mehr an die Öffentlichkeit zu wagen, droht dieser heillos überdrehte Schauprozess aus Hollywood weltweit Schaden anzurichten.

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"Amber Heard und der Tod von MeToo", heißt es in einem Meinungsbeitrag der Autorin Michelle Goldberg in der "New York Times" und die US-Journalistin Joanna Schroeder schließt sich nach der Urteilsverkündung an: "Das ist ein schlechter Tag für weibliche Opfer". Die Hashtags #MeToo und #Freedomofspeech landen in diesen Stunden in den Trends, überwunden geglaubte Debatten flammen wieder auf. Auch in Deutschland. Hierzulande gilt bis heute der Name Kachelmann als Warnung davor, wie übereilt Frauen Glauben geschenkt werden kann. Nun wird diese Argumentationslinie um den Namen Depp bereichert.

Es bleibt abzuwarten, welche Auswirkungen auf die MeToo-Bewegung dieses Urteil am Ende tatsächlich hat. Nur eines sollte jeder, der den Präzedenzfall Depp beschreit, immer beachten: Der "Fluch der Karibik"-Star ist nicht frei von Schuld, wie das US-Gericht in Virginia am Mittwoch bestätigt – und das unterscheidet ihn im Wesentlichen von Jörg Kachelmann. Den Mann aus Hollywood zu heroisieren, trägt genauso wenig zur Wahrheit bei wie die Diffamierung von Amber Heard. Die Schlacht ist vorbei, packt den Schlamm wieder ein, mag man den Hysterischen zurufen – damit nun wirklich alle zur Ruhe kommen und diese nutzen, um in sich zu gehen. Die Erkenntnis nach dreimal durchatmen sollte lauten: Hass, Hetze und Geschrei hat noch nie ein Problem gelöst – und erst recht keine Wahrheit ans Licht gebracht.

Verwendete Quellen
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