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Wann Erziehung auch mal inkonsequent sein darf


Aber nur ausnahmsweise!
Wann Erziehung auch mal inkonsequent sein darf

t-online, Nicola Wilbrand-Donzelli

Aktualisiert am 14.11.2014Lesedauer: 4 Min.
Erziehung: Heute pfeifen wir mal auf korrekte Erziehung! Ausnahmen bestätigen die Regel.Vergrößern des BildesHeute pfeifen wir mal auf korrekte Erziehung! Ausnahmsweise! (Quelle: Thinkstock by Getty-Images-bilder)
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"Konsequent bleiben!" Dieser Grundsatz gehört zu den zentralen Erziehungsprinzipien von Eltern und begleitet viele Kinder, sobald sie das Licht der Welt erblickt haben. Kaum eine pädagogische Maßnahme wird so eindringlich beschworen. Und fast nichts scheint Müttern und Vätern schwerer zu fallen. Doch ist Konsequenz überhaupt immer nötig und sinnvoll? Ein Experte erklärt, wann Gradlinigkeit und Regeltreue auch mal Nebensache sein können.

Nicht alles durchgehen zu lassen, den Wünschen des Nachwuchs nicht ständig nachzugeben und seiner Linie treu zu bleiben - das ist nach Ansicht der meisten Deutschen das Wichtigste einer gelungenen Kindererziehung. Das ergab eine Umfrage des Marktforschungsinstitutes "GfK", bei der gut 93 Prozent der knapp 2000 Befragten angaben, dass Eltern bei ihren Handlungen immer konsequent sein sollten. Nur dann lernten Kinder, was sie zu erwarten hätten und würden sich danach richten. Fast ebenso viele meinten, man sollte auch bei unangenehmen Entscheidungen immer unnachgiebig und klar bleiben, auch wenn die Kinder dann quengeln und protestieren.

Regeln geben Kindern Halt und Sicherheit

Konsequentes Handeln in der Erziehung bekommt aber nur dann einen Sinn, wenn vorher bindende Regeln aufgestellt wurden, die Kinder auf dem Weg zum Erwachsenwerden fördern und führen und sie nicht einschränken und gängeln. "Regeln sind eine unverzichtbare Richtschnur und sollten ein liebevoller Leitfaden sein. Denn nur wer Grenzen setzt, gibt seinen Kindern einen Rahmen, der ihnen Sicherheit und Geborgenheit bietet und innerhalb dessen sie auf Erkundungstour gehen und eigene Erfahrungen sammeln können", erklärt der Diplompsychologe und Familientherapeut Andreas Engel.

"Spielregeln" festzulegen ist ein urmenschliches Bedürfnis

Damit handeln Mütter und Väter nicht gegen den kindlichen Freiheitsdrang, sondern befriedigen ein urmenschliches Bedürfnis, das schon die Kleinsten im Kindergartenalter ganz ohne elterliche Überzeugungskraft eigenständig kultivieren: "Kinder sehnen sich nach haltgebenden Regeln und nach Orientierung", so der Experte. "Schon früh entwickeln sie deshalb beim Spiel ähnlich wie im Sport Gesetzmäßigkeiten, die aber immer wieder zwischen den Beteiligten diskutiert und neu definiert werden. Das ist unerlässlich im sozialen, lebendigen Miteinander."

Regeln flexibel handhaben

Auch die pädagogischen Leitlinien, an denen Eltern sich entlanghangeln, dürfen nie nur dem Selbstzweck dienen, sondern sollten flexibel umgesetzt werden und sich stets an der Entwicklung des Kindes und der jeweiligen Situation anpassen. Für einen Dreijährigen muss es also andere Rahmenbedingungen geben als für einen Achtjährigen.

"Doch Regeltoleranzen müssen dann tabu sein, wenn es um etwa um die Gesundheit geht oder Gefahr für Leib und Leben besteht, zum Beispiel im Straßenverkehr oder beim Hantieren mit elektrischen Geräten. Dann ist uneingeschränkter Gehorsam erforderlich. Aber auch bei Themen wie 'Zubettgehzeiten', um ausreichend Schlaf zu bekommen, Pünktlichkeit in der Schule oder zuverlässige Hausaufgabenerledigung sollten Eltern versuchen, Regeln durchzusetzen und dabei konsequent zu bleiben", betont Engel.

Rituale unterstützen konsequente Erziehung

Eine bewährte Methode, um Kindern Grenzen zu vermitteln und Konstanz und Ruhe in den Alltag zu bringen, sind Rituale, die in der Familie fest etabliert sind. Sie erleichtern nicht nur Vätern und Müttern die Erziehungsarbeit, sondern unterstützen vor allem jüngere Kinder dabei, bestimmte Verhaltensweisen einzuüben, regelmäßige Zeitstrukturen und bestimmte Abläufe zu lernen und sie zu verinnerlichen.

Kindern Mitspracherecht zugestehen

Dass das Einhalten von Regeln trotzdem nicht immer ohne Proteste und Diskussionen über die Bühne geht, wissen die meisten Eltern aus eigener Erfahrung. Doch hier kann bei älteren Kindern "partnerschaftliche" Kommunikation statt autoritärer Strenge helfen, weiß der Psychologe: "Vieles kann man zum Beispiel während einer Familienkonferenz verhandeln und den Nachwuchs so einbeziehen, dass er über Konsequenzen - seien es positive oder negative - mitreden und gemeinsam mit den Eltern überlegen kann, welche Maßnahmen sinnvoll sind, wenn etwa die Hausaufgaben nur selten erledigt werden, aber auch welche Belohnung lockt, wenn alle Absprachen und Versprechen eingehalten werden. Klar muss dabei aber immer sein, dass die Grundstrukturen von den Erwachsenen vorgegeben werden."

Konsequentes Handeln ist nicht immer sinnvoll

Nach einem Regelverstoß konsequent und pädagogisch wertvoll zu reagieren, ist aber nicht in allen Situationen von Erfolg gekrönt und kann manchmal sogar kontraproduktiv sein. Das gilt etwa in hoch emotionalen Momenten, wenn beispielsweise ein dreijähriger Trotzkopf mal wieder einen Wutanfall hat oder der pubertierende Teenager es zum zigsten Mal auf eine lautstarke Machtprobe ankommen lässt. Dann, so die Empfehlung von Engel, sollten Mütter und Väter nicht um jeden Preis unmittelbar ihre Prinzipien durchsetzen, sondern abwarten, bis die Gemüter sich beruhigt haben und sich erst dann mit dem Kind altersgerecht über die Folgen seines Verhaltens auseinandersetzen.

Bewusst Regeln zu "missachten" kann reizvoll sein

Manchmal ist es in Ordnung, wenn die Eltern gemeinsam mit ihren Sprösslingen mal "Fünfe gerade sein lassen": "Jede Regel definiert sich doch über ihre Ausnahmen", kommentiert Engel. "Gerade deshalb wird ja eine Regelüberschreitung als besonders reizvoll und spaßig empfunden. Das ist zum Beispiel so, wenn die ganze Familie auf einer Feier ist, die Kinder deshalb lange aufbleiben dürfen und die sonst üblichen 'Zubettgehzeiten' einfach ignoriert werden. Oder wenn man ausnahmsweise doch mal mehr Süßigkeiten - wie zur Weihnachtszeit - naschen darf."

Experte: "Kein Mensch kann immer konsequent sein"

Gerade die Option, auch mal flexibel reagieren zu dürfen und "Schwäche" zu zeigen, macht Pädagogik dynamisch und menschlich: "Erziehung ist komplexer geworden, seit die Gewaltfreiheit Anfang des neuen Jahrtausends gesetzlich manifestiert wurde", erläutert der Psychologe.

"Es funktioniert nun glücklicherweise meist ohne die autoritäre, schwarze Pädagogik, ohne Angst und ohne Einschüchterung, hat aber auch dazu geführt, dass viele Mütter und Väter unsicher geworden sind und oftmals nicht genau wissen, wie sie auf ihre Kinder einwirken können. Doch da sollte man gelassen bleiben! Keine Regel ist unumstößlich und kein Mensch kann immer konsequent sein. Es ist eine Illusion, diesen Anspruch zu haben."




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