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Ukraine-Krieg spaltet Ungarn – kurz vor der Wahl: "Orbáns Hochzeit ist vorbei"


Wahl in Ungarn
"Orbáns Hochzeit ist vorbei"


03.04.2022Lesedauer: 6 Min.
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Ministerpräsident Viktor Orbán: Seine Partei führt die Umfragen an – je nach Institut knapp oder deutlich.Vergrößern des Bildes
Ministerpräsident Viktor Orbán: Seine Partei führt die Umfragen an – je nach Institut knapp oder deutlich. (Quelle: PuzzlePix/imago-images-bilder)

Ungarn steht an einem Scheideweg: Zwar führt Orbáns Partei die Umfragen an, die Opposition hat aber Chancen. Ausgerechnet der Ukraine-Krieg könnte die Wahl aber nun zu Orbáns Gunsten entscheiden.

Rot-Grün-Weiße Flaggen wehen in der Innenstadt von Budapest, als Viktor Orbán zu seiner wichtigsten Wahlkampfrede ansetzt. Zehntausende sind an diesem Tag vor das ungarische Parlament gezogen. Es ist der 15. März – ein Schlüsseltag in der ungarischen Geschichte. 1848 begann an diesem Datum die Revolution gegen die österreichische Herrschaft. In diesem Jahr markiert er außerdem den Auftakt zum großen Wahlkampfendspurt.

Normalerweise wäre es in seiner Rede wohl hauptsächlich um Orbáns Kernthemen gegangen – doch der Ukraine-Krieg überschattet auch den ungarischen Wahlkampf. Und der Ministerpräsident macht an diesem Tag klar, wo seine Regierung steht: "Aus diesem Krieg müssen wir uns heraushalten." Für die Großmächte – ob nun die USA, die EU oder Russland – sei Ungarn nur eine "Figur auf dem Schachbrett", sagte er. "Mal will uns der eine, mal der andere an die Front schieben. Wenn es ihre Ziele erfordern, opfern sie uns auf."

"Hör zu, Viktor, weißt du, was in Mariupol passiert?"

Der Krieg in der Ukraine – er ist das bestimmende Wahlkampfthema. Mit seiner Haltung isoliert Orbán Ungarn in Europa, vor allem aber in der direkten Nachbarschaft, mehr und mehr. Zwar hat Ungarn, selbst Nato- und EU-Mitglied, bislang Hunderttausende Geflüchtete aus der Ukraine aufgenommen und Sanktionen unterstützt. Bei einem Embargo auf Energieimporte zog Orbán allerdings, wie auch Deutschland, bislang eine rote Linie.

Auch eigene Waffenlieferungen schloss Orbán aus, ebenso untersagte er, Waffen über ungarisches Territorium in die Ukraine zu liefern. Und während er Russlands Invasion verurteilt, distanziert er sich nicht von Kremlchef Wladimir Putin, mit dem er bislang gute Beziehungen pflegte. Das stößt besonders in den Nachbarländern auf Unverständnis. Seine Gegner nennen ihn deswegen auch das trojanische Pferd Russlands in der EU.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj nutzte kürzlich eine per Video übertragene Rede vor den EU-Staaten, um Orbán direkt anzugreifen. "Hör zu, Viktor, weißt du, was in Mariupol passiert?", sagte Selenskyj. Ungarn müsse sich endlich entscheiden, auf welcher Seite es stehe. "Es ist nicht die Zeit, zu zögern. Es ist Zeit, zu entscheiden."

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Umfragen zeigen unklares Bild

Der Krieg könnte die Wahl am Sonntag in zwei verschiedene Richtungen lenken. Scharen sich die Wähler in diesen unsicheren Zeiten um den amtierenden Regierungschef? Oder aber strafen sie ihn ab für seinen unentschiedenen Kurs im Ukraine-Krieg? Klar ist: Die Wahl in Ungarn ist so eng wie schon lange nicht mehr. Denn zum ersten Mal seit Jahren hat Orbán, der Ungarn seit 2010 durchgehend regiert, Konkurrenz. Sechs Oppositionsparteien haben sich vereinigt, um ihn vom Thron zu stoßen.

Die Zeichen stehen derzeit auf einen Wahlsieg von Orbáns Fidesz. Je nachdem, auf welche Umfrage man schaut, könnte die vereinte Opposition (EM) aber noch eine Chance haben. Einige sehen EM nur zwei Prozentpunkte hinter Fidesz und dem Bündnispartner KDNP, andere bis zu zehn. Auch die Zahl der Unentschiedenen ist hoch. Ein Großteil der Sitze im Parlament wird allerdings über Direktmandate vergeben. Davon profitiert vor allem Fidesz, auch weil die Wahlkreise nach und nach auf die Partei zugeschnitten wurden. Bei der Wahl 2018 etwa holte die Partei knapp unter 50 Prozent – erhielt aber im Parlament eine Zweidrittelmehrheit. Die Opposition will das durch die Bündelung ihrer Kräfte verhindern.

Opposition fragt: "Putin oder Europa?"

Deren Spitzenkandidat, der parteilose Bürgermeister Peter Márki-Zay, spricht an diesem 15. März ebenfalls in Budapest. Seine Botschaft ist eine andere: Ungarn wähle nun zwischen dem Osten und Europa, sagte er. Unter Orbán seien die Ungarn "freiwillig auf die schlechte Seite der Geschichte zurückgekehrt", sagt er. Die Bürger hätten es nun in der Hand, Orbán abzuwählen, damit "wir, egal wo auf der Welt, wieder stolz sagen können: 'Ich bin Ungar.'"

Márki-Zay solidarisiert sich offen mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj – etwas, was Orbán bislang gescheut hat. "Putin oder Europa?" heißt es seit dem Nationalfeiertag auf den Wahlplakaten der Opposition, hinterlegt mit einem Bild, das Orbán gemeinsam mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zeigt.

Orbán hingegen kontert mit Angriffen auf die Opposition: Während seine Partei Frieden will, würde die Opposition "in einen rücksichtslosen, langwierigen und blutigen Krieg taumeln." Regierungsnahe Medien verbreiten zudem, die Opposition wolle ungarische Soldaten in die Ukraine schicken. Márki-Zay dementierte bereits mehrere Male und nannte Orbán eine Puppe Putins.

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Doch die Strategie der Opposition scheint nicht ganz aufzugehen. Die Umfragen zur Wahl haben sich kaum verändert, Orbáns Beliebtheitswerte sind seit Kriegsbeginn sogar leicht gestiegen. Dort liegt Orbán bei rund 60 Prozent, Márki-Zay bei 25 bis 31 Prozent.

Krieg überraschte Ungarns Regierung

Dabei war Orbáns Regierung zu Beginn des Krieges in einer schwierigen Position. Denn Orbán pflegt gute Beziehungen zu Putin, nur wenige Wochen vor dem Angriff war Orbán noch beim Kremlchef zu Gast in Moskau, sah sich selbst als Brücke zwischen Ost und West zur Friedensvermittlung.

Die Opposition nahm schnell die Haltung der anderen europäische Staaten ein: Man steht an der Seite der Ukraine und unterstützt das Land gegen den illegalen Angriffskrieg. Beobachter gingen davon aus, dass Orbáns Beziehung zu Putin ihm nun schaden könne. Auch Ungarn hat eine leidvolle Vergangenheit mit sowjetischer Besatzung.

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"Die Regierung hat die Botschaft verbreitet, dass sie, im Gegensatz zur Opposition, für Frieden und Sicherheit steht", sagt Andreas Bock, Ungarn-Experte bei der Denkfabrik "European Council on Foreign Relations". Die vereinte Opposition habe es verpasst, darauf eine Antwort zu geben. Erschwerend komme hinzu, dass fast alle Lokalmedien sich in den Hängen Fidesz-treuer Eigentümer befinden – und die Opposition dort kaum vorkomme. "Für ihre eigentlichen Themen, wie Korruption und Rechtsstaatlichkeit, hat die Opposition kaum noch Gehör gefunden", so Bock.

Orbán spielt doppeltes Spiel

Die Regierung hingegen entwickelte schnell eine eigene Position, die Bock als doppeltes Spiel bezeichnet: Zu Beginn verurteilte Orbán den Krieg, trug die Schritte der Nato und der EU mit. Nach innen habe er kommuniziert, dass er sein Land aus dem Krieg heraushalten möchte, dass die Interessen Ungarns im Vordergrund stehen müssen. Gleichzeitig lief in den regierungsnahen Medien ein zumindest teilweise kremlfreundliches Programm.

Das zeigen auch Analysen von "Political Capital" oder "Institute for Strategic Dialogue". So wird über regierungsnahe Medien und Facebook-Seiten die Verantwortung Russlands zumindest relativiert, russische Kriegsverbrechen etwa verschwiegen, oder der Ukraine vorgeworfen, Atomwaffen entwickeln zu wollen.

Polen, Tschechien und Slowakei distanzieren sich von Ungarn

Vor allem in den Nachbarstaaten kommt das nicht gut an. Mit seiner Politik im Ukraine-Krieg hat Orbán Polen, Tschechien und die Slowakei gegen sich aufgebracht. Dabei pflegten diese vier Staaten, die sogenannte Visegrád-Gruppe, immer besonders enge Beziehungen, unterstützen sich in ihrer Politik gegenseitig. Vor allem die polnische Regierung blickt mit Argwohn auf Ungarns Politik. Es sei schwer, Orbáns Haltung zu verstehen, sagte Staatspräsident Andrzej Duda kürzlich. "Diese Politik wird Ungarn sehr, sehr teuer zu stehen kommen".


In der vergangenen Woche sagten Polen, Tschechien und die Slowakei sogar ein Treffen der Verteidigungsminister der vier Staaten ab. Die tschechische Verteidigungsministerin Jana Černochová fand dafür deutliche Worte: "Ich habe die Visegrád-Vier stets unterstützt, aber es tut mir sehr leid, dass für die ungarischen Politiker das billige russische Öl wichtiger ist als das Blut der Ukrainer." Es fühle sich nicht richtig an, so kurz vor der Wahl an der Kampagne der Regierung beteiligt zu sein.

"Orbáns Hochzeit ist vorbei"

Auch wenn Orbán die Wahl gewinnt: "Seine Hochzeit ist vorbei", sagt Zsuzsanna Szelényi, Expertin für internationale Politik, die in den 80er Jahren zu den Mitgründern von Fidesz gehörte und später für die Opposition im Parlament saß. Er werde in der EU nicht mehr als glaubwürdiger Partner wahrgenommen, auch in Ungarn drohe ihm ein Nachspiel.

Szelényi rechnet damit, dass die Opposition bei einem sehr knappen Wahlergebnis dagegen angehen werde. Schon nach der Wahl 2018 wurde bemängelt, sie sei nicht fehlerfrei gelaufen. Die von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa angemahnten Verbesserungen aber wurden nicht umgesetzt. Auch Fidesz bereite sich vor, gegen einen knappen Wahlsieg der Opposition anzugehen, sagt Szelényi – die Wahl wird also nicht am Wahltag enden. Und auch wenn sie Orbáns Macht auf dem absteigenden Ast sehe: "Das heißt nicht, dass er bald am Ende ist." Die Erfahrung zeige, dass sich ein Regime, das die Macht über Jahre auf sich monopolisiert habe, lange halten kann.

Das liberale Umfrageinstitut Republikon fragte Ende März die Einstellung ab zu der Aussage: "Wenn Viktor Orbán nach der Wahl im Amt bleibt, lohnt es sich nicht, in diesem Land zu bleiben". Mehr als ein Viertel der Befragten stimmte zu.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
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