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Russland: Robert Habeck stoppt Gazproms undurchsichtiges Milliarden-Manöver


Deutschland greift ein
Gazproms undurchsichtiges Milliarden-Manöver

  • Jonas Mueller-Töwe
  • Lars Wienand
Von Jonas Mueller-Töwe, Lars Wienand

04.04.2022Lesedauer: 6 Min.
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Russlands Machthaber Wladimir Putin (l.) mit seinem Vertrauten Alexei Miller, dem Chef des Gazprom-Konzerns: Die Investments des russischen Staatskonzerns in Europa werden zum Wirtschaftskrimi.Vergrößern des Bildes
Russlands Machthaber Wladimir Putin (l.) mit seinem Vertrauten Alexei Miller, dem Chef des Gazprom-Konzerns: Die Investments des russischen Staatskonzerns in Europa werden zum Wirtschaftskrimi. (Quelle: Sergei Karpukhin/TASS/imago-images-bilder)

Angeblich hat Gazprom sein Deutschland-Geschäft abgestoßen. Doch der Deal wirft Fragen zu den neuen Eigentümern auf. t-online-Recherchen führen zu einem Autohaus in Moskau.

Sanktionen, Durchsuchungen und drohende Enteignungen, offenbar kurzfristige Transaktionen in Höhe von Hunderten Millionen Euro und ein schwer durchschaubares Geflecht von Firmen und Eigentümern: Um Deutschlands Energieversorgung und die hiesigen Investments des russischen Staatskonzerns Gazprom entspannt sich ein Wirtschaftskrimi, der in der Geschichte vermutlich seinesgleichen sucht. Es ist ein brisantes und atemloses Wettrennen um Milliarden-Investments und die Versorgungssicherheit in Deutschland.

Kurz nach Veröffentlichung des Artikels verkündete Wirtschaftsminister Robert Habeck, die Bundesnetzagentur als Treuhänderin der "Gazprom Germania" einzusetzen. Grund ist das hier geschilderte Konstrukt, das laut Habeck auf "unklare Rechtsverhältnisse" und einen Verstoß gegen die Meldepflicht im Rahmen der Außenwirtschaftsverordnung schließen lässt. Die Maßnahme sei "eine Frage der nationalen Sicherheit" (mehr dazu lesen Sie hier). Gazprom in Deutschland bleibt in russischem Besitz, ohne dass klar ist, wer Besitzer ist. Alle Entscheidungen trifft aber zumindest bis Ende September die Bundesnetzagentur.

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Die Energie wird zur Waffe

Für die Bundesrepublik, das wird nun immer deutlicher, geht es um nichts weniger als das Überleben der eigenen Wirtschaft, die am Tropf des russischen Gases, der russischen Speicher und der russischen Pipelines hängt. Für Gazprom und damit den russischen Staat geht es um Milliarden Euro, die im Europageschäft stecken und deren Verlust den taumelnden Riesen dem Abgrund noch näher bringen könnte.

Nach dem Beginn des brutalen russischen Angriffs auf die Ukraine vor knapp sechs Wochen blieb zwar der Energiesektor zunächst weitgehend von den europäischen und US-amerikanischen Strafmaßnahmen verschont. Nord Stream 2 wurde begraben, aber das große Geschäft lief weiter. Nun zeichnet sich ab, dass die Energie zur Waffe wird. Gegenseitige Abhängigkeiten werden zu einem Ringkampf auf der Wippe.

Gasembargo oder Lieferstopp?

In Deutschland leeren sich die Gasspeicher bedrohlich. Der Stopp der Zusammenarbeit im Erdgas- und Ölgeschäft ist nicht mehr nur ein abstraktes Szenario, sondern wird sehr konkret. Europa und Deutschland wollen langfristig unabhängig von den Lieferungen werden - so viel ist klar. Doch der Umbruch könnte erzwungenermaßen viel früher kommen.

Entweder in Form eines Gasembargos, für das es angesichts der russischen Kriegsverbrechen in Europa trotz großer Risiken mittlerweile sehr viele Fürsprecher gibt. Oder aber, indem Russland den Gashahn zudreht.

Inmitten dieses großen Umbruchs der europäischen Friedensordnung und Energieversorgung scheint Russland nun offenbar seine Milliarden-Investments vor dem Zugriff westlicher Behörden schützen zu wollen: Überraschend gab Gazprom am Freitag bekannt, seine deutsche Tochter Gazprom Germania mit Sitz in Berlin abzustoßen.

Die Spuren zum neuem Eigentümer

Das ist kein kleines Unterfangen. Nicht nur, weil das Unternehmen laut Geschäftsbericht 2020 über fast drei Milliarden Euro Eigenkapital verfügte. Über die Gazprom-Tochter kontrolliert der russische Staatskonzern auch zahlreiche weitere Unternehmen, die das internationale Außenhandelsgeschäft organisieren und für Deutschland wichtige Pipelines und Gasspeicher besitzen. Dass so ein Deal scheinbar kurzfristig über die Bühne geht, ist also schwer zu glauben.

Stutzig macht außerdem, dass Gazprom sich nicht zum Käufer der milliardenschweren Deutschland-Tochter äußerte. Möglicherweise aus gutem Grund. Recherchen von t-online werfen Fragen zur neuen Eigentümerstruktur auf. Die Spuren führen in Büros über Räume, in denen verschiedene Firmen Autos verkaufen und reparieren. Es ist nicht die erste Adresse, an der man einen Anteilseigner milliardenschwerer Gasgeschäfte vermutet, mit denen Russland geostrategische Ziele verbindet.

Um die komplizierten Konstruktionen zu verstehen, die dorthin führen, ist ein Blick auf die bisherige Konzernstruktur erforderlich: Bislang war Gazprom Germania mit Sitz in Berlin eine hundertprozentige Tochter der Gazprom Export, die sich wiederum komplett im Besitz des Gazprom-Mutterkonzerns befindet.

Das änderte sich am 25. März: Knapp eine Woche, bevor Gazprom mit dem überraschenden Schachzug an die Öffentlichkeit ging, besiegelten Stempel und Unterschrift eines auf Russland-Geschäfte spezialisierten Berliner Notars einen zwei Tage zuvor in St. Petersburg gegangenen ersten Schritt des Milliardengeschäfts.

Wie aus Handelsregisterdaten hervorgeht, die t-online vorliegen, wurden an diesem Tag alle Gesellschaftsanteile der Gazprom Germania in Höhe von 225,595 Millionen Euro offiziell an ein Unternehmen namens Gazprom export business services mit Sitz in St. Petersburg abgetreten.

EU-Kommission ließ durchsuchen

Damit war Gazprom allerdings noch nicht ausgestiegen, denn die neue Alleingesellschafterin wurde seinerseits vor etwas mehr als einem Jahr gemeinschaftlich von Gazprom Export und einer weiteren Konzerntochter gegründet, der Gazprom International Projects.

Die offizielle Trennung vom Deutschland-Geschäft erfolgte erst im nächsten Schritt, der wenige Tage später kam: Am 31. März gab der Gazprom-Mutterkonzern per offizieller Mitteilung auf einem russischen Informationsportal bekannt, beide Töchter hätten ihre Beteiligung an der neuen Alleingesellschafterin der Gazprom Germania aufgegeben. Ein Käufer wurde nicht genannt.

Das zweistufige "Gazprom Germania"-Manöver steht in einem erstaunlichen zeitlichen Zusammenhang und könnte ein Alarmsignal gewesen sein: Exakt zwischen beiden Terminen durchsuchten die Wettbewerbsbehörden der EU-Kommission übereinstimmenden Berichten der Nachrichtenagenturen Reuters und Bloomberg zufolge unter anderem die Büros der deutschen Gazprom-Niederlassungen. Begründet wurde das mit dem Verdacht, die Unternehmen könnten ihre Marktmacht missbraucht haben, um Gaspreise in die Höhe zu treiben. Folglich dürften sich nun auch Behörden für die neuen Eigentümerstrukturen der Gazprom Germania interessieren.

Die wirken auf den ersten Blick wenig transparent. Einen ersten Aufschluss gibt nur der Blick ins russische Handelsregister: Als Geschäftsführer der Gazprom export business services ist dort weiterhin Gennady Ryndin eingetragen – zeitgleich ist er stellvertretender Generaldirektor für Wirtschaft und Finanzen bei Gazprom Export und war bis zum 1. April Geschäftsführer der Wiga Verwaltungs GmbH, einem deutschen Joint Venture von Gazprom und Wintershall in Kassel.**

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99,9 Prozent der Anteile an der neuen Alleingesellschafterin Gazprom export business services hält seit dem 31. März Gazprom export business services selbst. Das entspricht dem bisherigen Anteil der Gazprom Export an der Gesellschaft. Doch diese Anteile sind stimmrechtslos.* Die volle Kontrolle lag in dem Konstrukt bei einem Unternehmen, dass nur 0,1 Prozent hält: So viel hält seit 31. März eine Palmeri AG (russisch: АО 'ПАЛМЭРИ', englisch: JSC Palmary). Und eben jene AG hat nicht nur das Sagen, sondern wirft die größten Fragen auf. Sie ließ endgültig alle Alarmglocken im Bundeswirtschaftsministerium schrillen.

In ihren Registerdaten, die t-online vorliegen, weist nämlich zunächst nichts auf einen offenbar wichtigen Anteilseigner eines milliardenschweren Geschäfts hin. Das Stammkapital beträgt 3 Millionen Rubel, was etwas mehr als 30.000 Euro entspricht. Sitz des erst Ende Oktober eingetragenen Unternehmens ist ein Büro über einem Autohaus in Moskau. Nebenan befinden sich Soccer- und Eishockey-Halle. Dort will die Palmeri laut Geschäftszweck als Holdinggesellschaft agieren, in Unternehmen, Wertpapiere und Immobilien investieren.

So ungewöhnlich wie das Unternehmen und seine Geschäftsräume anmuten, ist auch der Hintergrund des aufgeführten Generaldirektors, der seinen Posten offenbar erst tags zuvor antrat: Dmitry Tsepalyaev. Vor einem Jahr noch registrierte er ein Unternehmen für den Elektro-Einzelhandel, andere seiner Unternehmen zum Beispiel für Fahrzeughandel und -reparatur sind mittlerweile aufgelöst – nun steht er seit dem 30. März einem Milliardenimperium vor. Weitere Partner sind aus den Unterlagen nicht ersichtlich.

Was das neue Konstrukt für durch einen Bericht des "Handelsblatt" zuvor kolportierte Planspiele bedeutet, die deutschen Tochtergesellschaften der russischen Energiekonzerne zu enteignen oder zu verstaatlichen, wurde am Montagnachmittag kurz nach Veröffentlichung der t-online-Recherche klar: Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck setzte die Bundesnetzagentur als Treuhänderin der "Gazprom Germania" ein und verkündete die Maßnahme in einer eilig anberaumten Pressekonferenz.

Der Schritt sei "eine Frage der nationalen Sicherheit". Als Grund nannte er das hier geschilderte Eigentümerkonstrukt. Zuvor hatte es Informationen von t-online zufolge Hinweise gegeben, dass die “Palmeri AG” nicht nur stiller Teilhaber sei, sondern Weisungen erteile – mit dem Ziel Gazprom Germania zu liquidieren.

Das "Handelsblatt" hatte vergangene Woche berichtet, in Deutschland werde befürchtet, die systemrelevanten Unternehmen könnten in Schieflage geraten und handelsunfähig werden, da Banken und Geschäftspartner die Zusammenarbeit beenden. In Großbritannien sorgte man sich laut "Sky News" hingegen darum, dass die neue Eigentümerstruktur zur Umgehung von bestehenden Verträgen genutzt werden könnte. Als die Überlegungen der Ministerien am Wochenende öffentlich wurden, hatte der russische Staatskonzern schon das Milliarden-Manöver offiziell gemacht.

t-online hatte vor Veröffentlichung Gazprom Germania, den Geschäftsführer der heutigen Alleingesellschafterin Gazprom export business services und den Generaldirektor der Palmeri AG um Stellungnahmen zur neuen Eigentümerstruktur gebeten. Die Fragen blieben vorerst unbeantwortet.

*An dieser Stelle haben wir aktualisiert, dass die Palmeri mit 0,1 Prozent alle Stimmrechte hält.

**An dieser Stelle haben wir aktualisiert, dass Ryndin als Geschäftsführer der Wiga Transport laut Unternehmensangaben am 1. April zurückgetreten ist.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
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