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Polarforscher Fuchs: "Die 'Letzte Generation' spaltet die Gesellschaft"


Polarforscher Arved Fuchs
"Die 'Letzte Generation' spaltet die Gesellschaft"

InterviewVon Heike Vowinkel

Aktualisiert am 24.04.2023Lesedauer: 7 Min.
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Arved Fuchs sitzt am Steuerrad eines Segelschiffes.Vergrößern des Bildes
"Neugier treibt mich an": Seit mehr als 40 Jahren reist Arved Fuchs an die entlegensten Orte der Welt. (Quelle: Uwe Rattay)

Vom Abenteurer zum Polarforscher: Arved Fuchs über Angst, Klima-Aktivisten, die ihrem Anliegen schaden, und was er sich zum 70. Geburtstag vom Verkehrsminister wünscht.

Er hat Grönland mit dem Hundeschlitten durchquert, bei den Inuit gelebt, mit einem Faltkajak Kap Hoorn umrundet und ist innerhalb eines Jahres zu Fuß zum Nord- und Südpol gewandert. Seit mehr als 40 Jahren reist Arved Fuchs in die entlegensten Regionen der Welt und hat dabei die menschengemachte Veränderung des Klimas so direkt erfahren wie nur wenige andere. Nächste Woche wird er 70 Jahre alt, im Juni bricht er zu seiner nächsten Expedition auf.

t-online: Herr Fuchs, wann hatten Sie das letzte Mal wirklich Angst?

Arved Fuchs: Ui. Das kann ich gar nicht sagen. Es gibt immer wieder gefährliche Situationen bei meinen Expeditionen, das kann ein schwerer Sturm auf See sein oder das dünne, brüchige Eis. Für mich ist Angst aber kein zentrales Thema. Sie gehört dazu, weil sie wachrüttelt, um bestimmte Krisensituationen besser meistern zu können. Man darf nur nicht in Panik geraten.

Reagiert die "Letzte Generation" gerade auf die Klimakrise mit Panik?

Ich kann die Verzweiflung der jungen Menschen schon verstehen, und ich finde es perfide, wenn man sie in die Ecke mit Terroristen stellt. Trotzdem halte ich es für falsch, was die "Letzte Generation" macht.

Warum?

Weil sie mit ihren Klebeaktionen die Gesellschaft spaltet. Wir brauchen das Gegenteil: den Schulterschluss aller gesellschaftlichen Kräfte.

Wie lässt sich der erreichen?

Indem wir die Menschen auch emotional mitnehmen und ihnen zeigen: Wir haben keine andere Alternative als zum Beispiel voll auf regenerative Energie zu setzen – auch wenn ich das Windkraftrad in meiner Nähe nicht schön finde. Darin sehe ich meine Aufgabe: Wissenschaft anschaulich übersetzen, zu zeigen, was wir zerstören und verlieren, wenn wir so weiter machen und welche Folgen das für alle hat. Es müssen Bilder in den Köpfen entstehen. Nur so erreichen wir die Menschen, nicht mit moralisch erhobenem Zeigefinger.

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Leben zwischen Extremen: Arved Fuchs hat 23 Bücher über seine Reisen geschrieben und ist Träger des Bundesverdienstkreuzes (Quelle: IMAGO/Thomas Bartilla)

Abenteurer und Forscher

1953 in Bad Bramstedt geboren, macht Arved Fuchs zunächst eine Ausbildung bei der Handelsmarine, studiert Schiffsbetriebstechnik und startet 1977 seine erste Expedition in die Arktis. Es folgen Reisen durch Grönland, im Winter im Faltboot um Kap Horn, nach Feuerland, Borneo und immer wieder ins Polarmeer.1989 erreicht Fuchs zusammen mit dem Bergsteiger Reinhold Messner den Südpol und ist damit als erster Mensch in einem Jahr zu beiden Polen gewandert. Seit Jahren sammelt er auf seinen Reisen Daten für Forschungsinstitute.

Die Aktivisten der "Letzten Generation" sagen: Das wird schon zu lange versucht. Dafür haben wir keine Zeit mehr.

Ich verstehe ihre Ungeduld. Und ja, sie müssen laut und unbequem sein. Aber wenn sie ganze Teile der Bevölkerung gegen sich aufbringen, erreichen sie das Gegenteil und schaden dem Anliegen. Nehmen Sie Greta Thunberg und die Fridays for Future, die haben doch sehr viel mehr bewegt als die "Letzte Generation".

Nur redet von denen kaum noch jemand.

Mag sein, dass sich die Schulstreiks abgenutzt haben. Die Bewegung muss sich verändern und tut es ja auch schon. Viele bringen sich in die öffentliche Debatte ein und messen Politiker daran, was sie versprochen haben. Ich verstehe bis heute nicht, warum blockiert die FDP ein Tempolimit, das nachweislich enorm viel CO2 schnell einsparen könnte? Genau da sollten sie ansetzen und immer wieder nerven. Das würde auch in der breiten Bevölkerung auf Akzeptanz stoßen.

Was halten Sie von der Forderung der "Letzten Generation", ein "Gesellschaftsrat" solle Klimagesetze erarbeiten, für die sich die Regierung dann im Parlament starkmachen muss? Es handelt sich dabei um ein Gremium, das sich aus Bürgern zusammensetzt, die per Losverfahren ausgewählt werden.

Das wäre Parallelpolitik. Wozu haben wir Wahlen? Wir müssen im Rahmen der bestehenden Ordnung politischen Einfluss nehmen. Es ist gut, dass junge Menschen, von denen viele lange unpolitisch waren, endlich aufwachen und begreifen, dass das große Wort Generationengerechtigkeit bisher eine leere Worthülse ist, die mit Leben gefüllt werden muss. Aber es muss jedem klar sein, dass die vor uns liegenden Aufgaben nicht von heute auf morgen zu bewältigen sind und von einer breiten Gesellschaft getragen werden müssen. Dafür müssen wir in den Menschen etwas zum Klingen bringen, damit sie die Notwendigkeit erkennen. Das ist die große Herausforderung, vor der wir alle stehen.

Sie versuchen das, indem Sie in Ihren Vorträgen und Büchern die Schönheit dieser bedrohten Orte zeigen. Nähren Sie damit nicht auch die Sehnsucht, dorthin zu reisen, und befördern den Tourismus, der diese Gegenden ebenfalls gefährdet?

Den Schuh, die Sehnsucht nach diesen Orten zu wecken, ziehe ich mir durchaus an. Es wäre aber falsch, Menschen zu verbieten, dort hinzureisen. Jeder, der die Wertigkeit dieser Landschaften erkennt, ist ein Multiplikator für ihren Erhalt. Nur sollte man nachhaltig dorthin reisen. Meine Crew und ich blicken nicht durch die klimatisierte Kabine eines Kreuzfahrtschiffes. Wir stehen bei 40 Grad minus im Sturm draußen an Deck. Es geht um dieses unmittelbare Naturerlebnis und nicht darum, Natur zu konsumieren. Gegen Letzteres wehre ich mich. Massentourismus und diese monströsen Kreuzfahrtschiffe, die in Regionen fahren, wo sie nicht hingehören, verurteile ich. Was ich mache, ist Lobbyarbeit für den Erhalt dieser einzigartigen Landschaften.

Vor mehr als 40 Jahren, als Sie mit Ihren Expeditionen begannen, waren es Abenteuerlust und die Sehnsucht nach unberührter Natur, sagten Sie mal. Wie wurde aus dem Abenteurer der Klimaschützer?

Ich bin durch die Expeditionen zu einem guten Beobachter geworden und habe dabei zunehmend die Veränderungen wahrgenommen. Und dann sah ich mich in der Pflicht des Chronisten, darauf hinzuweisen.

Gab es ein Schlüsselerlebnis?

Das gab es tatsächlich. Wir hatten in den 90er-Jahren mit unserem Segelschiff dreimal versucht, durch die sogenannte Nordostpassage zu fahren. Das ist entlang der sibirischen Nordküste bis nach Alaska. Dreimal sind wir im Polareis stecken geblieben, weil unser Schiff ein Segelschiff und kein Eisbrecher ist. Wir warteten mehrere Jahre und beim vierten Mal 2002 konnten wir dann einfach so durchsegeln. Ohne Eiskontakt. Da stellte ich mir die Frage: Ist das jetzt nur so eine Laune der Natur oder eine Tendenz?

Was haben Sie dann gemacht?

Ich habe mich intensiv mit Wissenschaftlern unterhalten und recherchiert. Es war ganz klar eine Tendenz. Ich bin ein paar Jahre später ein zweites Mal durch die Passage gefahren, um Vergleiche anzustellen und Daten zu sammeln. Und da zeigte sich: Der arktische Raum verändert sich dramatisch schnell. Da war mir klar: Du musst deinen Fahrplan ändern und deine Inhalte danach ausrichten.

Wo sahen und sehen Sie Veränderungen?

Nehmen Sie die Inuit, die indigene Bevölkerung Grönlands, bei denen ich eine Zeit lang gelebt habe. Sie können nicht mehr zu den Jagdgründen rausfahren. Das Eis ist nicht mehr da oder zu brüchig. Das haben sie seit Jahrtausenden gemacht. Diese Menschen haben keine Lobby und finden auch kein Gehör. Aber sie waren die Ersten, die das auszubaden hatten. Und soweit müssen wir nicht mal schauen. In Schleswig-Holstein werden Klimadeiche gebaut. Das Wort hat es so vor 15 Jahren noch nicht gegeben. Der Klimawandel kostet das Land jedes Jahr über 60 Millionen Euro. Bis zum Ende dieses Jahrhunderts wird der Meeresspiegel hier um etwa einen Meter höher sein. Das hat Folgen für die Küsten. Wir haben starke Volkswirtschaften, wir können da gegensteuern, irgendwie. Aber was macht ein Land wie Bangladesch? Das wird zu gewaltigen Flüchtlingsbewegungen führen, ein Teil der Menschen wird auch nach Deutschland kommen. Alles ist miteinander verzahnt.

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Gerade zeigen neue Wetterdaten: Die Arktis erwärmt sich dreimal so schnell wie der Rest der Welt.

Ja. Das hat dramatische Auswirkungen auf die ganze Welt. Es ist eine Aneinanderreihung von besorgniserregenden Fakten.

Sie starten Ende Juni auf Ihre nächste Expedition, bei der Sie weitere Daten sammeln. Wissen wir nicht eigentlich schon, wie es um die Erde steht?

Feldforschung, also Daten von vor Ort, sind immer noch immens wichtig. Im letzten Jahr haben wir ozeanografische Daten vor Ost-Grönland gesammelt, Wissenschaftler des Helmholtz-Instituts in Kiel haben diese analysiert und damit gezeigt, dass wir eine Hitzewelle im Ozean erleben. Die Temperaturen lagen um 3 bis 5 Grad über den zu erwartenden Temperaturen. Die Seewassertemperaturen dort oben liegen im Sommer ohnehin nur bei etwa fünf, sechs Grad, das entspricht also fast einer Verdoppelung. Das hat Auswirkungen auf die Fauna in den Meeren, auf die Gletscher, die schneller schmelzen und und und. Diesmal konzentrieren wir uns auf den Ostseeraum und die nördliche Nordsee, die Äußeren Hebriden.

Machen Ihnen diese Daten Angst?

Ja, die Entwicklung macht mir Angst. Wir werden das Ziel, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, wohl nicht schaffen. Aber Angst aktiviert. Man darf nur, wie gesagt, nicht in Panik geraten, das blockiert. Wir sollten um jedes Zehntel Grad weniger kämpfen, denn jedes Zehntel hat einen immensen Effekt.

Sie werden jetzt 70. Machen Sie auch darum immer weiter?

Es ist vor allem die Neugier, die Sehnsucht nach dem Unbekannten, die mich antreibt. Und ich habe das Leben immer als eine große Möglichkeit empfunden, wollte immer über meinen persönlichen Tellerrand hinwegblicken und die Welt in all ihren Facetten kennenlernen. Jeder Einsatz war und ist es wert.

Auch wenn es lebensgefährlich ist? Im vergangenen Jahr wären Sie wegen einer Darmblutung während der Expedition fast gestorben, mussten notoperiert werden.

Das war Zufall, dass ich krank geworden bin. Natürlich hatte ich Glück, dass wir noch nicht zu weit draußen waren und ich ausgeflogen werden konnte. Alle anderen Risiken sind kalkulierbar. Klar, es ist auch nicht selbstverständlich, dass Sie mit einem kleinen Segelschiff durch einen schweren Sturm im Nordatlantik kommen. Das hängt von ganz vielen Komponenten ab.

Von welchen?

Von einem selbst, einem gut vorbereiteten Schiff, einer gut aufeinander eingespielten Mannschaft. Ohne Pathos: So ein Sturm lehrt Demut vor der Schöpfung. Sie merken, wie wichtig es ist, die Spielregeln der Natur zu beherrschen. Wer sie nicht beherrscht, geht unter. Punkt. Das gilt auch für uns als Gesellschaft. Wenn wir die Spielregeln der Natur, die endlich ist, nicht beherzigen, schaffen wir uns selbst ab.

Was wünschen Sie sich zum Geburtstag?

Was man sich in meinem Alter so wünscht: weiterhin so gesund zu bleiben. Darüber hinaus habe ich keine persönlichen Wünsche. Stattdessen: dass in der Öffentlichkeit der Konsens wächst, dass wir handeln müssen. Und dass der Verkehrsminister endlich den Widerstand gegen das Tempolimit aufgibt und andere wichtige Weichenstellungen vornimmt,

Verwendete Quellen
  • Interview mit Arved Fuchs am 20. April 2023
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