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Die Zukunft der Ämter: So verplempert der Bund unsere Lebenszeit


Zukunft der Ämter
Planlos, hilflos, aussichtslos

Von Steve Haak

Aktualisiert am 15.07.2022Lesedauer: 5 Min.
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Olaf Scholz: Wenn Kanzler und Kabinett nicht bald entschieden handeln, bleibt die Digitalisierung in Deutschland auf der Strecke. (Quelle: IMAGO/Florian Gaertner/photothek.de)

Papierkram statt Online-Antrag: Die Digitalisierung der Verwaltung hierzulande kommt kaum voran. Der Grund: Es mangelt an etwas Substanziellem.

Stefan Barthel fühlt sich allein gelassen. Der Informatiker leitet das Referat IT/Digitalisierung in Dessau-Roßlau in Sachsen-Anhalt und ist für die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) in seiner Behörde verantwortlich. Das Gesetz verpflichtet ihn, bis Ende 2022 die Verwaltungsleistungen seiner Stadt über ein Portal auch digital anzubieten. Wie Barthel das schaffen soll, weiß er nicht. Es komme kaum Unterstützung vom Land "zu konkreten Online-Leistungen", sagt er. So wie ihm geht es vielen Kommunen. Sie fühlen sich im Stich gelassen.

Der Fall zeigt: Auch fünf Jahre nach Inkrafttreten des OZG fehlt es hierzulande an einer einheitlichen Strategie von Olaf Scholz und seinem Bundeskabinett, wie es jetzt mit der digitalen Verwaltung weitergehen soll. Und klar wird auch, wie grundlegend die Defizite in Deutschland noch sind.

Eklatante Unterschiede beim Tempo

Das Onlinezugangsgesetz ist 2017 mit dem Ziel verabschiedet worden, dass Bürger und Unternehmen hierzulande bis Ende 2022 alle Anliegen bei Verwaltungsangelegenheiten online erledigen können sollen.

Nur: Weil sich Bund und Länder die Erfüllung der Vorgaben des Gesetzes teilen sollen und mit unterschiedlichen Anwendungen arbeiten, gibt es teilweise eklatante Unterschiede beim Tempo der Umsetzungen.

Das führt dazu, dass Bürger in Berlin ihren Bewohnerparkausweis online beantragen können, Autobesitzer in Sachsen-Anhalt aber nicht. Eltern in Nordrhein-Westfalen können die Geburtsurkunde für ihr Kind über das Internet bestellen, in Mecklenburg-Vorpommern müssen sie die ausgefüllten Unterlagen wie vor dreißig Jahren noch immer per Post an das Amt schicken. Ein Flickenteppich.

Auf Platz eins: Nordrhein-Westfalen

Welche Bundesländer und Kommunen welche Dienstleistungen digital anbieten, lässt sich auf dem sogenannten OZG-Dashboard ablesen. Dort dokumentiert der Bund den Fortschritt der Digitalisierung in den Behörden. Auf Platz eins befindet sich Nordrhein-Westfalen mit 338 von 575 Leistungen. Sachsen-Anhalt ist mit 108 umgesetzten Dienstleistungen auf einem der hinteren Plätze.

Referatsleiter Barthel aus Dessau-Roßlau überrascht das nicht. "Jede Kommune in Sachsen-Anhalt kämpft für sich und vielleicht noch miteinander, aber nicht mit anderen Kommunen in anderen Ländern wie zum Beispiel im benachbarten Sachsen", sagt er. Dabei sei die Digitalisierung der Behörden ein zentrales Thema, das alle zusammen angehen könnten, wenn es vom Bund gesteuert würde.

Der Bund hat dagegen die Verantwortung für die Erarbeitung von Online-Lösungen an sogenannte Digitalisierungslabore der Länder abgegeben. Dort erarbeiten die Teams, wie die digitalen Anträge aussehen sollten, damit sie von den Bürgern angenommen werden. Das Ergebnis ist dann ein Umsetzungsplan, der Empfehlungen für die Implementierung der digitalen Leistung enthält und beschreibt, wie diese digitale Leistung von anderen Ländern genutzt werden kann. Eine einheitliche Strategie sieht anders aus.

Chaos bei der Schnittstellenanbindung

Eine Nachnutzung von Leistungen durch andere Länder, die in den Digitalisierungslaboren entworfen wird, nennt sich "Einer für Alle"-Prinzip (EfA) und spielt eine zentrale Rolle bei der Umsetzung des OZG. Die Idee dahinter: Jedes Land soll digitale Leistungen so erstellen, dass andere Länder die Programme anpassen und ebenfalls nutzen können. Wertvolle Entwicklungszeit könne so gespart werden.

Ein Beispiel: Wenn Land A einen Antrag für Wohngeld digitalisiert hat, profitiert Land B davon, weil es keinen eigenen Antrag digitalisieren muss. So weit, so gut. Die Voraussetzung dabei? Die Länder und Kommunen müssten sich laut Bund "nur mittels standardisierter Schnittstellen anbinden".

Und da liegt laut Barthel aus Dessau-Roßlau ein weiteres Problem: Weil jedes Land und jede Kommune mit "individuellen Fachanwendungen" arbeite, könne man "die Software nicht einfach an jedes beliebige System anbinden". Da bräuchte es eine Standardisierung der Software, und deren Erstellung für alle Behörden sei "mindestens sportlich", sagt der Referatsleiter. Am Ende blicke keiner mehr durch.

OZG nur als Startschuss für die digitale Wende?

Einer, der den Durchblick eigentlich haben sollte, ist Ernst Bürger. Er leitet seit 2020 die Abteilung "Digitale Verwaltung; Steuerung OZG" im Bundesinnenministerium (BMI). Mit anderen Worten: Der gelernte Jurist ist der OZG-Beauftragte des Bundes und dafür verantwortlich, die Digitalisierung in Deutschland voranzutreiben.

Er sagt im Gespräch mit t-online: "Die hohe Heterogenität bei technischer Infrastruktur in den Ländern und Kommunen stellt uns schon seit Beginn der OZG-Umsetzung vor große Hürden." Aber dank des Corona-Konjunkturpakets seien ausreichend finanzielle Mittel vorhanden, um die Verwaltungsdigitalisierung ein wichtiges Stück voranzubringen.

Spätestens mit dem Beginn der Pandemie, als die Ämter zeitweise nur eingeschränkt für die Menschen vor Ort erreichbar waren, hat sich also auch bei ihm in der Behörde eine gewisse Dringlichkeit bei der Digitalisierung von Verwaltungsangeboten bemerkbar gemacht.

Warum befinden wir uns dennoch weit hinter dem im OZG veranschlagten Zeitplan von Ende 2022? Schon bei Inkrafttreten 2017 sei klar gewesen, so Bürger, "dass die Verwaltung Ende 2022 nicht 'fertig digitalisiert' sein wird". Aber: Die Verabschiedung des Gesetzes 2017 habe den Startschuss "für eine nachhaltige Transformation der Verwaltung" gegeben.

Bayern fordert bundesweit einheitliche BürgerID

Ein Bundesland, das diese Umgestaltung der Verwaltung schneller als andere Länder hinbekommt, ist Bayern. Aber auch dort gibt es in den über 2.000 Kommunen ein unterschiedliches Tempo bei der Umsetzung. Um das zu beschleunigen, forderte Bayerns Digitalministerin Judith Gerlach im Gespräch mit t-online eine bundesweit einfache Anmeldemöglichkeit bei den digitalen Verwaltungsserviceleistungen.

"Ich fordere eine Deutschland-ID für die Bürgerinnen und Bürger, die praktikabel ist und genutzt werden kann", sagt Gerlach. Alles andere sei zu kompliziert, und nur eine einheitliche ID könne den Zugang zu digitaler Verwaltung drastisch vereinfachen.

Das sieht auch Referatsleiter Barthel aus Dessau-Roßlau so. "Ich verstehe nicht, warum nicht auf Bundesebene von vornherein ein einheitliches Konto geschaffen wird, wo sich jeder Bürger identifizieren und anmelden kann", sagt er.

Auch andere Bundesländer sehnen sich nach einer einheitlichen Strategie: Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hessen, Rheinland-Pfalz, Sachsen und Thüringen haben zusammen mit Bayern im Februar einen Forderungskatalog an den Bund gestellt.

Darin wünschen sie sich eine "Zentralisierung der Nutzerkonten-Postfächer" bis hin zu einer "bundesweiten dezentral strukturierten föderalen Verwaltungs-Cloud". Auch zentrale IT-Verfahren und Prozesse für die Kommunen sollten von den Ländern arbeitsteilig bereitgestellt und vom Bund unterstützt werden.

Es braucht endlich eine echte Unterstützung vom Bund

Es liegt also beim Bund, Bedingungen dafür zu schaffen, dass die Länder zentral unterstützt werden. Und es liegt auch beim Bund, diesen Prozess jetzt entschieden mit einem klaren Plan und einer zentralen Stelle anzuführen. Doch danach sieht es noch immer nicht aus. Für viele Beteiligte auf kommunaler Ebene und auch für Millionen Bürger ist das unverständlich.

Spätestens mit der Corona-Pandemie ist der hohe Bedarf an digitalen Leistungen hierzulande sichtbar geworden – und auch, wie eklatant die Defizite in Deutschland noch sind. Das liegt vielfach nicht an den Kommunen und deren IT-Leitern. Viele von ihnen sehnen sich danach, endlich echte Unterstützung zu erhalten.

Doch wenn nicht bald gegengesteuert wird, vertändeln Scholz und sein Kabinett eine weitere Legislaturperiode und verlieren womöglich auch noch die kommunalen IT-Mitarbeiter, die bislang noch darauf brennen, die digitale Verwaltung endlich umzusetzen.

Verwendete Quellen
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