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Wirkt die Propaganda? So denken die Russen über den Ukraine-Krieg


Einmarsch in die Ukraine
So denken die Russen über den Krieg

dpa, Von Hannah Wagner

Aktualisiert am 18.04.2022Lesedauer: 4 Min.
Wladimir Putin: Die Mehrheit der russischen Bevölkerung steht nach wie vor hinter den Handlungen ihres Präsidenten.Vergrößern des BildesWladimir Putin: Die Mehrheit der russischen Bevölkerung steht nach wie vor hinter den Handlungen ihres Präsidenten. (Quelle: SNA/imago-images-bilder)
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Seit Ende Februar tobt der Krieg in der Ukraine. In Russland klagen Menschen, wie schlimm alles momentan sei – und meinen nicht das Vorgehen der russischen Armee, sondern die Folgen der westlichen Sanktionen.

Einen Tag nach der Entdeckung Hunderter ermordeter Zivilisten im ukrainischen Ort Butscha hängen im Moskauer Stadtzentrum zwei kleine Zettel am Zaun der Uferpromenade. "Das ist Krieg", steht darauf. Und: "Schweigt nicht!" Ein Zettel ist blau, der andere gelb – die Farben der ukrainischen Flagge. Es ist ein stiller Protest.

Der Krieg und die Verbrechen im Nachbarland schockieren auch in Russland viele. Seit Beginn des von Kremlchef Wladimir Putin angeordneten Angriffskriegs gegen die Ukraine vor sieben Wochen äußern Menschen immer wieder Scham über ihre politische Führung.

Proteste werden weniger

Mehrfach appelliert der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj an die Russen, nicht gleichgültig zuzusehen, wenn ihr Brudervolk ermordet wird. In Russland wiederum ruft der inhaftierte Kremlgegner Alexei Nawalny seine Landsleute aus dem Straflager heraus zum Protest auf. In den ersten Kriegswochen werden auf Russlands Straßen Bürgerrechtlern zufolge mehr als 15.000 Demonstranten festgenommen.

Unterdessen feiern Menschen weltweit die bis dahin systemtreue Journalistin Marina Owsjannikowa dafür, dass sie Mitte März während der abendlichen Nachrichten des Staatsfernsehens mit einem Anti-Kriegs-Plakat ins Bild springt.

Doch mit der Zeit werden die Proteste kleiner. Und die Hoffnung einiger Kremlgegner, Owsjannikowas mutiger Fernsehprotest könne eine Welle auslösen, erfüllt sich nicht. Stattdessen ist vielerorts das Propaganda-Symbol Z zu sehen – nicht nur als Lichtinstallation an öffentlichen Gebäuden, sondern auch auf Privatautos und Wohnungstüren geklebt oder gemalt. Es steht auch für "Za Pobedu" – "Für den Sieg". Lesen Sie hier mehr dazu.

Mehr als vier Fünftel der Russen unterstützen den Krieg

Auf der Straße und in Supermärkten klagen Menschen, wie schlimm alles momentan sei – aber gemeint ist damit oft nicht das Vorgehen der russischen Armee, sondern die Folgen der westlichen Sanktionen, die gestiegenen Lebensmittelpreise und die gestrichenen Flugverbindungen.

In einer Umfrage des unabhängigen Meinungsforschungsinstituts Lewada erklären mehr als einen Monat nach Kriegsbeginn 81 Prozent der Befragten, die "Handlungen" Russlands in der Ukraine zu unterstützen. Zugleich gehören zu den drei meistgenannten Gefühlen, die Menschen mit den Kampfhandlungen verbinden, neben Stolz auf Russland auch "Entsetzen" und "Schock".

Viele Russen blickten alles andere als euphorisch auf die Kämpfe, sagt der wissenschaftliche Leiter des Lewada-Zentrums, Lew Gudkow, im Gespräch mit dem Oppositionspolitiker Leonid Wolkow. "Unterstützen Sie sie aktiv? Nein. Mit emotionaler Anteilnahme? Nein."

Propaganda: Krieg als "Befreiung von Faschisten"

Den Hauptgrund für den Rückhalt in der russischen Bevölkerung sieht der renommierte Soziologe vielmehr in der aggressiven Dominanz der Staatspropaganda, die den Krieg gebetsmühlenartig als "Befreiung" der Ukraine von "Faschisten" anpreist und ukrainische Vorwürfe gegenüber russischen Soldaten per se und ohne Belege als von den USA gesteuerte "Inszenierungen" und "Fakes" abtut.

Während Menschen in Metropolen wie Moskau den Zugang etwa zu kritischen Homepages haben, blieben die Bewohner in provinziellen Regionen mit schlechtem oder fehlendem Internet oft mit dem Staatsfernsehen alleine, sagt Gudkow.

Zustimmung für die "militärische Spezialoperation", wie der Krieg gegen die Ukraine in Russland offiziell genannt werden muss, dürfe dabei nicht mit Zustimmung für Putin verwechselt werden, betont er. Und tatsächlich zeigen Umfragen, dass die Unterstützung für den Kremlchef zwar zwischenzeitlich nachließ – der Stolz auf die eigene Armee hingegen zunahm. Schon vor einigen Jahren antworteten die Teilnehmer einer Lewada-Befragung mehrheitlich, dass Russland in ihren Augen vor allem für seine Armee und seine Atomwaffen vom Rest der Welt geachtet werde.

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Zugleich nehmen die staatlichen Repressionen gegen Andersdenkende seit Kriegsausbruch spürbar zu. In Moskau wird ein Mann festgenommen, der neben einem Denkmal mit der Aufschrift "Kiew" das Buch "Krieg und Frieden" von Lew Tolstoi hält. Ein neues Mediengesetz sieht bis zu 15 Jahre Haft für angebliche "Falschinformationen" über Russlands Streitkräfte vor. Bekannte unabhängige Sender und Nachrichtenportale werden blockiert oder stellen – wie die Zeitung "Nowaja Gaseta" von Friedensnobelpreisträger Dmitri Muratow – ihre Arbeit ein. Kritische Journalisten, Schriftsteller und Künstler verlassen das Land.

"Mir ist ganz schlecht von unseren Mächtigen und ihren Lügen"

Der Soziologe Gudkow meint, viele Bürger schwiegen aus "purem Opportunismus", um nicht öffentlich in einen Konflikt mit der Staatsmacht zu geraten. Sogenannte Küchengespräche – seit Sowjetzeiten fest in der russischen Gesellschaft verankert – erleben eine neue Hochphase.

Ihr Herz blute angesichts der Bilder aus der Ukraine, Russland habe sich in ein faschistisches Regime verwandelt, sagt eine 74-jährige Moskauerin in einem persönlichen Gespräch. "Aber wenn nachher meine Nachbarin vorbeikommt, werde ich nicht das sagen, was ich dir jetzt gesagt habe."

Manche Russen, die den Angriffskrieg ihrer Armee verurteilen, entscheiden sich für eine stille Form des Widerstands. Während ihr Umfeld Putin für seine Verbrechen in der Ukraine feiere, habe sie sich nun entschlossen, Ukrainisch zu lernen, sagt eine junge Frau aus der sibirischen Metropole Nowosibirsk. "Mir ist ganz schlecht von unseren Mächtigen und ihren Lügen", begründet sie ihre kleine Solidaritätsgeste. "In mir ist so eine Wut, dass ich ihnen allen den Tod wünsche."

Verwendete Quellen
  • Nachrichtenagentur dpa
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