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Verliert Putin die Kontrolle über Kadyrow? Risse in Russlands Kriegsapparat


Kadyrow wütet gegen Bart-Verbot
Die Gräben im russischen Kriegsapparat


Aktualisiert am 22.01.2023Lesedauer: 4 Min.
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Putin (l.) und Ukraine-Kommandeur Gerassimow: Die militärische Führung ist in Russland harter Kritik ausgesetzt. (Quelle: Mikhail Kuravlev/dpa)

Ein Streit um Gesichtsbehaarung offenbart die Spaltung im russischen Kriegsapparat. Verliert der Kreml die Kontrolle über Kadyrow und Prigoschin?

Ein vermeintliches Bart-Verbot, verzweifelte Söldner und wüste Beleidigungen: Vorfälle der vergangenen Wochen offenbaren die tiefen Gräben, die sich zwischen dem russischen Verteidigungsministerium und den verbündeten Einheiten unter Tschetschenenführer Ramsan Kadyrow und Wagner-Gründer Jewgeni Prigoschin gebildet haben.

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Immer öfter tragen die Akteure ihre Konflikte auch in der Öffentlichkeit aus. Dabei geht es um die mangelhafte Ausstattung von Soldaten – aber auch darum, wer im Krieg gegen die Ukraine die Zügel in der Hand hält.

Handyverbot für russische Einheiten?

Auslöser der jüngsten Eskalation waren Berichte, wonach die russische Militärführung den Soldaten in der Ukraine untersagt habe, Bärte zu tragen. Zudem soll aus Sicherheitsgründen ein Smartphone-Verbot erlassen worden sein. Verbreitet hatten die vermeintliche Neuigkeit prorussische Militärblogger zu Beginn der Woche.

Der Leutnant und Duma-Abgeordnete Viktor Sobolew, Mitglied im Verteidigungsausschuss, begrüßte in russischen Medien das Durchgreifen. Die Bartrasur sei ein "elementarer Bestandteil der Militärdisziplin" – auch an der Front müsse es 15-20 Minuten für die Körperpflege geben, so Sobolew.

Ob es diese Verbote tatsächlich gibt, ist unklar. Der von Moskau im ostukrainischen Gebiet Donezk eingesetzte Besatzungschef Denis Puschilin widersprach den Gerüchten deutlich: Es gebe weder ein Bart- noch ein Handyverbot.

Doch der kommunikative Schaden ist immens: Kadyrow, der die tschetschenischen Einheiten in der Ukraine befehligt, polterte in seinem Telegram-Kanal gegen den Duma-Vertreter Sobolew. Dessen Äußerungen seien eine Provokation und Ausdruck von Islamfeindlichkeit.

Weil Kadyrows Einheiten aus religiösen Gründen häufig einen Vollbart tragen, fühlte sich der Tschetschenenführer von dem Kommentar des Verteidigungspolitikers besonders angegriffen. Statt Hinweisen zur Körperpflege erwarte man sich von den Verantwortlichen in Moskau Strategien, um die Zahl der Opfer in den eigenen Reihen zu verringern. Er lud Sobolew zu einem Besuch an der Front ein.

Ein stillschweigendes Bündnis

Der Gründer der Söldner-Gruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin, sprang Kadyrow bei: Sich zu rasieren sei an der Frontlinie ein absoluter Luxus – meist hätte man für die Körperpflege nur eine kleine Flasche Wasser. Ein potenzielles Handy-Verbot sei zudem archaisch und nicht zeitgemäß. Nach Einschätzungen britischer Geheimdienste kommandiert Prigoschin derzeit etwa 50.000 Söldner, die zu großem Teil aus russischen Gefängnissen rekrutiert sein sollen.

Sobolew ruderte daraufhin in einem Interview mit dem russischen Sender "RBC" zurück: Ein Bart-Verbot sei natürlich nicht sinnvoll – es sei ihm nur um ein respektables Auftreten der russischen Einheiten gegangen. Von der Vorbildhaftigkeit der tschetschenischen Einheiten hätte er sich in der Vergangenheit selbst überzeugen können.

Dass die Risse zwischen den Akteuren dadurch gekittet sind, ist unwahrscheinlich. Der Streit um die Gesichtsbehaarung deutet auf tieferliegende Konflikte im russischen Militärapparat, bei denen die Ultranationalisten immer wieder als Brandstifter auftreten. In der zunehmend harten Kritik an der staatlichen Militärführung gehen Kadyrow und Prigoschin ein stillschweigendes Bündnis ein.

Appell an Generalstab: "Wo sind sie?"

Ende Dezember hatten Wagner-Söldner ein Video in Umlauf gebracht, in dem Generalstabschef Waleri Gerassimow wüst beschimpft wurde. Einem Bericht der "Daily Beast" zufolge klagen die Söldner darin über einen Mangel an Munition: "Wo sind sie? Es wird Zeit, dass sie uns helfen", heißt es demnach in den Aufnahmen. Es folgen derbe Beleidigungen, Gerassimow sei ein "Motherfucker".

Spekulationen, dass es sich bei dem Video um eine ukrainische Fälschung handeln könnte, wurden dabei dem Bericht zufolge von Prigoschin selbst ein Ende gesetzt. Der enge Vertraute Putins soll seine Soldaten verteidigt haben: Sie müssten Tag für Tag die Leichen ihrer Freunde tragen und seien deshalb zu Recht verzweifelt.

Mitte Januar entzündete sich der Konflikt dann erneut, dieses Mal an der Schlacht um die ostukrainische Stadt Soledar. Der Wagner-Gründer kritisierte, dass das russische Verteidigungsministerium den Einsatz seiner Männer bei der mutmaßlichen Eroberung des ostukrainischen Ortes nicht würdigte – die Einnahme Soledars ist bis heute nicht unabhängig bestätigt. Moskau reagierte und sprach in einer späteren Mitteilung von dem "mutigen und selbstlosen Einsatz" der Wagner-Söldner.

Kann Gerassimow die Wogen glätten?

Beobachter gehen davon aus, dass der neue Oberkommandeur in der Ukraine, Generalstabschef Gerassimow, das Kräftegleichgewicht zwischen Moskau und den beteiligten Einheiten wiederherstellen soll. Sein Vorgänger, General Sergej Surowikin, galt als Verbündeter Prigoschins. Er war nur drei Monate im Amt, untersteht nun als Stellvertreter Gerassimow.

Mit diesem Umbau will der russische Präsident Wladimir Putin offenbar verhindern, dass sich die Konflikte verschärfen und sich eine Allianz gegen etablierte russische Militärs und vor allem den Verteidigungsminister Sergej Schoigu bildet. Das US-amerikanische Institut für Kriegsstudien (ISW) urteilte, Putin bestätige mit der Ernennung Gerassimows die führende Rolle des Kremls in dem Krieg.

Diese Einschätzung teilt auch die ukrainische Militärführung. Der Sekretär des Nationalen Sicherheitsrates, Olexij Danilow, analysierte zuletzt, dass die Beteiligten – Wagner-Söldner, Kadyrows Truppen, das Militär und eine mögliche neue Spezialeinheit – Gefahr laufen, sich in einem Machtkampf zu verlieren. Die nächsten zwei bis drei Monate könnten deshalb von entscheidender Bedeutung sein.

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