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Türkei-Experte Copur: "Ankara strebt keinen EU-Beitritt an"


Ein Türkei-Experte erklärt
"Ankara strebt keineswegs einen EU-Beitritt an"

t-online, Chiara Lippke

Aktualisiert am 25.03.2016Lesedauer: 4 Min.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat für die Türkei Pläne, die in eine ganz andere Richtung gehen, als er die Öffentlichkeit glauben machen will.Vergrößern des BildesDer türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat für die Türkei Pläne, die in eine ganz andere Richtung gehen, als er die Öffentlichkeit glauben machen will. (Quelle: Reuters-bilder)
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Die Türkei will in die Europäische Union? Keineswegs, sagt der Politikwissenschaftler Burak Çopur von der Universität Duisburg-Essen im Gespräch mit t-online.de. Die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei nennt er ein "scheinheiliges und heuchlerisches Spiel von beiden Seiten".

Konflikt mit Syrien, Terroranschläge und Krieg mit den Kurden. Dr. Çopur, wie bewerten Sie die momentane Lage in der Türkei?

Die Türkei gleicht einem Pulverfass. Sie befindet sich im Konflikt mit mehreren Staaten und Akteuren: Russland, Syrien, den türkischen beziehungsweise syrischen Kurden und dem sogenannten Islamischen Staat. Die Sicherheitsprobleme in der Türkei sind leider hausgemacht und das Ergebnis einer fehlgeleiteten türkischen Syrien- und Kurdenpolitik. Durch diese Politik steigt das Sicherheitsrisiko in der Türkei. Angesichts der Anschläge in Istanbul und Ankara muss in der gesamten Türkei grundsätzlich mit einer terroristischen Gefährdung gerechnet werden.

Sollte man einen Türkeiurlaub also besser stornieren?

Ich rate von einer Panikmache genauso ab wie von offensiven Aufrufen, gerade jetzt Urlaub in der Türkei zu machen, um sich nicht vom Terrorismus einschüchtern zu lassen. Solche Aufrufe sind unverantwortlich, wenn man sieht, dass selbst in der belebtesten Einkaufsstraße der Türkei, der Istiklal-Straße in Istanbul, ein Anschlag stattfinden konnte.

Nach den Anschlägen in Brüssel könnte man meinen, dass man nirgends sicher ist.

Das stimmt, aber in der Türkei ist man noch unsicherer. Mit Beginn des Sommers und der Urlaubssaison wird tendenziell die Terrorgefahr in der Türkei ansteigen, weil dann die PKK-Kämpfer von den Bergen heunterkommen und den Krieg vermutlich auch in die Städte tragen werden. Das heißt, die Gewaltspirale wird sich weiterdrehen. Was wir bisher sehen, ist vielleicht nur die Spitze des Eisbergs.

(Quelle: Dr. Burak Çopur)

Burak Çopur ist promovierter Politikwissenschaftler und Türkei-Experte am Institut für Turkistik der Universität Duisburg-Essen.

Die türkische Regierung geht brutal gegen die Kurden im eigenen Land vor, bedroht die syrischen Kurden und ignoriert die Warnungen der Nato. Was soll das?

Die Türkei hat panische Angst vor der Gründung eines Kurdenstaats im Nahen Osten. Es gibt ja mittlerweile ein selbstverwaltetes Kurdengebiet im Irak und die drei autonomen Kantone im Norden Syriens, die vor einigen Tagen eine Föderation in Nordsyrien ausgerufen haben. Spalten sich auch noch langfristig die türkischen Kurden von der Türkei ab - und diese Tendenz besteht - ist die territoriale Integrität der Türkei gefährdet. Doch anstatt sich mit den syrischen Kurden genauso gut zu verstehen wie mit den Kurden im Nordirak, versucht die Türkei, die syrischen Kurden zu bekämpfen, die sich wiederum erfolgreich gegen den IS zur Wehr setzen. Mit einer solchen Kurdenphobie schadet sich die Türkei nur selbst und steht einer friedlichen Lösung des Problems im Wege.

Der türkische Präsident führt Krieg gegen die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK. Ist sie militärisch überhaupt zu besiegen?

Die PKK wird nicht militärisch zu besiegen sein, sonst hätte die Türkei sie in den letzten 30 Jahren schon längst besiegt. Vielmehr hat aktuell ein erbitterter Machtkampf zwischen der AKP und der PKK begonnen. Die AKP ist entschlossen, die PKK nach dem Sri-Lanka-Modell (Anm.: Gemeint ist das brutale Vorgehen des srilankischen Militärs gegen die tamilischen Separatisten "Tamil Eelam") endgültig auszuschalten. Die PKK wiederum will den Sturz Erdogans herbeiführen. Beide Ziele werden mit Waffengewalt nicht zu erreichen sein und nur zu einer weiteren Eskalation führen. Allein die Wiederaufnahme der Friedensgespräche wird den Kurdenkonflikt langfristig beenden können.

Könnte der Konflikt auf Deutschland überschwappen?

Die Gefahr besteht natürlich immer, dass der innertürkische Konflikt auch hierher exportiert wird. Aber für die PKK wäre es höchst kontraproduktiv, zu den Taktiken der neunziger Jahre zurückzukehren. Denn schon jetzt könnte es für die PKK aufgrund der EU-Türkei-Vereinbarung in der Flüchtlingsfrage politisch eng werden und die Kontrolle über die Organisation könnte zunehmen.

Was ist Erdogans Ziel?

Erdogans Ziel ist es, vermutlich noch in diesem Jahr entweder eine Verfassungsänderung für sein autoritäres Präsidialsystem durch ein Referendum, oder eine erneute Neuwahl durchzusetzen. Für eine Verfassungsänderung im Parlament braucht er aber eine Zweidrittelmehrheit. Dazu muss die prokurdische HDP und wenn möglich auch die ultranationalistische MHP aus dem Parlament gedrängt werden. Deshalb setzt Erdogan auf die nationalistische Karte und heizt den Kurdenkonflikt weiter an.

Trotzdem strebt Erdogan einen EU-Betritt an. Ist das überhaupt realistisch?

Die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei sind ein scheinheiliges und heuchlerisches Spiel von beiden Seiten. Längst ist klar, dass der Zug nach Brüssel unter diesen Bedingungen vor Jahren abgefahren ist - beide Parteien haben daran ihren Anteil. Das türkisch-europäische Verhältnis gleicht eher einer Zweckbeziehung. Die Führung in Ankara strebt keineswegs einen EU-Beitritt an, sondern hat längst andere Pläne: eine sich unter dem Erdogan-Regime zu einer vermeintlichen „ottomanischen Großmacht“ entwickelnde Türkei. Die hat wenig Interesse daran, einen Teil ihrer nationalen Souveränität an die EU abzutreten und ihre Macht mit zerstrittenen Unionsmitgliedern zu teilen.

Wieso dann das ganze Theater?

Das ist eine gute Frage. Wir erleben eine verlogene Realpolitik. Die EU-Türkei-Beitrittsverhandlungen sind zu einer Farce verkommen. Man versucht sich gegenseitig etwas vorzumachen. Und für die Öffentlichkeit wird ein Theaterspiel inszeniert. Jeder Türkei-Kenner weiß, dass die Türkei unter dem Autokraten Erdogan niemals der EU beitreten kann.

Was kann oder sollte die EU machen?

Nur eine Stärkung der türkischen Opposition und ein Wechsel der parlamentarischen Mehrheiten bei den nächsten Wahlen könnten zu einem ernst gemeinten Neustart in den europäisch-türkischen Beziehungen führen. Parallel dazu müsste die türkische Zivilgesellschaft gestärkt werden. Denn mit Erdogan wird es kein Zurück zur Demokratie und zum Rechtsstaat geben. Das scheint die EU aber nicht zu interessieren. Sie macht sich lieber zum Wegbereiter und Geburtshelfer einer türkischen Diktatur vor den Toren Europas.

Wird Erdogan damit Erfolg haben, oder durchschaut ihn die türkische Bevölkerung?

Erdogan lebt von der Angstmache. Und solange die Menschen diese Angst nicht überwinden, wird Erdogan auch mit seiner Politik der Einschüchterung Erfolg haben. Er hält das Land in einem permanenten Angstzustand und dadurch versuchen die Menschen Zuflucht bei einem „starken Mann“ zu finden. Deshalb baut Erdogan seine Machtstrategie genau auf diese Angst der Menschen auf und scheint damit bisher Erfolg zu haben.

Wohin steuert das Land?

Die Türkei steuert ganz klar auf eine Diktatur mit totalitären Zügen hin - und das gerade Deutschland mit der Idee der türkischen Zusammenarbeit in Form eines Flüchtlingsbasars eifrig daran mitwirkt, wird wohl mehr als nur eine ironische Randnotiz der Geschichte werden.

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