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G20-Gipfel in Indien findet Kompromiss: Ein Albtraum wird wahr


Putin lähmt G20-Gipfel in Indien
Es brodelt gewaltig


09.09.2023Lesedauer: 6 Min.
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t-online Reporter Patrick Diekmann berichtet vom G20-Gipfel aus Neu Delhi. (Quelle: t-online)

Die G20-Staaten haben sich auf eine gemeinsame Abschlusserklärung geeinigt. Doch beim Gipfel in Neu-Delhi gibt es durchaus Unbehagen. Hat Wladimir Putin für seinen Ukraine-Krieg erneut einen Denkzettel bekommen?

Immer wenn der Westen dieser Tage auf Russland trifft, ist die Anspannung greifbar. Als Sergej Lawrow am Samstag über den roten Teppich ging, schauten viele politische Beobachter an den Bildschirmen des G20-Gipfels in Neu-Delhi genauer hin. Der russische Außenminister musste Kremlchef Wladimir Putin vertreten, der wegen des russischen Angriffskrieges in der Ukraine nicht anreisen konnte. Doch Entgegenkommen gab es von russischer Seite auf dem Gipfel kaum. Lawrow hatte scheinbar vom Kreml drei Aufgaben mit auf den Weg bekommen:

Lawrow sollte mit denen sprechen, die bilateral überhaupt noch mit Russland sprechen wollen. Außerdem musste er in der G20-Runde seinen Handzettel mit den üblichen russischen Kriegsthesen vorlesen und – für Moskau besonders relevant – eine Verurteilung des russischen Angriffskrieges in der Ukraine in der Abschlusserklärung des Gipfels verhindern. Letzteres nicht ohne Grund.

Putin wollte eine Blamage wie beim G20-Gipfel in Indonesien verhindern. Russland war im vergangenen Jahr am Ende dazu gezwungen, eine Abschlusserklärung zu unterzeichnen, die den eigenen Krieg geißelt. Das sollte sich aus Kreml-Perspektive nicht wiederholen. In Neu-Delhi stolperte Lawrow zwar auf dem Weg über den roten Teppich physisch, aber in der Sache blieb er hart. Die russische und die chinesische Führung haben mit einer Blockadedrohung eine Erklärung der G20 erpresst, die im Prinzip niemandem weiterhilft – besonders der Ukraine nicht. Mehr konnte Putin politisch kaum erreichen.

Nun ist der Verlierer dieses Gipfels vor allem die Ukraine. Im Vergleich zum G20-Treffen im vergangenen Jahr erscheint Russland zumindest öffentlich nicht mehr so isoliert. Zwar steht Putin noch immer weitestgehend alleine da, aber er kann vielmehr auf den Rückhalt aus China zählen, um internationale Beschlüsse in seinem Sinne zu erpressen. Das sendet ein fatales Signal in die Welt und ist ein Sinnbild der verhärteten Fronten, die durch die internationale Gemeinschaft verlaufen.

Fronten sind verhärtet

Zunächst sah es am Freitag noch danach aus, als könnte der Gipfel komplett scheitern. Russland hatte sich darauf versteift, dass auch die Position des Kreml auf den Ukraine-Krieg in der Abschlusserklärung berücksichtigt werden sollte. Eine Formulierung, die hervorgehoben hätte, dass Russland und China mit dieser Position allein sind, lehnten Moskau und Peking wiederum auch ab, erfuhr t-online von westlichen Diplomaten auf dem Gipfel in Neu-Delhi.

Für die deutliche Mehrheit der G20, die den russischen Angriffskrieg kritisch sehen, war es dagegen keine Option, Putins Kriegsnarrative in Ansätzen zu legitimieren. Es sah so aus, als wären diese Positionen unvereinbar.

Doch im Prinzip war es Indien, das auf eine Einigung pochte. Der indische Premierminister Narendra Modi hatte diesen Gipfel groß inszeniert, wollte Indien in Neu-Delhi als Großmacht präsentieren, die die Welt zusammenführen kann. Ein Scheitern des Gipfels wäre dementsprechend ein politisches Debakel für Modi gewesen, der sich von der G20-Präsidentschaft vor allem auch Rückenwind für die indische Parlamentswahl im kommenden Frühjahr versprach. Überall in Neu-Delhi hing sein Bild zusammen mit weisen Sprüchen über die große Bedeutung von internationaler Zusammenarbeit.

Ein fauler Kompromiss?

Das Motto des G20-Gipfels in Indien ist: "Eine Erde, eine Familie, eine Zukunft." Problem für die indische Führung ist lediglich, dass diese Familie ziemlich zerstritten ist und dass ein Familienmitglied einen Krieg angefangen hat – Wladimir Putin.

Immer wieder trafen sich die Unterhändler und auf der indischen Seite stieg die Nervosität. Unterhändler ringen in diesen Debatten um jede kleine Formulierung, müssen selbst bei einer Einigung noch Rücksprache mit ihrem Staats- oder Regierungschef halten. Ein mühsamer Prozess, der jederzeit scheitern könnte. Der ehemalige US-Präsident Donald Trump sorgte zum Beispiel bei einem G7-Treffen in Kanada 2018 für einen Eklat, weil er eine gemeinsame Erklärung im letzten Moment verhinderte.

Am Samstagmittag sickerte in Neu-Delhi dann langsam durch, dass sich die Unterhändler auf gemeinsame Formulierungen mit russischen und chinesischen Vertretern einigen konnten. Nun mussten nur noch Xi und Putin zustimmen, was sie dann am Ende auch taten.

Um es klar zu sagen: Die Abschlusserklärung des Gipfels in Neu-Delhi ist ein Minimalkompromiss, der die Zerrissenheit der G20 symbolisiert. Die Staats- und Regierungschefs der einflussreichsten Industrie- und Schwellenländer verurteilen in ihrer Erklärung den "Einsatz von Gewalt" zur Erzielung von "Geländegewinnen". Die russische Aggression gegen die Ukraine wird in dem Text allerdings nicht beim Namen genannt.

Chinas Rückendeckung für Putin

Zum Vergleich: Beim vorherigen G20-Gipfel auf der indonesischen Ferieninsel Bali hatte sich Moskau 2022 offensichtlich auf Druck Chinas einverstanden erklärt, in die Abschlusserklärung den Satz aufzunehmen: "Die meisten Mitglieder verurteilten den Krieg in der Ukraine aufs Schärfste." Russlands Position wurde mit den Worten abgebildet: "Es gab andere Auffassungen und unterschiedliche Bewertungen der Lage und der Sanktionen."

Die Abschlusserklärung in Neu-Delhi kann für die Ukraine als Rückschritt gewertet werden. Auch das hat mit China zu tun. Denn die Allianz zwischen Xi und Putin scheint den vielen Erschütterungen, die Russland durch seinen Krieg verursacht, Stand zu halten – auch das hat der G20-Gipfel in Indien gezeigt. Russland und China ringen gegen den Westen um eine neue globale Ordnung, die nicht mehr von den USA bestimmt wird. Dazu setzen sie zunehmend auf die Brics-Staaten, die sie politisch als Gegengewicht zu den G7 aufwerten möchten.

Doch während das Ziel Chinas klar ist, bleibt Pekings Vorgehen in vielerlei Hinsicht ein Rätsel. Nun könnte Xi Jinping seine persönliche Teilnahme am Gipfel abgesagt haben, weil er wusste, dass China in der Ukraine-Frage relativ viel Kritik auf dem Gipfel würde einstecken müssen. Die chinesische Position war, die Ukraine-Frage komplett aus der Abschlusserklärung zu streichen. Immerhin würde der Ukraine-Konflikt kein wirtschaftliches Problem sein, hätten chinesische Unterhändler in den Gesprächen betont. Da der russische Angriffskrieg seit Beginn der Invasion im Februar 2022 die weltpolitische Lage dominiert, ist Peking aber mit dieser Position ziemlich isoliert.

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Scholz wertet Ergebnis positiv

Im Vorfeld des Gipfels war klar, dass diese Positionen in Indien eigentlich unvereinbar aufeinanderprallen. Am Ende steht ein Kompromiss, der von einer Uneindeutigkeit lebt. Russland wird behaupten, dass die russische Armee in der Ukraine nicht für Geländegewinne kämpfe, sondern um die Befreiung des eigenen Staatsgebietes. Moskau hatte neben der Krim auch vier weitere ukrainische Oblasten annektiert. Der Westen hingegen wird in der Abschlusserklärung eine Verurteilung der russischen Invasion lesen. So hat auch Bundeskanzler Scholz das Ergebnis des Gipfels auf einer Pressekonferenz als Erfolg gewertet. Es sei klar, was mit der Bewahrung der territorialen Integrität von Staaten gemeint sei.

Doch das stimmt nicht. Für Moskau gehören Teile der Ukraine zu Russland, Peking sieht Taiwan als sein Territorium an. In jedem Fall ist es kein Erfolg für den Westen, wenn die Ukraine in der Erklärung nicht einmal namentlich erwähnt wird. Das geben auch westliche Diplomaten in Neu-Delhi zu.

Politisch verlässt demnach niemand als Verlierer den Gipfel in Indien, alle Beteiligten haben ihr Gesicht gewahrt. Auch im vergangenen Jahr hatte die Verurteilung des Krieges praktisch keinen Einfluss auf die praktische Politik. Die Abschlusserklärung war lediglich ein Symbol – und genauso verhält es sich mit dem Ergebnis des G20-Treffens in Neu-Delhi.

Aber dieses Symbol läuft zuungunsten der Ukraine aus, weil die Abschlusserklärung deutlich schwächer ausfällt als im vergangenen Jahr. Putin profitiert in Indien von der Fallhöhe und kann sich als Sieger präsentieren. Dabei hat er lediglich für sich genutzt, dass im abschließenden Kommuniqué ein Konsens zwischen allen Staaten gefunden werden muss.

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Eben das wird auch künftig zum Problem für die G20 werden. Denn China und Russland, die zunehmend auf das Brics-Bündnis setzen, sind jederzeit in der Lage, die G20 zu blockieren. Auch deshalb wird dieses Format in Zukunft um sein Überleben kämpfen müssen – besonders wenn die globale Blockbildung zunehmen sollte, meinen Experten.

G20-Gipfel: Einen Gewinner gibt es

Immerhin konnte in Indien die Afrikanische Union (AU) als permanentes Mitglied für die G20 gewonnen werden. Dass nun der afrikanische Kontinent eine größere Bedeutung in dem Format bekommen soll, ist vielleicht das Ergebnis mit der größten Signalwirkung. Im Ringen um eine neue globale Ordnung wird es am Ende für Russland, China und dem Westen darum gehen, ihre Bündnisse auszubauen, um die jeweils andere Seite unter Druck zu setzen.

Genau das passierte auch in Indien – das wird auch bei den Treffen von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) deutlich. Scholz kam etwa auch mit Saudi-Arabiens Prinz Mohammed bin Salman und mit dem ägyptischen Machthaber Abdel Fattah a-Sisi zusammen – Politiker, die er nicht häufig persönlich trifft. Für den Westen geht es also auch darum, seine Beziehungen mit vielen Staaten in allen Regionen der Welt zu intensivieren, um Xi und Putin keinen Raum zu überlassen.

Doch dieser Kampf ist langwierig, auch wenn es schon erste Erfolge für den Westen gibt – etwa in den Beziehungen zu Indien. Der Gastgeber wirkte am Ende zufrieden mit dem Ergebnis. Modi bekommt seine gemeinsame Abschlusserklärung und durch die Aufnahme der AU in die G20 kann sich Indien als Vertreter des globalen Südens präsentieren. Ein komplettes Scheitern des Treffens ist auch vom Tisch. Wenn man demnach einen Gewinner des Gipfels in Neu-Delhi finden möchte, ist Modi auf jeden Fall ein Kandidat. Und das war noch am Freitagabend nicht unbedingt zu erwarten.

Verwendete Quellen
  • Gespräche auf dem G20-Gipfel in Neu-Delhi
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